Salam heißt Frieden

In Madrid hat der Prozess wegen der Terroranschläge vom 11. März 2004 begonnen. Die Angeklagten leugnen jede Beteiligung und beschwören die friedlichen Absichten des Islam. von thorsten mense

Zu Beginn des Prozesses am Donnerstag vergangener Woche in Madrid war vor allem das äußere Szenario beeindruckend. In der Stadt wurde die Alarmstufe zwei ausgerufen, alle größeren Plätze sowie sämtliche wichtigen Institu­tionen werden für die Dauer des Prozesses überwacht, und über 300 Sicherheitskräfte patrouillieren rund um die »Casa de Campo«, wo der Prozess stattfindet. Bis zum Sommer sollen mehr als 600 Zeugen und 100 Gutachter gehört werden, das Material der Staatsanwaltschaft umfasst gut 100 000 Seiten. Die Verhandlung wird sowohl im Fernsehen als auch auf verschiedenen Internetseiten live übertragen. In dem Prozess, der knapp drei Jahre nach den Bombenanschlägen auf Madrider Nahverkehrszüge stattfindet, bei denen 191 Menschen ermordet wurden, sind insgesamt 29 Personen angeklagt, darunter neun Spanier. Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Gesamtstrafe beläuft sich auf über 270 000 Jahre Haft.

Den Angeklagten wird vorgeworfen, am 11. März 2004 wegen der Beteiligung spanischer Truppen am Irak-Krieg vier Züge in die Luft gesprengt zu haben. Bei den Attentätern soll es sich um einen losen Zusammenschluss von Gotteskriegern gehandelt haben, die sich zum Teil zufällig in Gefängnissen und Moscheen kennen lernten. Dem Bericht der Untersuchungskommission zufolge seien sie von al-Qaida nur »inspiriert« gewesen, sie benötigten demnach für das Massaker in Madrid lediglich etwa 50 000 Euro und ein paar gute Kontakte, um das Material für die Bomben zu besorgen.

Der Angeklagte Rabei Osman, der von den Medien nur »der Ägypter« genannt wird, erklärte gleich zu Beginn, dass er alle Anklagepunkte zurückweise und zu keinen Fragen Stellung nehmen werde. In den darauf folgenden Stunden konnte man dann einen sichtbar gelangweilten Angeklagten beobachten, während der Staatsanwalt ununterbrochen Fragen stellte, ohne auch nur eine Antwort zu erhalten. Erst am Nachmittag beantwortete Osman, der als einer der Haupt­verantwortlichen der Anschläge gilt, einige Fragen seines Anwalts.

Der zweite Verhandlungstag verlief ähnlich. Zwei weitere Hauptangeklagte, Youssef Belhadj und Hassan al-Haski, ließen die Fragen des Staatsanwalts regungslos über sich ergehen, um danach, befragt von ihren Anwälten, zu betonen, dass sie keinerlei Verbindungen zu den Anschlägen oder islamistischen Gruppen hätten, jede Form von Gewalt ablehnten und der Islam sowieso eine »Religion des Friedens« sei. »Salam heißt Frieden«, hatte Osman bereits am Tag zuvor einem Anwalt der Opfer erklärt.

Doch nicht nur die Angeklagten haben offensichtlich die Absicht, zu den Vorwürfen zu schweigen. Die dubiose Rolle der Polizei und des Geheimdiensts bei der Vorbereitung des Attentats (Jungle World 35/2005) dürfte im Prozess ebenfalls nicht zur Sprache kommen. Auch die offenen Fragen hinsichtlich der nicht-muslimischen Angeklagten José Emilio Suárez Trashorras und seines Schwagers Antonio Toro, die nicht nur die 200 Kilo Dynamit für die Anschläge besorgten, sondern zugleich als Informanten für die spanische Nationalpolizei tätig waren, werden wohl kaum beantwortet werden.

Von den linken Gruppen wird der Prozess kaum beachtet. Die Kommunistische Partei (PCE) forderte stattdessen in der vergangenen Woche, den ehemaligen Ministerpräsidenten José María Aznar wegen der spanischen Beteiligung am Irak-Krieg als Kriegsverbrecher anzuklagen. Aznar gab erst vor kurzem öffentlich zu, dass auch er sich getäuscht habe und es keine Massenvernichtungswaffen im Irak gebe. Dieses Eingeständnis kam dem PCE zufolge aber erst »600 000 Tote später«. Dass mit dem Abzug der spanischen Truppen aus dem Irak im April 2004 das Kalkül der Terroristen bereits kurz nach den Anschlägen aufgegangen ist, kommt in der öffentlichen Diskussion hingegen nicht zur Sprache.