»Show me Heaven, fucking Hell«

Kassiopeia aus Berlin treffen Muff Potter aus Münster. von jenny cash

Zum Glück sind wir alle Punkrocker, denn das Interview mit Nagel (Gesang und Gitarre) und Brami (Schlagzeug) von Muff Potter beginnt mit einem akuten Koffeinschock für Nagels Handy, als meine Begleitung Mickey (Gitarrist bei Kassiopeia) aus Versehen seinen Kaffee über den gesamten Tisch verschüttet. Aber so etwas lockert ja auch die Stimmung und sollte meiner Meinung nach bei jedem Interview mit eingebaut werden.

Eine Band wie Muff Potter zu interviewen, die ich höre, seit ich sechzehn bin, das ist total großartig. Die Band spielt einen emotionalen melodiösen Punkrock. Sie selbst nennen es: »angry pop music«. Die Texte sind sehr persönlich und dadurch ist es schnell möglich, einen Zugang zu ihnen zu finden. Ich höre Muff Potter bevorzugt in Situationen, in denen mal wieder alles Scheiße ist und es trotzdem weitergehen muss.

Die Band existiert bereits seit zwölf Jahren und hat mittlerweile ihre fünfte LP veröffentlicht. Das neue Album »von wegen« ist eben als CD bei Universal und auf Vinyl wie gewohnt bei Huck‘s Plattenkiste erschienen. Gegenüber Bands, die es schaffen, über den eigenen Subkultur-Szene-Rand hinaus bekannt zu werden und Plattenverträge zu unterschreiben, gibt es immer wieder den Vorwurf des so genannten »Punkverrats«. Die Vorstellung, diese Bands würden sich »prostituieren«, würden »weichgespült«, durch ihre »Kommerzialisierung« ihre politischen Inhalte verlieren und langweilig werden, existiert offenbar immer noch. Obwohl man eigentlich denkt, diese Diskussion sei schon seit Jahren abgegessen, behaupten böse Zungen genau das nun von der neuen Muff-Potter-Platte.

Die Kennerin weiß jedoch: Diese ist Produkt einer konsequenten Weiterentwicklung, und böse Zungen sollten ruhig einmal Himbeereis naschen. Findet man auf der ersten LP von 1996 noch Texte wie »die Masse stürzt sich auf kleine silberne Scheiben (CDs, J.C.) / während die Manager lachen / und ihre Bonzenhände reiben«, erklären mir Nagel und Brami auf die Frage, was sich mit Universal für Muff Potter verändert hat, dass sie auch die neue LP selbst produziert haben und die Unterstützung durch Universal nur der Produktion der CD galt. Es geht ihnen auch nicht darum, den DIY-Gedanken komplett abzulehnen, denn das meiste machen sie weiterhin selbst. Es ist der Band aber sehr wichtig, das Korsett des Hardcore-Punk und seinem Szenesumpf aufzubrechen, in dem alles stagniert und sich immer nur wiederholt.

Sie sind genervt von dessen Wertetabelle, die bürgerliche Werte einfach nur umdrehe und keine wirkliche inhaltliche und musikalische Auseinandersetzung sowie Weiterentwicklung zulasse.

Muff Potter sagen, dass sie keine politische Band sind, sondern politische Menschen, die zusammen Musik machen. »Wir haben ja auch alle unterschiedliche Vorstellungen von verschiedenen Sachen. Das ist wie beim Pizzabelag«, sagt Nagel. Und später: »Ich glaube, die anderen drei sind rechtskonservativ, oder?« Wer Muff Potter kennt, liebt sie für solche Aussagen. Die Texte der Band handeln von Dingen, die sie persönlich interessieren, und die sind natürlich politisch. Nagel grinst und erzählt, wie er den Chor des Schützenvereins seines Opas für den Song »Antifamilia« aufgenommen hat. Eine Vermittlung von Inhalten über Musik ist seiner Ansicht nach immer nur begrenzt möglich, aber dennoch wichtig. »Früher haben wir auch immer eher mit politischen Bands zusammen Konzerte gemacht, nicht mit Saufpunkbands«, erklärt Brami, und Nagel ergänzt: »Aber so eine Tour mit den Dimple Minds wäre doch eigentlich auch mal nicht schlecht.«

Dass Muff Potter politische Positionierung sehr wohl wichtig ist, sieht man unter anderem an ihrer Teilnahme am Sampler »I can’t relax in Deutschland«. »Heinz Rudolf Kunze hat ja schon in den Neunzigern mit der Deutschtümelei angefangen«, erklärt Nagel, »von wegen Quote und so, da hätten alle über ihn gelacht. Doch dann ist das auf einmal so richtig losgegangen mit der Forderung nach Deutschquote und dem ganzen Mist. Es ist ja auch total peinlich, dass es wieder nur so wenige Bands gibt, wie zum Beispiel Blumfeld oder Tocotronic, die sich kritisch dazu äußern.« Die Jungs von Muff Potter selbst finden es so ziemlich das Letzte, dass sich Leute wieder positiv auf Deutschland beziehen wollen und es auch tun.

Doch zurück zum Sampler. Muff Potter sind darauf mit dem Song »Punkt 9.« vertreten. »Wir sind, glaube ich, sogar die einzigen auf der CD mit einem Song direkt zum Thema«, behauptet Nagel. Als die Anfrage von den ProduzentInnen des Samplers kam, war »Punkt 9.« schon geschrieben und es war für die Band sofort klar, dass es dieses Lied sein musste. »Das muss ja auch passen, weil das sonst so aufgesetzt wirken würde, wenn alle extra dafür ein Anti-Deutschland-Lied schreiben würden«, so Nagel. Muff Potter brauchen dafür nicht extra einen Anlass und rocken in »Punkt 9.« treffend: »Mit warmen Visionen von Identität / und der Reflexion auf Nulldiät / wird Geschichte vertauscht, verdreht und umgekehrt.«

Ich trinke einen Schluck Kaffee (was Mickey übrig gelassen hat – kalt), lächle Nagel zu und komme auf die Kritik am Sampler zu sprechen. Denn dem Projekt könnte auch vorgeworfen werden, dass es Deutschland auch nur besser machen will, so nach dem Motto: »Kuck mal, Deutschland ist gar nicht so scheiße, da gibt’s ja auch Bands, die das Land, wie es ist, nicht so toll finden.« Lowlevel-Kritik ist ja gewissermaßen im »neuen deutschen Selbstbewusstsein« schon mit eingebaut. Der Sampler hätte ja zum Beispiel auch »Deutschland ausschalten« heißen können, oder? Brami und Nagel zeigen sich über die Kritik verwundert. Sie stellen fest, dass es ja schon so ist, dass auf dem Sampler nur deutsche Bands sind, aber es liegt auch nahe, dass das Thema gerade denen auch besonders wichtig ist. Brami und Nagel finden jedoch, dass der Sampler sich schon durch sein Thema von den üblichen zivilgesellschaftlichen Projekten unterscheidet. Bei denen sei immer nur »Nazis raus« oder »bunt statt braun« das Thema, aber nie Deutschland und der ganz gewöhnliche Nationalismus, der hierzulande so weit verbreitet ist.

Beim anschließenden Konzert von Muff Potter und dem Fotoschießen danach, denke ich, dass diese Band ja immer noch verdammt toll ist und gönne ihnen ihren Erfolg umso mehr. Als Tipp sei hier noch auf die der CD beigelegte DVD hingewiesen, auf der in trashigem Comicstyle Videoclips zu sehen sind und Nagel eine Kurzgeschichte liest mit dem Titel: »Show me Heaven, fucking Hell.«

Muff Potter: Von wegen (Huck’s Plattenkiste / Universal)