Revanche ­verpasst

Verfassungsreferendum in Italien von catrin dingler, rom

Für Silvio Berlusconi war es die vorerst letzte Gelegenheit zur Revanche. Sein Parteienbündnis »Haus der Freiheiten« hat im April die Parlamentswahl knapp verloren. Und am letzten Juniwochenende stimmte eine deutliche Mehrheit von über 61 Prozent der Wähler gegen das von Berlusconis Koalition in der vergangenen Legislaturperiode mit einfacher Parlamentsmehrheit beschlossene Gesetz zur Verfassungsänderung. Trotz unerträglicher Hitze und der Aufregung über die Qualifikation der azzurri für das Achtelfinale der Fußballweltmeisterschaft beteiligten sich mehr als 53 Prozent der Stimmberechtigten am Volksentscheid.

Das Mitte-Links-Bündnis und alle drei großen Gewerkschaften hatten dazu aufgerufen, die Gesetzesvorlage abzulehnen. Ihre Kritik galt vor allem der devolution, einer von der Lega Nord vehement geforderten Reform zur Einführung föderaler Strukturen. Das Gesundheitswesen, die Bildung und die regionale Polizeiverwaltung sollten künftig nicht mehr zentralstaatlich organisiert werden, sondern in die Kompetenz der Regionen fallen. Der Norden hätte so nicht länger einen Teil seines Wohlstandes mit dem Mezzogiorno, dem Süden Italiens, teilen müssen. Das im ersten Teil der Verfassung festgeschriebene Grundrecht auf soziale Gleichheit wäre nicht mehr garantiert, die solidarische Einheit Italiens – einige Kritiker sprachen sogar von der staatlichen Einheit der Republik – wäre gefährdet gewesen.

Ein weiterer Streitpunkt war die geplante Stärkung der Rolle des Ministerpräsidenten. Da ihm das Recht zur Auflösung des Parlaments zugesprochen werden sollte, befürchteten Kritiker eine Umwandlung der parlamentarischen Demokratie in eine autokratische Premiersherrschaft. Gerade die Konzentration der Macht in einer Person sollte wegen der Erfahrung der faschistischen Herrschaft und der Verfassung aus dem Jahr 1948 vermieden werden.

Den Rechten ging es um die Revision dieser Vereinbarung aus der Nachkriegszeit. Mit der separatistischen Lega Nord, der populistischen Forza Italia und den in der Alleanza Nazionale vertretenen Epigonen des italienischen Faschismus traten Kräfte auf den Plan, deren erklärtes Ziel es ist, die auf den Antifaschismus gegründete Verfassung zu revidieren und die in ihr enthaltene Vorstellung des Sozialstaats als veraltete Idee einer besiegten italienischen Linken zu verabschieden.

Dass die geplante Gesetzesänderung abgelehnt wurde, bedeutet nicht, dass die Gefahr einer Revision der Verfassung endgültig gebannt ist. Nur die kleinen, kommunistischen Parteien des Mitte-Links-Bündnisses haben sich eindeutig gegen eine Gesetzesänderung ausgesprochen, während Ministerpräsident Romani Prodi und die beiden großen linksliberalen Parteien seiner Koalition bereits vor der Abstimmung betonten, dass auch sie an einer Erneuerung des Verfassungsvertrags interessiert seien. Ihre Ablehnung war weniger inhaltlich begründet, sondern galt vielmehr der Methode: Eine Verfassungsänderung solle auf einem »breiten Konsens« beruhen, nicht per Koalitionsmehrheit beschlossen werden.

Das unerwartet deutliche Votum scheint die Diskussion vorerst zu beenden. Die geplante Gesetzesänderung wurde auch in den nördlichen Regionen, dem von den Separatisten proklamierten Padanien, mehrheitlich abgelehnt. Die Bereitschaft, Reformen durchzuführen, dürfte sich deshalb zunächst auf den Artikel 138 der Verfassung beschränken. Seine Änderung könnte zur Folge haben, dass Verfassungsänderungen demnächst nicht mehr mit einfacher Parlamentsmehrheit möglich sind.