Lieber leise sein

Die Gay Parade in Moskau wurde in diesem Jahr erneut verboten. Angesichts der weit verbreiteten Homophobie verzichten viele russische Schwule und Lesben auf Öffentlichkeit. von ute weinmann

Alle Jahre wieder im Mai bemüht sich eine kleine Gruppe Moskauer Bürger vergebens um eine Genehmigung für eine Gay Parade. Auch dieses Mal zeigte sich Bürgermeister Jurij Luschkow unnachgiebig. Dabei sieht das Konzept des Leiters von »GayRussia.ru«, Nikolaj Aleksejew, keine in irgendeiner Weise anstößige Parade vor, sondern lediglich eine brave Demonstration für die Gleichbehandlung und die Rechte Homosexueller in der russischen Gesellschaft.

Denn trotz der Abschaffung des berüchtigten Artikels 121 des russischen Strafgesetzbuchs im Jahr 1993, der für freiwillige sexuelle Beziehungen unter Männern eine Haftstrafe von fünf Jahren vorsah, sehen sich Homosexuelle tagtäglich zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt. Gleichzeitig existieren vor allem in den Großstädten nicht wenige Nischen. Solange Schwule und Lesben nicht den Anspruch erheben, in der Öffentlichkeit Präsenz zu zeigen, so der unausgesprochene Grundkonsens, stellt die Nischen normalerweise niemand in Frage. Demnach überwiegen unter schwullesbischen Gruppen jene Stimmen, die den geltenden Status Quo beibehalten und nicht durch Demons­trationen gefährden wollen.

Wohlwollende Kritiker einer Gay Parade dürfen sich von der Moskauer Filiale der Kremlpartei »Das gerechte Russland« hingegen bestätigt fühlen. In einer öffentlichen Erklärung war zu lesen: »Wir sind nicht befugt und auch nicht in der Lage, homosexuelle Beziehungen als solche zu verbieten. Doch wer diese anpreist und anderen seine ›Normen‹ aufzwängt, muss strafrechtlich verfolgt werden.« Eine entsprechende Gesetzesinitiative soll demnächst folgen. Der Abgeordnete Andrej Samoschin will in der Parade gar einen »direkten Aufruf zur Perversion« ausfindig gemacht haben.

Bereits im vergangenen Jahr gingen Rechts­radikale und klerikale Gruppen in die Offensive und provozierten durch gewalttätige Übergriffe auf Lesben und Schwule eine pogromartige Stimmung. Verletzungen trug damals auch der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck davon, was ihn nicht von einer erneuten Reise nach Moskau zur diesjährigen Demonstration abhielt. Die russische Botschaft verweigerte ihm zwar ursprünglich die Einreise, erteilte ihm jedoch später mit einer neuen Einladung das nötige Visum.

Pikanterweise stammte jenes Dokument ausgerechnet von dem für seine rechtspopulistischen und chauvinistischen Äußerungen bekannten stellvertretenden Vorsitzenden des Verfassungsausschusses in der Duma, Aleksej Mitrofanow. Er hat unlängst als einziger Duma-Abgeordneter seine Sympathien für die Gay Parade entdeckt und deren Verbot kritisiert. Ob seine Liberaldemokratische Partei LDPR unter dem Vorsitz des rechtsextremen Wladimir Schirinowski ein längerfristiges Engagement für schwullesbische Interessen plant oder im Wahljahr lediglich ihr Image europakompatibel gestalten will, steht noch offen.

Sicher ist dagegen, dass Mitrofanows unerwarteter Beistand dazu führte, dass die Unterstützer der Gay Parade sich heillos zerstritten haben. Der Chef des Organisationskomitees, Nikolaj Aleksejew, sah sich wegen seiner Annäherung an die LDPR nicht nur Anfeindungen aus den eigenen Reihen ausgesetzt, sondern auch mit kurzfristig organisierten Konkurrenzveranstaltungen konfrontiert. Die für Sonntag geplante Übergabe einer Protestnote an den Bürgermeister scheiterte am großen Milizaufgebot und der Präsenz von orthodox Gläubigen, Rechtsradikalen und Mitgliedern des kommunistischen Jugendverbandes SKM. Größere Eskalationen wollte die Miliz zwar vermeiden, schritt jedoch erst nach gewalttätigen Übergriffen rechter Skinheads ein.

Aleksejew kündigte am Wochenende indes seine Kandidatur für die Dumawahlen im kommenden Herbst an. Womöglich wird er zum ersten bekennenden schwulen Abgeordneten gewählt, noch bevor in Russland auch nur eine einzige Gay Parade über die Bühne geht.