Braun gegen Orange

Die russische Justiz reagiert härter auf rassistische Übergriffe. Doch rechtsextreme Schlägerbanden haben weiterhin Verbindungen zu regimetreuen Gruppen. von ute weinmann

Die als westlich und weltoffen gepriesene Metropole St. Petersburg nimmt in Russland in der Statistik rassistischer Übergriffe mit Todesfolge längst einen unrühmlichen Spitzenplatz ein. Mitte vergangener Woche starb der kongolesische Student Rolan Eposak an den schweren Verletzungen, die ihm wenige Tage zuvor auf der Straße von einer Gruppe Unbekannter zugefügt worden waren. Die Polizei erklärte inzwischen, die Personalien der Verdächtigen seien festgestellt, es handele sich keinesfalls um einen rassistischen Mord. Der Rektorenrat der Petersburger Universitäten sprach von einem »tragischen Zufall«. Solche Reaktionen sind die Regel, wie in westlichen Ländern auch.

Um einen Zufall wird es sich indes kaum gehandelt haben. Rassistische Straftaten gehören in Russland zum Alltag, neben Angehörigen verschiedener kaukasischer Nationalitäten sind immer häufiger Menschen aus afrikanischen Ländern, Vietnam und China davon betroffen. Im Jahr 2003 wurden 20 solcher Morde verzeichnet, vergangenes Jahr waren es nicht weniger als 44. In diesem Jahr ist Eposak das elfte Todesopfer.

In mindestens 200 weiteren Fällen verliefen die Übergriffe glimpflicher, aber man muss davon ausgehen, dass längst nicht alle Angriffe in der Öffentlichkeit bekannt werden. Im Unterschied zu den Vorjahren reagierten die Gerichte mit härteren Strafmaßnahmen. Sie verhängten bis 19 Jahre Haft, und auch die Häufigkeit von Verurteilungen hat zugenommen. Doch gilt in der Regel, dass die Miliz erst im Todesfall Ermittlungen in die Wege leitet, so dass viele Überfälle erst gar nicht vor Gericht kommen.

Bei den Tätern handelt es sich meist um rechtsextreme Skinheads, deren Ideologie sich nicht selten an deutschen Nazivorbildern orientiert. Das russische Innenministerium beziffert ihre Anzahl auf etwa 10 000, anderen Schätzungen zufolge gibt es in Russland mittlerweile über 50 000 Skinheads. Sie sind östlich des Urals eine eher seltene Erscheinung, im europäischen Teil Russlands dagegen bleibt kaum eine Stadt von ihnen verschont. Der Großteil der Skins ist jedoch im Moskauer Umland und in St. Petersburg ansässig.

Obwohl die Justiz härter auf rassistische Gewalttaten reagiert, gibt es weiterhin Verbindungen zu Angehörigen des Staatsapparats und von ihm beeinflussten Organisationen. Viele Skinheadgruppen agieren unabhängig von den einschlägigen rechtsextremen Parteien und Verbindungen. Dies zumindest behauptet die Miliz, allerdings gibt es regionale Unterschiede. In Städten mit sichtbaren Parteiaktivitäten stellen Verbindungen zwischen der Russischen Nationalen Einheit (RNE) und Skins die Norm dar.

Die RNE wurde lange Zeit von Kräften aus dem Innenministerium und dem Inlandsgeheimdienst FSB gesteuert. Dadurch entstanden interne Querelen, die zur Abspaltung von zwei Gruppen führten. In Woronezh, einer der rechten Hochburgen im Süden Russlands, konnten anschließend sowohl die RNE des alten Anführers Aleksandr Barkaschow als auch eine der neuen Gruppierungen Zulauf von Skinheads verzeichnen. Zwar ist deren Tätigkeit in der Stadt und im Umland offiziell inzwischen verboten, Übergriffe auf ausländische Studenten nehmen dennoch nicht ab.

Beobachter aus dem ebenfalls im Süden gelegenen Krasnodar berichten davon, dass sich zwar minderjährige Skinheads selten von Parteien angezogen fühlen, politisch ambitionierte Skins mit Erlangung der Volljährigkeit jedoch meist in die Rechtsradikale Nationale Volkspartei, die Nationalbolschewistische Partei, die RNE oder eine ihrer Abspaltungen eintreten.

In Wolgograd, wo es bislang keiner rechten Partei gelungen ist, Fuß zu fassen, dürfen Naziskins ungehindert und mit Wissen der Miliz Bücher verbrennen, und zwar auf dem Mamajew Kurgan, dem zentralen Ort des Gedenkens an den Zweiten Weltkrieg, wo es der Roten Armee gelungen war, die Wehrmacht zurückzuschlagen. In einigen Städten kam es in letzter Zeit zu missglückten Anschlägen auf Synagogen.

Zu den Opfern rechtsextremer Schläger gehören außerdem auffällige Angehörige diverser Subkulturen, darunter Liebhaber von Rapmusik, Punks oder einfach Jugendliche mit antinationalen Aufschriften auf T-Shirts. Betroffen sind einschlägige Clubs und Veranstaltungsorte. Anfang September etwa griffen Skins in Moskau Besucher eines Rockkonzertes mit Molotowcocktails und Tränengas an.

In Pensa kam es auf einem Konzert zu einem Massentumult, als sich einige Hippies empört gegen den Hitlergruß eines Konzertbesuchers wehrten. Unerwarteterweise schlug sich eine im Konzertsaal anwesende Gruppe Krimineller auf die Seite der Hippies. Sie soll diesen angeboten haben, die Skins umzubringen, damit endlich Ruhe herrsche. Deren Wohnadressen seien ihnen bekannt. Die Hippies haben das Angebot nach eigenen Aussagen ausgeschlagen, allerdings ist nicht zu leugnen, dass rechtsextreme Strukturen oft dort eingedämmt werden können, wo andere militante Gruppen dominieren. Dabei handelt es sich jedoch in den seltensten Fällen um Antifaschisten.

Militante oder paramilitärische Einheiten werden jedoch nicht allein von den häufig mit westlichen Accessoires ausgestatteten Skinheads gebildet. Auch der Slawische Bund ruft seine Mitglieder zur Bewaffnung und Gründung von Bürgerwehren auf. Dem Aufruf schloss sich im April die »Bewegung gegen illegale Immigration« an, die in Kleingruppen, bestehend aus je fünf Personen und einem PKW, operiert. Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Die russische Rechte gerät jedoch nicht mehr allein durch rassistische Übergriffe in die Schlagzeilen. Skins bilden nicht selten die Kerngruppe militanter Fußballfans, und sie agieren als Schlägereinheiten und Wachschutz im Auftrag der neuen Putin-Jugend, der Naschi (»die Unsrigen«). Deren Hauptfeind sind oppositionelle Jugendgruppen, ein 17jähriger starb Anfang des Monats in Uljanowsk nach einem Angriff.

Am 7. September wurde außerdem die »Anti-orangene Jugendfront« gegründet, ein Zusammenschluss zahlreicher Jugendorganisationen aus Russland und anderen GUS-Staaten unter Leitung Alexander Dugins, des Mitbegründers der Nationalbolschewistischen Partei. Mit von der Partie sind der Baschkirische Jugendbund, der sich als Filiale der türkischen Grauen Wölfe definiert, die ukrainische Bruderschaftspartei und der Tatarische Jugendbund Azatlyk (»Freiheit«).

Die Massenbewegung, die im vergangenen Jahr in der Ukraine gegen den autoritär regierenden Präsidenten Leonid Kutschma protestierte und zum Regierungswechsel beitrug, hatte sich die Farbe Orange zum Symbol gewählt. Das Bündnis der »Jugendfront«, dem etwa 25 000 Jugendliche angehören, soll ein ähnliches Szenario in Russland verhindern, wenn nötig mit militanten Mitteln.