Sparen, lernen, mobben

Konkurrenz und Klassenkampf von jörn schulz

Haben Sie schon einen Vertrag für die private Altersvorsorge abgeschlossen? Wenn nicht, ist es allerhöchste Zeit, denn die Regierung hat beschlossen, dass Sie auch noch für etwas anderes sparen müssen: für die Bildung.

Unter Bildung ist kein schöngeistiger Unfug zu verstehen. »Der Erfolg des Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt ebenso wie der von Unternehmen im internationalen Wettbewerb hängen davon ab, möglichst über die richtigen Qualifikationen zu verfügen und diese auch durch Weiterbildung auf dem neuesten Stand zu halten«, lehrt das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Dessen Gutachter Bert Rürup sieht »sowohl den Staat als auch den Einzelnen in der Pflicht, sich zu engagieren«.

Schockierend ist weniger, dass die Regierung und intellektuelle Feldwebel des Kapitals wie Rürup auf solche Ideen kommen. Das ist ihr Job. Weniger verständlich ist, warum IG Metall und Verdi fordern, dass der Staat »in bestimmten Fällen auch die Individuen in die Pflicht nimmt«, und meinen, dass die »Lernzeitkonten« mit »Mehrarbeitsstunden, Bildungsurlaubsansprüchen und Zeitansprüchen aus Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen etc. bestückt werden können«. Der Gedanke, dass diejenigen, die von der beruf­lichen Weiterbildung profitieren, nämlich die Unternehmen, sie womöglich allein finanzieren und durch Freizeitausgleich ermöglichen könnten, scheint kaum noch jemandem zu kommen.

Es mangelt an Anspruchsdenken. Das war nicht immer so. Individuelles und kollektives Krankfeiern, Sabotage und die Enteignung von Firmeneigentum waren in den siebziger und achtziger Jahren Widerstandsformen, derer sich auch unpolitische Lohnabhängige bedienten.

Als im Jahr 1973 etwa 300 überwiegend türkische Beschäftigte der Autoindustrie entlassen wurden, weil sie ihren Urlaub eigenmächtig verlängert hatten, kam es zu spontanen Streiks. Wer von den Arbeitern verlangt hätte, sie sollten ein wenig von ihrem Gehalt opfern und Überstunden machen, damit sie lernen können, die Autos schneller zusammenzuschrauben, wäre ausgelacht worden oder hätte gleich ein paar hinter die Löffel bekommen. Die Ansprüche der Lohnabhängigen an das Leben sind seitdem immens gesunken.

Unter radikalen Linken ist es üblich, für den Mangel an Klassenkämpfen vor allem die Gewerkschaftsbürokratie verantwortlich zu machen. Doch 1973 kümmerte das Entsetzen der IG-Metall-Führung über den von ihr nicht genehmigten Streik die Arbeiter wenig. Ein großer Teil der Lohnabhängigen hat mittlerweile das Konkurrenzverhältnis verinnerlicht, nicht nur bei der Verteidigung des Standorts gegen Heuschrecken und Chinesen, sondern, was für den alltäglichen Kleinkrieg im Betrieb noch bedeutsamer ist, auch im Umgang mit den Kollegen.

Die Unternehmensleitungen fördern die Konkurrenz nach Kräften, und da recht viele Deutsche ihren Mitmenschen nicht einmal den Dreck unter den Fingernägeln gönnen, haben sie häufig leichtes Spiel. Wenn die Beschäftigten über das Ziel hinausschießen, verordnet das Management eine Supervision gegen das »Mobbing«, was seine Macht weiter stärkt. Wo diese Mechanismen nicht funktionieren, kann es auch heute noch zu kleinen und großen Arbeitskämpfen kommen. Ein isolierter Lohnabhängiger dagegen sieht häufig keine andere Chance, als ein Lernzeitkonto anzulegen, damit nicht er, sondern der Kollege neben ihm bei der nächsten Entlassungsrunde dran ist.