Tod bei den schwarzen Mönchen

Die Todesumstände des »Bankiers Gottes«, Roberto Calvi, werden in einem Prozess in Rom neu aufgerollt. von egon günther

Am 18. Juni 1982 wurde in London der italienische Bankier Roberto Calvi an einem Strick unterhalb einer Brücke mit dem beziehungsreichen Namen Blackfriars Bridge (»Brücke der schwarzen Mönche«) erhängt aufgefunden. In seinen Taschen fand man Ziegelsteine und eine große Summe Bargeld. Calvi, der wegen seiner Verbindungen zur Vatikanbank IOR (Institut für religiöse Werke) den Beinamen »Bankier Gottes« erhielt, hatte mit teilweise illegalen Kapitalexporten ungeheure Geldsummen bewegt und dabei das Mailänder Bankhaus Ambrosiano, dessen Präsident er war, in den Bankrott geführt.

Im römischen Hochsicherheitsgefängnis Rebibbia wird am 23. November der Mordprozess um den geheimnisumwitterten Tod des Bankiers fortgesetzt. Nach einem kurzen Auftakt am 7. Oktober wurde der Prozess, in dem 177 Zeugen auftreten und es auch um Geldwäsche in der Mafia gehen soll, vertagt. Das Verfahren wird voraussichtlich zwei Jahre dauern.

Calvis Tod wurde zunächst als Selbstmord verbucht, was allerdings viele bezweifelten. Neuere Gutachten zur Todesursache, die nach einer angeordneten Exhumierung der Leiche erstellt wurden, gehen davon aus, dass er wahrscheinlich auf einem Londoner Müllplatz ermordet und die Leiche anschließend unter der Brücke aufgehängt wurde. Angeklagt sind nunmehr der so genannte Kassierer der Mafia, Pippo Calo, sowie ein ehemaliger Hehler und Geschäftsmann aus Triest, der in den letzten Tagen von Roberto Calvi als sein Begleiter auftrat, seine ehemalige österreichische Freundin und der ehemalige Boss einer römischen Gangsterbande. Von den Angeklagten ist nur der Geschäftsmann im Gerichtssaal anwesend, der Mafioso wird per Videoübertragung aus dem Gefängnis von Ascoli Piceno dazu geschaltet, gegen die anderen wird in Abwesenheit verhandelt.

Der Bankier war eine zentrale Figur in einem kaum durchschaubaren Beziehungsgeflecht, das, neben der Cosa Nostra und der Camorra, die Geheimdienste, den Vatikan, Medienkonzerne, einflussreiche Politiker, die mit Wucher, Drogenhandel und Geldwäsche beschäftigte römische Banda della Magliana, faschistische Terroristen und nicht zuletzt die berüchtigte Loge Propaganda due (P2) umfasste. Deren »Ehrwürdiger Meister«, Licio Gelli, wird bis heute immer wieder in Verbindung zu rechtsterroristischen Anschlägen gebracht, etwa in zahlreichen Ermittlungsverfahren zum Attentat auf den Schnellzug »Italicus« im Jahr 1974 und zum Anschlag auf den Bahnhof von Bologna 1980.

Er wird in der umfangreichen Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ebenfalls als mutmaßlicher Auftraggeber des Mordes an Calvi genannt. Tatsächlich war Calvi wie andere hohe Vertreter des Staatsapparates, Politiker und Unternehmer eingeschriebenes Mitglied dieser Organisation, die eher wie ein integrierter Bestandteil des Staats anmutet denn wie eine Geheimorganisation. Die P2 legte 1976 einen »Plan zur demokratischen Wiedergeburt Italiens« vor. Dieser beinhaltete eine radikale Transformation des italienischen Staates, einen als institutionelle Reform getarnten »Staatsstreich von oben«, der im Gegensatz zu anderen Putschversuchen, die zuvor mehrheitlich von Kräften außerhalb der Staatsorgane organisiert wurden, von den Zentren der tatsächlichen Macht ausgehen sollte.

Gelli hatte Calvi mit der Finanzierung dieses Projektes beauftragt. Damit trat dieser die Nachfolge des sizilianischen Anwalts und Spekulanten Michele Sindona an, einer anderen schillernden Gestalt in diesem obskuren Netz, der die Geldwäsche im großen nationalen und internationalen Maßstab durchzuführen pflegte, zuletzt aber im Gefängnis als »Selbstmörder« nach dem Genuß vergifteten Kaffees endete. Zuvor hatte der Finanzstratege Sindona noch seine eigene Entführung vorgetäuscht, die er dann einer angeblichen »Gruppe für proletarische Gerechtigkeit« zuschrieb.

Calvi verschaffte 1977 der Familie Rizzoli, in deren Besitz sich die meistgelesene italienische Tageszeitung Corriere della Sera befindet, auf Bitten Gellis zur Kapitalerhöhung eine kräftige Finanzspritze aus den Mitteln der Ambrosiano-Bank. In den folgenden Jahren flossen nun entweder über die Rizzoli-Gruppe oder direkt über Calvis Bank hohe Summen als Schmiergelder an praktisch alle italienischen Parteien.

Aufgrund von Schweizer Konten, der Kontrolle von lateinamerikanischen Geldinstituten und Gesellschaften sowie der guten Verbindungen zur von der Bankaufsicht unabhängigen Vatikanbank war Calvi zwar in der Lage, unkontrollierte Finanzgeschäfte durchzuführen. Aber der Geldbedarf der institutionellen Konterrevolution war immens – es ist übrigens kein Geheimnis, dass die polnische Gewerkschaft Solidarnosc durch einen von Calvi verschafften Kredit in der Größenordnung von 1,3 Milliarden Dollar mitfinanziert wurde –, und irgendwann waren die Kredite nicht mehr zu decken. Der Geldbeschaffer Calvi wurde 1981 wegen Devisenvergehens festgenommen. Er wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt, aber bald auf Bewährung wieder entlassen. Im Gefängnis versuchte er bereits einmal, sich umzubringen.

Obwohl der Vatikan so genannte Patronage-Briefe ausgestellt hatte, wurden die Gläubiger und Kunden des Bankhauses Ambrosiano dennoch um ihr Geld geprellt. Gegenüber seinen alten Geschäftspartnern erwies sich Calvi sogleich als unsicherer Kantonist. Er drohte zunächst, die Schmiergelder an die italienischen Parteien auffliegen zu lassen, und machte schon mal einen Kredit an Bettino Craxis Sozialisten publik. Dann wollte er in einem Brief an Papst Karol Wojtila die Kardinäle Marcinkus und Casaroli, die er für den Zusammenbruch der Ambrosiano-Bank verantwortlich machte, anschwärzen. Er rühmte sich in dem Schreiben kurz vor seinem Tod: »… ich habe im erklärten Auftrag Eurer gegenwärtigen und früheren Beauftragten des IOR vielen Ländern und politisch-religiösen Vereinigungen in Ost und West ansehnliche Finanzen verschafft, ich habe im Zusammenwirken mit den Würdenträgern des Vatikan zahllose Bankgeschäfte in ganz Zentral- und Südamerika getätigt, vor allem, um dem Eindringen und der Ausbreitung der marxistischen Ideologie entgegenzuwirken, und ich bin es schließlich, der heute von denselben Würdenträgern verraten und im Stich gelassen wird.«

Ausgerechnet mit Hilfe der Mafia flieht der »Bankier Gottes« zuletzt nach London. Deren angeklagten Repräsentanten und Erfüllungsgehilfen wirft nunmehr die Staatsanwaltschaft vor, Calvi zur Strafe dafür ermordet zu haben, dass er mit den ihm anvertrauten Erträgen aus ihren kriminellen Machenschaften nicht erfolgreich umgegangen war. Ein weiteres Motiv ist das folgende: Calvi sollte zum Schweigen gebracht werden, weil er zum Risiko für seine in die geheimen Geschäfte verwickelten Bezugspersonen und Drahtzieher geworden war. Soll er doch gesagt haben: »Wenn ich auspacke, bleibt im Vatikan kein Stein mehr auf dem anderen.«