»Wir haben andere Werte entdeckt«

Sie ist die erste Transsexuelle in einem europäischen Parlament. Die Kommunistin vladimir luxuria über die Gay Parade in Italien, die Offensive des Vatikan unter Joseph Ratzinger und den umstrittenen Wunsch von italienischen Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen nach »Normalität«.

Die italienische Gay Parade stand unter dem Motto »Gleichheit, Laizität, Würde«. Warum hat sich die GLBT-Bewegung (schwul-lesbisch-bi-transgender) für diese Parole entschieden?

Wir fordern Gleichheit, weil wir nicht als Staatsbürger oder Familien zweiter Klasse angesehen werden wollen. Wir wollen entsprechend dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichheit behandelt werden. Der Unterschied zwischen einer »echten« und einer »unechten« Familie wird nicht durch die sexuelle Orientierung der Familienmitglieder bestimmt, sondern durch Zuneigung, Partnerschaft, Aufmerksamkeit und Gewaltlosigkeit.

Laizität ist ein großes Thema in vielen Ländern, nicht nur in Italien. Allerdings hat sich die katholische Kirche in Italien nach der Wahl von Joseph Ratzinger zum Papst auffällig und auf unverschämte Art und Weise in die Diskussion um ethische Fragen eingemischt. Im Hinblick auf diese Themen hat der Vatikan sogar einen Dekalog herausgegeben, eine Art zehn Gebote, an die sich die katholischen Abgeordneten halten sollen.

Wir fordern mehr Würde, weil es uns nicht nur um die rechtliche, sondern auch um die kulturelle Anerkennung geht. Über uns soll in angemessener Weise und im richtigen Ton gesprochen werden, so­wohl in den Massenmedien als auch im Parlament, in den Schulen und in den Familien. Wir wollen, dass bedacht wird, wie schwer ein einzelnes Wort wiegen kann, Homosexualität soll nicht länger als Vorläuferin für Pädophilie und Inzest bezeichnet werden dürfen.

Vorurteile und Ressentiments gegen Homo- und Transsexuelle sind tief in der italienischen Gesellschaft verwurzelt. In den vergangenen Monaten hat die Gewalt noch zugenommen. Wie erklären Sie sich das?

Die Gewalt hat zugenommen, vor allem weil man hinsichtlich eines Gesetzesentwurfs, der auch homo­sexuellen Paaren Rechte garantiert, eine soziale Panik erzeugt hat. Man hat uns wiederholt beschul­digt, wir würden die Familie bedrohen, jene »natürliche«, potenziell fortpflanzungsfähige Gemeinschaft, die auf der Ehe basiert. Mit dieser Verschärfung des Tons gab es auch eine Steigerung der Gewalt: Es gibt hierzulande jeden Monat eine tote Trans­sexuelle. In Turin hat sich ein Schüler umgebracht, weil er in der Schule wiederholt als »Schwuchtel« beschimpft wurde. Dabei zeigen die Daten nur die Spitze des Eisbergs, denn leider leben viele ihr Schwulsein nicht offen aus, die Scham ist immer noch sehr groß. Homophobe Gewalttaten werden oft nicht einmal angezeigt, weil mit der Anzeige die eigene Homosexualität eingestanden würde. Das heißt, sehr häufig können die Täter nicht nur Gewalt ausüben, in den meisten Fällen bleiben sie noch dazu ungestraft.

Selbst die moderaten linken Parteien tun sich schwer mit der Gesetzesvorlage. Der Kampf gegen die Diskriminierung von Homo- und Transsexuellen gehört nicht unbedingt zur linken Tradition. Sie sind über die Liste von Rifondazione Comunista ins Parlament gewählt worden. Wie sind Ihre Erfahrungen in der Partei?

Meine Aufnahme in die Rifondazione und die Reaktionen an der Wählerbasis, meine Erfahrungen in politischen Initiativen und bei öffentlichen Debatten zeigen mir, dass die Arbeiter verstanden haben, dass der Kampf für Gerechtigkeit und Würde immer derselbe ist, egal ob er gegen ein un­menschliches Arbeitsrecht geführt wird oder ob es darum geht, die persönliche Würde zu verteidigen. Was den Kampf für zivile Rechte für alle angeht, ist die ra­dikale italienische Linke schon viel weiter als die moderate Linke.

Die GLBT-Bewegung hat sich also dem Kampf um die rechtliche Gleichstellung verschrieben. Werden durch die Anpassung an die Norm und eine vermeintliche Normalität diejenigen, die dieses Modell ablehnen, nicht erst recht ausgeschlossen?

Ich glaube, Politiker müssen die Realität anerkennen. Wenn wir uns die Daten anschauen, leben in Italien 65 Prozent der Lesben und 45 Prozent der Schwulen in festen Beziehungen. Dass heißt, dass es immer noch viele Schwule gibt, die gerne als Single leben oder mit wechselnden Partnern, aber es gibt eben auch viele Schwulen und Lesben, die seit Jahren feste Partner haben.

Komischerweise bildet heute der eher traditionelle, konservative Wunsch, als Familie anerkannt zu sein und Verantwortung und Pflichten zu übernehmen, weniger ein regressives als ein revolutionäres Element im Kampf gegen Homophobie.

Im Hinblick auf die gegenwärtige italienische Gesellschaft mögen Sie Recht haben, doch als Mario Mieli 1977 seine »Elemente für eine homosexuelle Kritik« veröffentlichte, verband er mit dieser noch die Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Ist davon nichts geblieben?

Mario Mieli gehört in den Kontext der siebziger Jahre, in die Zeit der sexuellen Befreiung. Früher war es viel schwieriger, sich ein Leben zu zweit vorzustellen, weil man zuerst daran zu denken hatte, das Existenzrecht für sich als Person einzuklagen. Heute ist das anders. Ich glaube, dass Aids die Bewegung sehr verändert hat. Wir haben andere Werte entdeckt, die der Fürsorge, der Solidarität. Vor allem am Anfang haben wir die Pflege unserer kranken Freunde übernommen, dadurch haben wir mehr als nur den Körper des anderen entdeckt.

In den siebziger Jahren hieß es: Ich ficke, also bin ich. Es war die Zeit, in der auch in der Schwulenszene Jugendlichkeit und Körperkult triumphierten. Dann aber kam diese schreckliche Krankheit, die uns viele Freunde genommen hat. Ich glaube, dass sich danach in der Bewegung ein anderer Gedanke entwickelt hat. Heute sind die sexuelle Freiheit, der schnelle Sex nur noch eine Op­tion, nicht mehr der einzige Weg.

Ihr Name ist also weniger Programm und mehr Erinnerung?

Luxuria steht für Unzucht, diese halte ich nicht für eine Sünde, nicht wenn sie in gegenseitigem Einvernehmen stattfindet, sinnlicher Überschwang ist eine große Freude. Etymolo­gisch steht der Name auch für eine üppige Ve­getation, für Spontaneität und nicht zuletzt für Illumination, für die Erleuchtung durch die Sinne. Es ist aber vor allem mein Künstlername. Als ich mit der Politik angefangen habe, habe ich ihn beibehalten, weil man mich unter diesem Namen kennt.

Bleibt Ihnen fürs Theater überhaupt noch Zeit?

Ich muss auswählen, kann nicht alles machen, was mir angeboten wird, und es ist viel. Zwischendurch, vor allem am Wochenende, gebe ich noch Theatervorstellungen. Ich brauche das, damit ich nicht den Kontakt zu meiner Welt verliere und weil es mir Spaß macht.

interview: catrin dingler