Gebären um jeden Preis

In Nicaragua drohen Frauen, die abtreiben, 30 Jahre Gefängnis. Das restriktive Gesetz wurde mit Zustimmung der Sandinistischen Befreiungsbewegung verabschiedet. von jessica zeller

Nicaragua ist heute vor allem eins: arm, ohne rechtsstaatliche Strukturen und von der Macht korrupter Parteien und der katholischen Kirche geprägt.« Das Urteil von Violeta Delgado über das ehemalige Vorzeigeland der Solidaritätsbewegung klingt ziemlich vernichtend. Delgado gehört der unabhängigen Frauenbewegung (MAM) und der Sandinistischen Erneuerungsbewegung (MRS) an. Anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März ist die 37jährige auf Deutsch­land-Reise. Ihr besonderes Interesse besteht darin, über das neuerdings bestehende vollständige Abtreibungsverbot in Nicaragua zu berichten und zum internationalen Protest dagegen aufzurufen.

Kurz bevor Daniel Ortega von der Sandinistischen Befreiungsbewegung (FSLN) im November 2006 zum Präsidenten gewählt wurde, hatte die nicaragua­nische Nationalversammlung im Schnellverfahren ein Gesetz verabschiedet, das es sogar im Falle einer Gefahr für das Leben der Frau unter Strafe stellt, die Schwangerschaft abzubrechen. Den Frauen und Ärzten, die Abtreibungen durchführen, drohen Gefängisstrafen zwischen sechs und 30 Jah­ren. Vorher war die »therapeutische Abtrei­bung« erlaubt, wenn entweder die Gesund­heit der Frau oder des Embryos in der Schwan­gerschaft gefährdet waren. Besonders brisant an dem Beschluss war die Tatsache, dass nicht nur, wie in den vergangenen Jahren, die liberal-konservativen Parteien des Landes dafür stimmten, sondern auch die vermeintlich linke FSLN.

»Das war schon ein ziemlicher Schock, dass aus wahlstrategischen Überlegungen elementare Frauenrechte missachtet wurden und ein derartiges Gesetz auf den Weg gebracht wurde«, sagt Delgado. Die FSLN hatte die Entscheidung als »temporär« not­wendig angesichts der bestehenden Macht­verhältnisse bezeichnet. Delgado glaubt nicht an einen baldigen Sinneswandel: »Der Präsident macht nicht den Eindruck, als ob er das Thema noch mal zur Debatte stellen will. Seine Gattin Rosario Murillo ist vehement dagegen. Aber die Sandinisten verprellen ihre eigene Anhängerschaft, vor allem die Frauen.« Denn auch wenn die nicaraguanische Gesellschaft sehr konservativ sei und Abtreibung auch unter Linken bis vor wenigen Jahren ein Tabuthema gewesen sei, wolle die Mehrheit der Bevölkerung keine Situation wie in El Salvador. Dort werden Krankenhäuser von Po­lizisten bewacht, um schwangere Frauen, die eine Abtreibung vornehmen wollen, abzufangen und festzunehmen.

Delgados Organisation hat sich deshalb einem so­zialen Bündnis angeschlossen, um zumindest das alte Gesetz wieder durchzusetzen, auch wenn sie, wie die meisten Frauenrechtlerinnen in Lateinamerika, für Selbstbestimmung und die reproduktiven Rechte der Frauen eintritt. Der Anlass für die Kam­pagne ist die Reform des Strafgesetzbuchs, die im Laufe dieses Jahres verabschiedet werden soll. Dann wäre eine erneute Diskussion über Abtreibung mög­lich und auch über die Frage, inwieweit das 1992 verabschiedete Gesetz, das es homosexuellen Paaren verbietet, sich öffentlich als solche zu zeigen, weiter Bestand haben soll.

Bereits vor der Gesetzesänderung gab es kaum legale Abtreibungen, im Jahr 2005 waren es nur sechs. Die Zahl der illegalen Schwan­gerschafts­abbrüche wurde auf mehr als 30 000 geschätzt. Offizielle Zahlen darüber, wie viele Frauen in Nicaragua seit Ende 2006 illegal abgetrieben haben, gibt es nicht. Bekannt geworden sind bislang drei Todesfälle. Auf die Frage, welche Mög­lichkeiten schwangere Nicaraguanerinnen haben, die kein Kind wollen, antwortet Delgado: »Die armen Frauen machen es allein unter sehr gefährlichen Bedingungen und sterben häufig. Die, die es sich leisten können, gehen in teure private Kliniken, vor allem im Nachbarland Costa Rica.« Und mit einem verschmitzten Lächeln fügt sie hinzu: »Und die reichen Linken fliegen für ein paar Tage nach Kuba.«