Bonnies Daddy

Die Berlinale ehrt den Regisseur Arthur Penn. von esther buss

Wie alle Filmemacher New Hollywoods bezieht sich Arthur Penn ganz explizit auf Old Hollywood. Die Bild- und Genretraditionen des klassischen Hollywood-Kinos scheinen so etwas wie der Big Daddy zu sein. An ihm kommt man ebenso wenig vorbei wie an anderen übermächtigen Vaterfiguren, dem »System«, den amerikanischen Mythen. Penn ist insofern glei­chermaßen amerikakritisch wie erzamerikanisch. Seine ­Filme beschwören die nationalen Traumata, den Völkermord an den Indianern, die Ära der Depression, die Ermordung Kennedys, den Vietnam-Krieg.

Der Outlaw ist bei Penn die dissidente Figur schlechthin, seine Formen des Wider­stands reichen von hilflosem Aufbegehren über gewalttätige Rebellion bis hin zu Eskapismus. Der an einem Ödipus-Komplex leidende Billy the Kid in »The Left-Handed Gun« (1958), das legendäre Bankräubergespann »Bonnie and Clyde« (1967) oder der in den scheinbar machtfreien Raum der Subkultur flüchtende Country-Sänger Arlo Guthrie in »Alice’s Restaurant« (1969) sind nur einige Beispiele. Die Außenseiter in diesen Filmen sind immer sym­pathisch, haben sogar oft einen Hang zur Tollpatschigkeit – ambivalente Typen wie der manische Travis Bickle in Scorseses »Taxi Driver« leben auf einem anderen Pla­neten. Penns Figuren stolpern eher aus der Gesellschaft, als dass sie sich ihr als politische Rebellen oder Extremisten bewusst widersetzten.

Wenn Jack Nicholson in »The Missouri Breaks« (1976) notgedrungen einen Geldtransport überfällt und sich dabei nicht allzu schlau anstellt, muss selbst der Zugschaffner feststellen: »Sie sind wohl neu in dem Beruf.« Und Clyde Barrows erster Banküberfall ist das Werk eines echten Amateurs, denn die Bank ist gerade Pleite gegangen. Auch beim zweiten Versuch steuert alles auf eine Komödie zu. Der Fah­rer parkt pflichtbewusst den Wagen, anstatt die aus der Bank stürmenden Räuber in Empfang zu nehmen. Doch kurz darauf bekommt der Kassierer eine Kugel in den Schädel geballert. Mit komödiantischen, an frühe Slapstick-Filme angelehnte Szenen wiegt der Regisseur den Zuschauer gern erst mal in Sicherheit, um die Realität – die immer auch die Erfahrung der Gewalt bedeutet – umso heftiger einschlagen zu lassen.

Penn gilt als europäisch geschulter Links­liberaler, er hat am legendären Black Moun­tain College Philosophie und Psychologie studiert, später auch in Italien. Nach einigen Theatererfahrungen arbeitete er in den fünfziger Jahren in New York erfolgreich fürs Fernsehen. Es war das Golden Age of Live Television, das Medium wurde praktisch gerade erst erfunden.

Als Penn mit »The Left-Handed Gun« seinen ersten Kinofilm drehte, kamen ihm diese Erfahrungen zugute. Das Verhältnis zur Produktionsmaschinerie Holly­wood war jedoch schwierig. Nicht nur bei diesem Film wurde ihm der Schnitt aus der Hand genommen, bei einem anderen Projekt ersetzte man ihn sogar nach einigen Drehtagen durch einen anderen Regisseur.

Penns Filme sind eine Montage aus Versatzstücken des klassischen Hollywood-Kinos und einer von der französischen Nouvelle Vague inspirierten Filmsprache. Die Schnittstellen bleiben dabei deutlich sichtbar. Das funktioniert aber nicht immer. Einige seiner Filme fallen in ausgesprochen innovative und eher klassische Teile auseinander und wirken auf interessante Art und Weise inkonsis­tent; bauen Erwartungen auf, die dann enttäuscht werden. In »The Missouri Breaks« werden Jack Nicholson und Marlon Brando zunächst zu Gegenspielern, um dann den Showdown zu verpassen. Marlon Brando geht schlafen. Schnitt. Er wacht plötzlich mit durchschnittener Kehle auf, röchelt, guckt und stirbt. Das ist unbefriedigend.

Oder in dem frühen Film »The Mi­racle Worker« (1962) über die berühmteste Taubblinde, Helen Keller: Da gibt es eine fast zehnminütige grandiose Szene, in der die Lehrerin Annie Sullivan in einem hartnäckigen Zweikampf dem rebellischen Kind Tischmanieren beibringt. Diese Szene ist in ihrer körperlichen Wucht so intensiv und hat so viele kleine, feine dramaturgische Wendungen, dass sie fast als eigener Film funktioniert. Auch der Einsatz von Zeitlupen und Unschärfen ist für damalige Konventionen radikal, andere Teile des Films wirken dagegen fast konventionell inszeniert.

»Mickey One« (1965) ist der leicht angestrengte Versuch, einen amerikanischen Nouvelle-Vague-Film zu machen, »The Chase« (1966) behandelt Rassismus, sexuelle Frustration und Sozialneid auf etwas plakative Weise, bleibt aber durch eine sehr einprägsame Szene in Erinnerung, in der Marlon Brando in der Rolle des Sheriffs von einem aufgebrachten Mob minutenlang zusammengeschlagen wird. Die Szene, die die Erschießung des von Robert Redford gespielten Sträflings zeigt, erinnerte die damaligen Kritiker an die Ermordung des Kennedy-Attentäters Lee Harvey Oswald.

Aber nicht nur diese Szene wurde als zeitgeschichtlicher Kommentar gelesen. Penn hatte ein ausgesprochen gutes Gespür für die politischen, sozialen und kul­turellen Stimmungslagen seiner Zeit, und das war bis hin zu den letzten Filmen aus den Achtzigern immer die Zeit der sechziger Jahre. »Bonnie and Clyde« spielt zwar in den dreißiger Jahren, steht aber wie kaum ein anderer Film für das Lebensgefühl der Sechziger. Die Drehbuch­autoren David Newman und Robert Benton boten das Script zunächst Truffaut und Godard an, deren Filme sie extrem bewunderten, bevor Arthur Penn die Regie übernahm. Der Werbeslogan des Verleihs ver­kaufte Gewalt und Liebe als den cools­ten Scheiß: »They’re young … they’re in love … and they kill people.« »Bonnie and Clyde« ist weniger ein Film über die historische Barrow-Gang als über die Lust an der Selbststi­lisierung, Glamour und Pop. Faye Dunaway wirkt als toupiertes Blondie mit breitem schwarzen Lidstrich wie ein Sixties-Star direkt aus Andy Warhols Factory.

Die Schlussszene, in der Bonnie und Clyde von einem Kugelhagel durchlöchert werden und ihre zuckenden Körper dabei in Slow Motion einen eigentümlichen Tanz aufführen, machte die beiden endgültig zu Ikonen. Sie führen bis heute eine geisterhafte Existenz in zahlreichen Filmen über zornige und verliebte Gesetzesbrecher.