Ausbildung zum Schrei-Moderator

»Big Brother« geht weiter. Den populärsten Kandidaten winken im besten Fall Moderatorenjobs beim Quizsender Neun Live. von elke wittich

Michael? Jan? Sascha? Wer zur Hölle sind diese Leute? RTL2 wird gewusst haben, was sich die meisten Zuschauer an diesem Montagabend fragen würden, deswegen stellte man in der der neuen Big-Brother-Staffel vorangestellten Best-of-Sendung Jan, Sascha und Michael noch einmal explizit als Gewinner der Folgen III bis VI vor, der Folgen also, die überschlägig gerechnet außer Familien und Freunden der jeweiligen Bewohner niemand weiter geguckt hat, weswegen »Big Brother« landläufig als ähnlich totes und beerdigtes oder auch nur einfach vergessenes Format wie Frank Elstners »Nase vorn« aus den Mittachtzigern und der Latenight-Talk mit Thomas Gottschalk aus den Frühneunzigern gilt.

Dabei hatte alles so schön angefangen: Zlatko, Jürgen und die anderen »BB«-Ureinwohner waren Kult, ohne es darauf angelegt zu haben. In Staffel II waren die Sprüche des »Nominators« zwar schon auf Wirkung beim Zuschauer hin angelegt, allerdings waren sie durchaus typgerecht. Aber schon in dieser zweiten Folge zeichnete sich ab, dass die meisten den Einzug ins Haus als Ersatz für eine aus­führliche schriftliche Bewerbung um einen Moderatorenjob bei Neun Live sahen.

Entsprechend öde wurde es, den kalkulierten Selbstdarstellungen zuzugucken. RTL2 entwickelte prompt eine Faustregel: Je langwei­liger die Staffel, desto größer muss die Menge der B-, C-, und D-Prominenz sein, die auf Container-Besuch kommt. Was allerdings nur dazu führte, dass alles ganz furchtbar unübersichtlich wurde, denn neben Bewohnern, die nach schwer nachvollziehbaren Re­geln ein- und aus- und manchmal auch wieder einzogen, musste man sich plötzlich auch noch Schlagersänger und Möchtegerngroupies merken.

Staffel V brachte es, inklusive zweifelhafter Berühmtheiten wie Frank Fußbroich und Kader Loth auf Stippvisite, während ihrer einjährigen Laufzeit auf insgesamt 61 Bewohner. Die sechste Staffel sollte dann eine Weltpremiere, etwas nie Dagewesenes werden: »Big Brother« lebenslang. Der Zuschauer werde über Jahre hinweg das Leben und die persön­lichen Entwicklungen der Kandidaten in einem eigens für sie errichteten Dorf verfolgen können, schwärmten die Macher, man werde gewissermaßen gemeinsam mit den Bewohnern alt werden können. In einer Art Lindenstraße live Schicksalsschläge, Hochzeiten, Trennungen, Geburten.

Die folgende öffentliche Debatte darüber, ob unter ethischen Gesichtspunkten so ein »BB«-Baby wirklich rund um die Uhr beobachtet aufwachsen solle, war von den Produzenten sicherlich gewünscht, fiel aber bemerkenswert kurz aus. Wie mit 363 Tagen Laufzeit auch die Staffel selber, von der bereits nach neun Monaten nicht etwa fest­gestanden hatte, dass sie für Nachwuchs gesorgt hatte, sondern dass sie mangels Zuschauerinteresse nur noch 12 weitere Wochen laufen würde.

Zuvor waren bereits die Arbeitsbereiche aufgelöst worden, von denen man sich nicht nur beschäftigte Bewohner, sondern wohl auch jede Menge kostengünstiger Merchandising-Produkte versprochen hatte – nicht anders ist es jedenfalls zu erklären, dass neben einem Bauernhof auch ein Modeatelier eingerichtet worden war. Was immer in dem »BB«-eigenen Sweatshop gefertigt wurde, massenhaft verkauft wurde es jedenfalls nicht.

Und dann war wieder einmal »Big Brother«-Pause in Deutschland, was nicht wirklich schlimm war, denn was man nicht geguckt hat, das kann man auch nicht vermissen.

Während man hier das folgende Jahr containerlos verbrachte, zeigten andere Länder, wie man »Big Brother« richtig macht – dank Youtube auch für die hiesigen Zuschauer.

Und dann wurden plötzlich auch in Deutschland wieder Kandidaten für eine neue Staffel gesucht. Folge VII werde keinerlei Blödsinn wie lebenslange Laufzeit, getrennte Wohnbereiche oder ein »BB«-Hotel für Promibesuche umfassen, versicherten die Produzenten. Dass sie nicht hinzusetzten: »Keine Stripperinnen, keine Bodybuilder, keine sächsischen Möchte­gern-Pornodarsteller«, trübte die Vorfreude etwas, was auch das Ergebnis einer Umfrage im Internet erklären könnte, bei der 43 Prozent zur neuen Staffel erklärten: »Nein, es wird kein Erfolg«, und ein Drittel erwartete: »Es wird wieder eher nur durch­schnittlich.«

Die neuen Kandidaten bestachen zunächst durch kreative Berufsbezeichnungen, die erfahrungsgemäß dann doch nur für einen Job im Callcenter stehen. Die Vorab-Bericht­erstattung war allerdings auf zwei der Frauen gerichtet, Anna und Sonja. Bevor Anna, eine dicke Krankenschwester, jedoch als Erste in den Container einziehen durfte, hatten die Programmverantwortlichen des Senders noch rasch ein neues Format eingeführt, bei dem es um Stylingtipps für übergewichtige Frauen gehen sollte. Und so war alles vorbereitet für Anna, die der erste fette »BB«-Star hätte werden können, wenn die Frau nicht gleich ab der ersten Sekunde ganz elendig genervt hätte. Denn Anna hat nicht nur dauernd Hunger, sondern auch noch pausenlos Verständnis für alles und jeden, was sie allerdings nicht daran hindert, gleichzeitig hinter deren Rücken ausgiebig über Sonja zu lästern.

Sonja wiederum ist zuvor eingehend als Frau mit dem Berufswunsch »Paris Hilton« vorgestellt worden. Die Animateurin, die durch ihren Beruf, so gibt sie auf dem RTL-Fragebogen an, viel über sich selber erfahren habe, erläutert im Film-Porträt ausgiebig, wie wichtig ihr Geld ist – und erklärt gleich am ersten Abend leicht beleidigt, dass sie sich von RTL2 in eine blöde Rolle gedrängt fühle.

Das fängt ja richtig gut an. Halten wir fest: Nach sechs Staffeln »Big Brother« geht Sonja davon aus, dass es sich dabei um ein lustiges Schauspiel handelt, das die netten Leute von RTL 2 aus purem Spaß veranstalten?

Aber nun gut, wer daran glaubt, dass das Haupt­ziel eines Unternehmens nicht Geldverdienen ist, sondern Angebote zur Lebensverbesserung der Kundschaft sind, der glaubt vermutlich auch, dass man als eher rundliche Tochter »einer Gärt­nerin und eines Fertigungsmitarbeiters« aus Griesstätt/Bayern zur deutschen Antwort auf Paris Hilton berufen ist. Sonjas Karriere bei Neun Live steht also nichts im Wege, blond und schlicht genug ist sie allemal. Und noch am Leben, obwohl sie gleich am ersten Abend die Aufgabe hatte, das Übergepäck der Bewohner abzubauen. Unter den von ihr entsorgten persönlichen Gegenständen der anderen befand sich auch das 34 Jahre alte Kuscheltier von Maurer Michael, der davon ausgehen musste, dass sein Stoffhund von der »BB«-Crew mitsamt den anderen aussortierten Dingen wirklich nach einem verlorenen Match verbrannt wurde. Wurde er nicht, aber das konnte Michael nicht wissen.

Und der Rest der Kandidaten? Ist nett, angenehm fürs Auge und willig, Unterhaltung zu bieten. Bis auf Basti, der kein Callcenter-Mitarbeiter ist, sondern arbeitslos und hauptsächlich ängst­lich. Seitdem Mitbewohner Leon sich als schwul geoutet hat, lebt Basti in ständiger Angst davor, dass der sich nachts über ihn hermachen könnte – ganz so, als würden Schwule bei Männern das ausleben, wovon Heteros wie Basti bei Frauen anscheinend träumen. Aber immerhin, Basti scheint lernfähig, und bald kann er sicher auch furchtlos einschlafen. Neben Sonja. Was irgendwie passt.