Wenn das Mao wüsste!

China einmal anders: Der Dokumentarfilm »Beijing Bubbles« porträtiert die Punk- und Rock-Subkultur in Peking. von markus ströhlein

Menschen sind seltsam«, sagt Bian Yuan. Er denkt kurz nach und ergänzt den Satz, den er bei den Doors entlehnt hat: »Aber in China sind die Menschen noch seltsamer.« Dann sieht er seine Freundin an, die neben ihm sitzt. Sie beginnt zu kichern, er kichert ebenfalls. Verlegen blicken beide in die Kamera.

Diese ersten Sätze beschreiben das Verhältnis recht gut, das zwischen den Protagonisten des Dokumentarfilms »Beijing Bubbles« und ihrer Umwelt besteht. Sie spielen in den Bands Joyside, Hang on the Box, Sha Zi, New Pants und T9. Ihre Musik bedeutet ihnen alles. Denn was hat die Welt sonst zu bieten?

Bian Yuan, der Sänger der Punkband Joyside, führt die Filmemacher durch diese Welt. Mit den anderen Bandmitgliedern und seiner Freundin wohnt er in einer heruntergekommenen Wohnung in Peking. Sie ist billig und deshalb die richtige Bleibe für die jungen Leute. »Harte Arbeit lohnt sich nicht«, sagt Yuan. Einem Job geht er folglich nicht nach. Er schnorrt sich durch. Die gelegentlichen Auftritte bringen etwas Geld. Aber so hat der Sänger wenigstens Zeit, seinen Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen: »Ich möchte nur singen, trin­ken und ficken!« Auf einer Grünfläche vor dem Hoch­haus, in dem sie leben, lassen die Musiker einige Ma­ri­hua­na­pflanzen wachsen.

Die Kamera folgt der Band und ihrem Sänger unaufdringlich durch Peking. Die Berliner Filmemacher Susanne Messmer und George Lindt dokumentieren zwar Punk und Rock in der chinesischen Hauptstadt. Doch neben den Musikern spielt die Stadt die Hauptrolle, ihre auf Hochglanz gebrachten Bankgebäude und Einkaufszentren, das Nacht­leben in den Clubs und Bars und auch die Armutsviertel, in denen die Menschen mit dem Sammeln von Müll und Straßenverkäufen ihr Leben bestreiten.

Doch gleichgültig, wo sich Yuan bewegt: Die Leute, die er für seltsam hält, haben anscheinend denselben Eindruck von ihm. Das ist nicht verwunderlich. Mit seinen struppigen Haaren, einer roten Sonnenbrille, einem knallbunten Hemd, lackierten Fingernägeln und einer zerschlissenen Jeans hebt er sich von den modischen Gepflogenheiten auf Pekings Straßen eindeutig ab.

Liu Donghong, Sänger und Gitarrist von Sha Zi, sagt, was Yuan mit seiner Kleidung zeigt: »Wir wollen kein Teil dieser Gesellschaft sein.« Seine Zeit verbringt Donghong meist zuhause, wo er mit seinem Bandkollegen melancholische Bluessongs spielt. Einmal besucht er seine Mutter, die ihn darin bestärkt, Musik zu machen. Und er führt das Filmteam zum Platz des Himmlischen Friedens. Dort deutet er auf die »Große Halle des Volkes«, das Tagungsgebäude der Kommunistischen Partei. Lakonisch stellt er fest: »Einige wirklich schlechte Ideen kommen aus diesem Gebäude. Tausende Menschen heben ihre Hand für ein Gesetz, und niemand sagt: Nein!« Und dann erzählt er, wie er als Teenager von dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 erfuhr, wie er die Hoffnung verlor, dass sich die Freiheit erkämpfen lassen könnte, wie er von diesem Tag an den Lehrern und Parteikadern kein Wort mehr glauben konnte. Seit langem schreibt Donghong nun schon Bluessongs. Und wenn er das nicht tut, sitzt er stundenlang in seiner Wohnung und denkt nach.

Sich abzukapseln, die Verbindung mit der Außenwelt auf das Notwendigste zu verringern, ist auch Yiliqis Strategie. Die Zeit, in der er mit seiner Band T9 Grunge und Hardcore gespielt hat, sind vorbei. Er hat den mongolischen Obertongesang erlernt. Die meisten sozialen Kontakte habe er allmählich beendet, sagt der Mittzwanziger. Das störe ihn nicht, er wolle nur Musik machen. Sie ist es auch, die ihn noch dazu bewegt, vor die Haustür zu gehen, wenn er in den Bars der Stadt mit seiner neuen Band traditionelle, mongolische Songs vorträgt.

Ein Mitglied der New Pants gibt verlegen seine Art, sich abzuschotten, vor der Kamera preis. »Ich will nicht erwachsen werden«, sagt der Musiker und lächelt. Mit seinen Bandkollegen betreibt er einen kleinen Laden, in dem er Spiele und Puppen verkauft, die den Mitgliedern von Bands wie Kiss und den Ramones nachgebildet sind. Wenn man schon hinaus muss in diese Welt, dann will man sich eben nicht ab einem bestimmten Alter einreihen. Und so handeln die Songs der New Pants von den Nöten der Teenager. In Poppunk verpackt, erzählen sie die melancholischen Geschichten von den Jungs, für die das hübsche Mädchen in der Klasse unerreichbar bleibt. Dennoch wird klar, dass zwischen den Zeilen andere unerreichbare Dinge besungen werden.

Aggressionen, Entladungen werden nur in den abgeschlossenen Räumen der Clubs sichtbar, wenn sich die Kamera ins Getümmel der jungen Leute begibt, die entfesselt tanzen und herumspringen, wie man es auch von Punkkonzerten in Europa kennt. Offensiv werden lediglich Hang on the Box in ihren Texten. »Bitch« oder »Asshole, I’m not your baby« heißen die Songs der drei Riot Girls und ihres Gitarristen. Doch wer der chinesischen Männergesellschaft solche Worte entgegenschleudert, gerät schnell an die Grenzen des Erlaubten. Wang Yue, die Sängerin der Postpunk-Band, weiß, was sie während eines Auftritts tun darf und was nicht: »Ich pisse nicht mehr auf die Bühne. Da bekommt man nur Ärger mit der Polizei.«

Unter welchen Bedingungen all die porträtierten Menschen ihrer Musik nachgehen, lässt schon die Kameraführung nach einer Weile erahnen. Die Filmemacher hatten keine offizielle Drehgenehmigung. Die Auf­nahmen an öffentlichen Orten mussten zum Teil versteckt gemacht werden. Und so weicht das Staunen über die schillernde Stadt, die die Kulisse für den Film liefert, einer teilweise bedrückenden Stimmung, wenn das eigene Auge dem Blick der Kamera folgt, der ein versteckter, von Entdeckung gefährdeter ist.

Offen geht es nur in den kleinen, eigenen Welten zu, die sich die Musiker geschaffen haben und die in manchen Fällen nur wenige Quadratmeter einnehmen. Hier überlässt sich die Kamera diesen Personen. Sie erzählen von ihrem Alltag, ihren Träumen, nehmen das Geschehen in die eigene Hand, führen das Filmteam herum. Es gibt keine Kommentare aus dem Off, nur vereinzelte Zwischenfragen der Regisseure. Der Film fordert nie, ist zu keiner Zeit voyeuristisch. Vielmehr zollt er all diesen Einzelgängern Respekt, die in einem Land dem Eigenbrötlertum nachgehen, in dem allzu individualistische Anwandlungen nicht gern gesehen sind.

So ist »Beijing Bubbles« weit mehr als eine Musikdokumentation. Der Film zeigt Außenseiter in einer konformistischen und repressiven Gesellschaft. Vieles lässt sich an ihnen in den 80 Minuten entdecken. Und doch hätte man gern noch mehr gewusst. Da die Regisseure keinem vorgefertigten Skript zu folgen scheinen und sich eher von den Musikern leiten lassen, ergeben sich die Einblicke recht zufällig. Und manche Fragen bleiben offen: Aus welchem sozialen Milieu kommen diese Menschen? Wie sind sie so geworden? Und warum?

Beeindruckend ist »Beijing Bubbles« dennoch. Das Wort »Lebensgefühl« mag noch so abgedroschen sein. Aber man kann nachempfinden, wie betrogen sich die Musiker von der Modernisierung in China fühlen. Man kann ihre Desillusionierung, ihren Zynismus, ihren Rückzug und ihren hemmungslosen Hedonismus verstehen. Und besteht nicht doch wenigstens eine geringe Aussicht darauf, dass sich etwas ändert? Bin Yuan zitiert ein zweites Mal die Doors: »Nobody gets out alive!« Und er fügt hinzu: »Out of China!« Im April und im Mai ist er mit Joyside auf Tour in Deutschland und Österreich.

Beijing Bubbles (Deutschland/China 2006). Regie: ­Susanne Messmer und George Lindt. Start: 19. April