Warum ist es im Iran so schön?

Die Filmszene Irans war auch in diesem Jahr auf der Berlinale vertreten. Die Faszination am iranischen Kunstkino scheint ungebrochen. Der ideologische ­Gehalt der Filme wird dabei gerne ­übersehen. Von Tobias Ebbrecht

Als vor zwei Jahren auf der Berlinale gleich sechs Filme aus dem Iran gezeigt wurden, protestierten im Exil lebende iranische Filmemacher gegen diese Entscheidung der Festivalleitung. In zwei offenen Briefen erklärten sie, die Filme dienten den »kulturellen Zwecken des islamischen Gottesstaates, sich auf der internationalen Bühne als moderat zu zeigen«. Der Regisseur Mansour Ghadarkhah kritisierte damals: »Den so genannten kulturellen Dialog kann man nicht als Ausrede vorschieben, denn ein faschistisches Regime wie das des Iran beherrscht auch diesen Bereich komplett. Dabei lässt es sogar einige ›Problemfilme‹ zu, um ein Alibi dafür zu haben, dass doch keine Zensur herrschen würde.«

Vor zwei Jahren reagierte die Berlinaleleitung mit Achselzucken. Auch in diesem Jahr waren Beiträge aus dem Iran vertreten, besonders prominent der neue Film des iranischen Regisseurs Majid Majidi, »Lied der Spatzen«, um dessen Teilnahme im Wettbewerb sich Berlinalechef Dieter Kosslick persönlich in einem Brief an Majidi bemühte.

Wirft man einen Blick auf die Geschichte der iranischen Filmpolitik seit der islamischen Revolution 1979, zeigt sich die besondere Bedeutung, die das Kino für das Regime im Iran spielt. Das war allerdings zunächst keineswegs ausgemacht. Als Institution von westlicher Dekadenz galt der Film während der Revolution als Symbol des alten Regimes, das mit allen Mitteln bekämpft werden musste. Neben Banken fielen vor allem Kinos der Zerstörungswut der islamischen Tugendwächter zum Opfer. Kinobetreiber wurden enteignet und wegen Zusammenarbeit mit dem Schah-Regime und dem »Zeigen vulgärer Filme« angeklagt. Kinos wurden in »Künstlerische Zentren zur Förderung des Islam« umgewandelt.

Doch die Opposition gegen das Kino richtete sich nicht in erster Linie gegen die Institution, sondern gegen das Bild, das der unter dem Schah erfolgreiche film farsi und die importierten Filme aus den USA vermittelten. Der Hass auf das Kino entsprang in erster Linie dem Ressentiment gegen den Hollywoodfilm. Bereits während der Revolutionszeit wurde einigen islamischen Aktivisten klar, dass das Kino nicht nur als Verkünder westlicher Dekadenz, sondern auch als Propagandainstrument für die islamische Sache eingesetzt werden kann. Khomeini erklärte, er sei keineswegs ein Gegner des Kinos, sondern ausschließlich der »Prostitution«, die im Kino gezeigt werde.

Um den Film zu einem erfolgreichen Medium zur Propagierung der islamischen Revolution zu machen, wurden zwei Institutionen gegründet, die Hozeh Honari Sazrman-e Tablighat-e Islami (Kunstabteilung der islamischen Propagandaorganisation) und die Bonyad-e Cinemaie Farabi (Farabi Cinema Foundation) unter der Schirmherrschaft des Ministeriums für Kultur und Islamische Führung, die finanziell und logistisch die gezielte Förderung des neuen iranischen Films, auch als Exportprodukt, koordiniert. Im Rahmen der Ideologie des islamischen Regimes und der islamischen Propagandaorganisationen genießen die Filmemacher weitgehende Freiheit in der Wahl ihrer Themen und in der Art, wie sie diese in künstlerische Ausdrucksformen übersetzen. Zensur im Iran bedeutet also nicht permanente Gängelung, sondern auch Kreativität auf der Basis gemeinsamer islamischer Ziele. Außerhalb dieses Kontexts ist professionelle Filmproduktion im Iran überhaupt nicht möglich.

Neben die Kontrolle des bearbeiteten Stoffs und der Produktion tritt daher eine Zensurform, deren Grenzen zu einem System der Filmförderung weitgehend fließend sind. Kein Film kann im Iran in den Kinos gezeigt werden, der nicht zuvor auf dem größten und staatlich kontrollierten Fajr Film Festival gelaufen ist. Das zweite Förder- und Kontrollelement ist die Bewerbung von iranischen Filmen für internationale Filmfestivals, bei denen es vor allem um Reputation für das Filmland Iran geht. Darüber hinaus findet die Steuerung durch eine Klassifizierung von Filmen und Kinos statt, durch die bestimmte Filme ein bestimmtes Publikum erreichen sollen und die absoluten Zuschauerzahlen reguliert werden können.

Oft wird behauptet, dass mit dieser Förderung gerade der künstlerische Charakter der Filme forciert werde. Begründet wird dies mit einem infolge der Zensur entstehenden Stil, der auf Andeutungen und Symbolen basiert.

Auch Majid Majidis Filme, im Iran unter der Aufsicht der Farabi Cinema Foundation produziert und von dieser international vertrieben, dienen oft als Beispiele eines vermeintlich oppositionellen Kinos der Andeutungen. So gilt beispielsweise die Darstellung von Kindern als Mittel, durch einen eher naiven Blick auf die Welt eine scheinbar andere Perspektive auf die iranische Wirklichkeit zu ermöglichen. Zu seinem »Lied der Spatzen« erklärte Majidi: »Wir haben alles verloren, das wir hatten, als wir noch Kinder waren – all das können wir wieder bekommen, wenn wir uns an unsere Kindheit erinnern. Dann können wir wieder Licht sehen und Hoffnung finden. Wir können die reinen Momente unschuldigen kindlichen Glücks spüren – das Glück, auf einen Baum zu klettern, ein Vogelnest zu entdecken oder dem Lied der Spatzen zuzuhören.«

Dass dies aber auch zu einer sozialromantischen Idealisierung führt, die die moderne Lebenswelt im Iran, gerade in Teheran, verschleiert bzw. verleugnet, zeigt Majidis in Deutschland gefeierter Film »Kinder des Himmels« von 1997. Das hier gezeichnete Bild entspricht zwar den Vorstellungen des westlichen Publikums über den Iran, aber nicht der Lebenswelt der Iranerinnen und Iraner, die die Realität dieses Regimes erleben und erleiden. Auf diese Weise besitzen die Filme eine Doppeladressierung, die sich insbesondere zwischen 1987 und 1997 herausgebildet hat, als das iranische Kino zu Weltruhm gelangte. Diese Doppeladressierung orientiert sich an den westlichen Projektionen und der Faszination am iranischen Kino. Sie bedient also eine Rezeptionshaltung, deren Bedürfnis nach vermeintlicher Kritik und Subversion gerade ihr Gegenteil meint, nämlich die ideologische Übereinstimmung in einem sozialromantischen und zivilisationskritischen Weltbild.

Dies gilt auch für Majidis diesjährigen Berlinale-Beitrag »Lied der Spatzen«. Der Film handelt von einen Familienvater, der seinen Job auf einer Straußenfarm verliert und daraufhin sein Glück in der Stadt versucht, bis er feststellt, dass das Leben auf dem Land und bei seiner Familie die wahre Erfüllung ist. »Lied der Spatzen« führt hinter wunderbaren Landschaftsaufnahmen, poetischen Bildkompositionen und sympathischen Figuren allerdings keinen subversiven Diskurs, sondern legitimiert die Politik des gegenwärtigen Regimes. Besonders deutlich wird dies in der symbolischen Parallelisierung der Flucht eines Straußen von der Farm und der »Flucht« des Protagonisten Karim vom Land in die Stadt. Deutlich ruft der Ausbruch des Vogels aus dem umzäunten Gehege auch den Gedanken an den Ausbruch aus dem totalitären Regime hervor. Doch gerade das Ausbrechen wird angeprangert, indem Karims Abkehr von Familie, Natur und ländlichem Leben und seine Hinwendung zum modernen städtischen Leben mit den Motiven der Entfremdung, der Gier und des Eigennutzes verkoppelt wird. Erst äußere Faktoren, ein Unfall und sein Sohn, bringen Karim wieder zur Besinnung und zurück nach Hause. Im selben Moment kehrt auch der Strauß – freiwillig – in die Gefangenschaft zurück. Am Schluss be­obach­tet Karim den glücklich anmutenden, stolzen Vogel bei seinem Tanz.

Diese antimoderne Stoßrichtung geht mit der Ideologie des Regimes unter Ahmadinejad konform. Der gegenwärtige Präsident steht in der Tradition einer Erneuerung der islamischen Revolution unter explizitem Rekurs auf die soziale Frage und strikter Ablehnung jeder Lockerung des allgegenwärtigen Tugendterrors. Indem die städtische Lebenswelt, Geld und Besitz zum Irrweg stilisiert werden, korrespondiert die Botschaft des Films mit dem Ressentiment gegen Reichtum und Korruption der politischen Funktionäre, das mit einem umso radikaleren Bezug auf den Islam verbunden wird. Religion spielt auch in »Lied der Spatzen« eine Rolle, wenn auch wie in den meisten »Exportfilmen« eher angedeutet, was durchaus dem gängigen Einsatz von Unterhaltungsfilmen für Propagan­dazwecke entspricht. In »Lied der Spatzen« wird an zwei entscheidenden Stellen ganz explizit auf die Religion verwiesen. Zunächst gibt es in der Stadt für sie keinen rechten Platz. Karim betet auf der Straße vor einer Toreinfahrt. Als eine Familie das Tor passieren will, ist es gerade Karims unschuldige Religiosität, die zwischen den Stadtbewohnern und ihm eine Verbindung herstellt. Am Schluss des Films kehrt ein Kollege Karims gerade in dem Moment von einer Pilgerreise aus Afghanistan zurück, als Karim spürt, dass er zu seiner Familie und in seine ursprüngliche Lebenswelt gehört.

Mit dem iranischen Kunstfilm hat sich eine formelhafte, beinahe stereotype Form als typischer nationaler Stil herausgebildet, nach dessen Muster erfolgreiche internationale Festivalbeiträge im Iran produziert werden können. Die Poetik, Menschlichkeit und vermeintliche Individualität der Geschichten ist Teil dieses Schemas und damit bereits ein Verfallsprodukt des modernistischen und selbstreflexiven Stils des europäischen Autorenkinos. Die iranischen Filme bedienen dagegen gerade als Kunstfilme eine Tendenz zur Verschleierung und eignen sich so zur internationalen Propaganda für das iranische Regime, indem sie falsche Vorstellungen der Menschen und ihres Lebens vermitteln. Für das westliche Publikum gelten die Filme aus dem Iran als Ausweis des kulturellen Pluralismus oder subversiver Freiheiten im Iran, was als Argument für den kulturellen Dialog herangezogen wird. Die projizierte dissidente Haltung wird darüber hinaus affirmiert, weil man sich selbst wünscht, subversiv und kritisch zu sein und gleichzeitig dazuzugehören zum nationalen Projekt. Die Differenz gerät zum Fetisch, der Iran als »das Andere« wird zum Hort von Subversion, die das aufklärungsfeindliche europäische Subjekt anders als antiwestlich und antizivilisatorisch nicht denken kann. So konstruiert erst der europäische Blick den oppositionellen iranischen Film und verleugnet jeden Bezug zur eigenen Lebenswelt, zu Moderne und Zivilisation. Darum auch wird lediglich das als authentisch angenommen, was diesen Maßgaben entspricht.

Was dieser europäischen Faszination am iranischen Kino entgegensteht, hat im Widerstreit der künstlerischen Positionen keinen Platz. Das trifft vor allem jene Filmemacherinnen und Filmemacher, die ihr Bild vom Iran aus der Perspektive des Exils gestalten. Gerade die Exilfilmer mit ihren regimekritischen Positionen stehen unter dem Verdacht der »Verwestlichung«, handelt es sich nun um eher persönliche Familienporträts wie »Meine Familie in Teheran« von Asfar Sohia Shafie, um politische Filme wie »Kopftuch als System/Machen Haare verrückt« von Shina Erlewein, Fathiyeh Naghibzadeh, Bettina Hohaus und Meral El oder die offene Präsentation des Widerspruchs zwischen dem Leben im europäischen Exil und unter dem Diktat der Mullahs im »Exile Family Movie« von Arash T. Riahi. Doch diese Arbeiten verschwinden hinter den international hofierten und im Iran staatlich kontrollierten und geförderten Kunstfilmen aus der islamischen Repu­blik.

Tatsächlich machen die in Europa rezipierten iranischen Autorenfilme nur einen geringen Teil des Angebots in den iranischen Kinos aus. Der größte Teil der rund 80 Filme, die im Iran jedes Jahr produziert werden, besteht aus Unterhaltungsstreifen oder aus Produktionen, die Themen wie religiöses Erwachen und Errungenschaften der Revolution behandeln. Eine wichtige Funktion übernimmt dabei auch das Fernsehen, wie beispielsweise die Fernsehserie »Breite: Null Grad«, in der es um einen Iraner geht, der sich in den vierziger Jahren bemüht, Juden vor der Deportation zu retten, und sich schließlich in eine Jüdin verliebt. Mohammad Reza Kazemi kritisierte das überschwängliche Lob für »Breite: Null Grad« in den westlichen Medien und die Annahme des Wall Street Journal, dass die iranische Regierung mit der Serie das Bild der Juden im Iran verbessern wolle. Er weist vielmehr nach, »dass sich hinter der exotischen Fassade des Quotenhits eine unter Holocaust-Leugnern weitverbreitete These verbirgt. Danach hätten jüdische Zionisten mit Hitler kollaboriert, um ihren Wunsch nach der Gründung eines jüdischen Staates zu verwirklichen.« Auch »Breite: Null Grad« bedient sich der Doppeladressierung und spielt bewusst mit den Codes und Konventionen des westlichen Geschichts- und Unterhaltungsfernsehens. Hinter die Botschaft der Delegitimierung Israels tritt sogar der islamische Dresscode zurück.

Frauen dürfen (gemäß der historischen Situation) unverschleiert gezeigt werden. Eine Tatsache, die die europäischen Kritiker in Entzücken versetzt. Die Serie ist unter aktiver Teilnahme von europäischen Schauspielern gedreht worden und kann durchaus als iranisch-europäische Coproduktion bezeichnet werden. Schließlich wurde sie auch für den Fernsehmarkt außerhalb des Iran geplant. Somit entpuppt sich die Serie als ein avancierter Versuch, auch die antiisraelische Ideologie des Iran mit Hilfe des iranisch-europäischen Kulturtransfers weiter zu verbreiten.

Dieser bekommt immer neuen Auftrieb durch die Auswahlpolitik der internationalen Filmfestivals und die daran anknüpfende Förder- und Verleihpolitik, wie des World Cinema Fund unter Vorsitz von Kosslick. Vor einigen Jahren förderte der Fonds unter anderem das Selbstmord­attentäterdrama »Paradise Now«. Im kommenden Jahr werden auch einige Filme aus dem Iran bezuschusst. Davon kann sich das iranische Regime wieder internationale Reputation durch erfolgreichen Kulturaustausch erhoffen. Auch Kosslicks Bemühungen um »Lied der Spatzen« wurden gewürdigt. So verwundert es nicht, dass der Berlinalechef der iranischen Nachrichten­agentur erklärte, man habe in den letzten Jahren »sehr gute Beziehungen« zur iranischen Filmkultur aufgebaut. Man kann also im kommenden Jahr auf eine Fortsetzung dieser guten Beziehungen zwischen der Berlinale und der iranischen Filmproduktion gespannt sein.

Majid Majidi ist ein im Iran überaus populärer Regisseur, der vor allem mit seinen Kinderfilmen (»Kinder des Himmels«, 1997) oder Dramen (»Die Farben des Paradieses«, 1998) bekannt wurde. Sein neuer Film »Das Lied der Spatzen« lief im Wettbewerb der Berlinale. Reza Naji, der den Karim spielt, erhielt den Silbernen Bären als bester männlicher Darsteller.

Geändert: 21. Januar 2009