Strategie der Krise

Ein neues Buch zweier israelischer Journalisten enthüllt, welche Rolle die Sowjetunion im Sechstagekrieg gespielt hat. von karl pfeifer

Die Yale University Press hat 40 Jahre nach dem Sechstagekrieg ein Buch publiziert, das einige überraschende Erkenntnisse über die sowjetische Politik vor, während und nach dem Juni 1967 bietet. Die beiden Autoren, die israelischen Journalisten Gideon Remez und Isabella Ginor, hörten schon vor vielen Jahren von Einwanderern aus den GUS-Staaten von der angeblichen Bereitschaft der Roten Armee, in den bewaffneten Konflikt einzugreifen, doch widersprachen diese Gerüchte der offiziellen Version der Geschichte, wonach die Sowjet­union zwar vor diesem Krieg eine zwielichtige Rolle spielte, jedoch nicht direkt intervenierte.

Isabel Ginor, die aus der UdSSR nach Israel einwanderte, durchblätterte vor ein paar Jahren eine ukrainische Zeitschrift und stieß auf die Erinnerungen eines ehemaligen sowjetischen Marineoffiziers, der schilderte, wie er während dieses Krieges den Auftrag erhielt, 30 »Freiwillige« auszusuchen und mit ihnen an der israelischen Küste zu landen. Zunächst waren die Autoren skeptisch, doch im Laufe ihrer Recherchen wurde diese Schilderung von anderen Quellen bestätigt. Und das war erst der Anfang.

Der Titel des Buches, »Foxbats over Dimona«, weist darauf hin, dass das sowjetische Verhalten auch eine Reaktion auf die israelische Entwicklung von Atomwaffen in Dimona war. »Foxbat« nannte die Nato das spätere MIG 25-Jagdflugzeug, das damals nur von sowjetischen Piloten geflogen werden durfte. Und tatsächlich hatte ein solches Flugzeug den Reaktor Dimona im Süden Israels bereits am 17. und 26. Mai 1967 überflogen. Die Zerstörung des Atom­komplexes in Dimona war nicht nur das wichtigste Kriegsziel Ägyptens, sondern auch der UdSSR. Nach dem Erscheinen dieses Buches wurde auf der Website des russischen Verteidigungsministeriums offiziell bestätigt, dass sowjetische Piloten diese Flüge durchführten.

Im Buch wird nachgewiesen, dass die sowjetische Führung bemüht war, Israel zum Erstschlag zu provozieren – was ja gelungen ist –, um dann gegen den »Aggressor« auf Seiten der angegriffenen arabischen Staaten zu intervenieren. Doch die Vernichtung der arabischen Luftwaffe am 5. Juni vereitelte den sowjetisch-arabischen Plan. Die sowjetischen Operationen wurden eingestellt, erst nach dem israelischen Angriff auf Syrien zum Teil wieder aufgenommen und erst gestoppt, als Israel einen Waffenstillstand mit Syrien akzeptierte.

Das Scheitern des Plans führte später zu einer Verschleierung der sowjetischen Absichten bei der Anstiftung ihrer arabischen Verbündeten.

Ende 1965 wurde die Sowjetunion von Moshe Sneh, damals Chef der israelischen KP, über die israelischen Pläne, Atom­bomben zu produzieren, informiert. Sneh seinerseits erhielt seine Informationen von Isser Harel, dem ehemaligen Chef von Shin Bet und Mossad sowie Sicherheitsberater der Regierung, der wusste, dass seine Informationen weitergeleitet werden. Auf dem Umweg über die Sowjet­union erreichten sie Nasser, der bereits Anfang 1966 einen Präventivschlag gegen Israel erwog.

Während Harel mit voller Absicht die Information über die Entwicklung der Atomwaffe weitergab, so war die Flucht des Atomtechnikers Mordechai Vanunu nicht von den Israelis geplant. Dieser ver­suchte, bevor er sich an die Londoner Sun­day Times wandte, sein Material der sowjetischen Botschaft in Kathmandu, Nepal, anzubieten, es wurde aber in Folge eines »kolossalen Fehlers« von der dortigen KGB-Filiale abgelehnt.

Die Entwicklung von Atomwaffen durch Israel machte die sowjetische Drohung mit einem nuklearen Angriff gegenstandslos, die Sowjets sahen diese Waffe in den Händen der Israelis auch als Bedrohung ihrer Südflanke.

Anfang 1967 wurde die sowjetische Flotte im östlichen Mittelmeer verstärkt, Nasser wurde ein »nuklearer Schirm« versprochen. Am 17. Mai beschwerte sich der Kommandant der sechsten amerikanischen Flotte öffentlich darüber, dass der sowjetische Flottenaufmarsch ihre Möglichkeiten beschränkte.

Obwohl die sowjetischen Nachrichtendienste – wie die Autoren bestätigen – zuverlässige Quellen in Israel hatten, gaben sie offensichtlich falsche Informationen über angebliche israelische Truppenkonzentrationen an der syrischen Grenze weiter.

Knapp vor dem Krieg trafen der Leiter des Mossad und der stellvertretende Leiter des militärischen Nachrichtendienstes, Oberst Yigal Carmon, mit dem Leiter der CIA in Israel zusammen, und die Autoren zitieren aus dem Protokoll einer dramatischen Diskussion, in der die israelische Seite auf die Gefahr einer direkten Konfrontation zwischen der UdSSR und den USA aufmerk­sam machte. Oberst Carmon schätz­te die Lage richtig ein: »Laut unseren Berichten war die sowjetische Flotte bereits auf ihrem Weg in das Schwarze Meer. Nun haben wir erfahren, dass sie in unserer Nähe sind. Die Sowjets riskieren was, denn wenn sie diese Runde verlieren, dann verlieren sie den Nahen Osten.«

Nach der so genannten Wende wurde in den Stasi-Archiven der Text von Leonid Bresch­news geheimer Rede im ZK der sowjetischen KP nach dem Sechstagekrieg entdeckt, der u.a. die vom Politbüro ange­ordnete notorische sowjetische Des­infor­mationskampagne über die angebliche israelische Konzentration von Truppen, die gegen Syrien kämpfen sollten – was die Krise Mitte Mai 1967 auslöste –, bestätigte und bewies, dass dieser strategische Schritt auf oberster Ebene beschlossen wurde und Ägypten einverstanden war, darauf zu reagieren.

Aus Österreich erhielten die Autoren einen wichtigen Bericht der österreichischen Botschaft in Tel Aviv von Juni 1967, der schlüssig bestätigte, was Israel immer dementierte – dass die israelische Armee sowjetische Offiziere gefangen nahm, die man still und heimlich der sowjetischen Botschaft übergab und die mit den Botschaftsangestellten nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen am 10. Juni 1967 Israel verlassen konnten.

Remez und Ginor haben ein gründlich recherchiertes und spannendes Buch über den Kalten Krieg im östlichen Mittelmeerraum geschrieben und die bisherige Historiografie eindeutig widerlegt. Die sowjetische Rolle in der Krisensituation beruhte nicht auf einem Irrtum oder einer Fehleinschätzung, sondern auf Kal­kül.

Isabella Ginor/Gideon Remez: Foxbats over Dimona: The Soviets’ Nuclear Gamble in the Six-Day War. Yale University Press, 2007