Tropfen fürs Imperium

Die Abhängigkeit vom Ölexport bindet Venezuela an den Weltmarkt und die USA. Sollte der Ölpreis sinken, gerät die »bolivarische Revolution« von Chávez in Schwierigkeiten. von lutz getzschmann

Hugo Chávez wirkte aufgebracht: »Wenn der ökonomische Krieg gegen Venezuela so weitergeht, dann wird der Ölpreis bald bei 200 Dollar liegen. Venezuela nimmt die ökonomische Kriegserklärung an, und mehr als ein Land wird sich mit uns verbünden.« Anlass dieser markigen Ankündigung des venezolanischen Präsidenten war ein Gerichtsbeschluss, den der Konzern ExxonMobil erwirkt hatte und durch den mehr als 12 Milliarden Dollar Auslandsguthaben des staatlichen venezolanischen Ölkonzerns PDVSA eingefroren werden.

Im vergangenen Juni hatte Chávez die ausländischen Ölkonzerne gezwungen, mindestens 60 Prozent ihrer Anteile der PDVSA zu übertragen. Die meisten Firmen akzeptierten zähneknirschend eine Minderheitsbeteiligung in Joint Ventures. Exxon hingegen zog sich aus Venezuela zurück und forderte eine Entschädigung. Die Anwälte des Ölkonzerns gaben die Einnahmeausfälle wegen der Annullierung eines ursprünglich auf 35 Jahre geschlossenen Vertrags mit 25 Milliarden Dollar an.

Die juristische Auseinandersetzung dauert an. Einen »Überfall« nannte der venezolanische Ölminister Rafael Ramírez in der vergangenen Woche die Politik Exxons. Doch sein Vize Bernard Mommer, der auch zu den Direktoren der PDVSA zählt, äußerte sich weniger kämpferisch. Der Streit mit Exxon sei »keine große Sache«. Man habe dem Konzern angeboten, ihm die derzeit gemeinsam betriebene Ölraffinerie in Chalmette, Louisiana, als Kompensation ganz zu übertragen, sei jedoch nicht bereit, eine Entschädigung in der von Exxon geforderten Höhe zu zahlen.

Die Raffinerie in Chalmette wird weiterhin mit venezolanischem Öl beliefert, obwohl Chávez gedroht hatte, »nicht einen einzigen Tropfen« mehr in die USA zu exportieren, und am 12. Februar die Leitung der PDVSA die Geschäftsbeziehungen mit Exxon für ausgesetzt erklärte. Der Lieferstopp betrifft jedoch lediglich 90 000 Barrel Öl am Tag, ein Ausfall, den Exxon problemlos verschmerzen kann.

Das Öl aus Venezuela spielt für die US-Ökonomie eine eher untergeordnete Rolle. Venezuela selber aber exportiert 60 Prozent seines Öls in die USA, 52 Prozent der Staatseinnahmen kommen aus dem Ölexport, mit dem Chávez seinen »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« finanziert.

Im Jahr 2006 zahlte die PDVSA knapp 40 Milliarden Dollar in Form von Steuern und Abgaben direkt an den Staat. Die Devisen aus dem Export von 2,6 Millionen Barrel Öl täglich fließen größtenteils direkt in Sozialprojekte der Regierung sowie in Aufkäufe von Firmen in wichtigen Sektoren wie der Stromproduktion. Jüngst hat Chávez wegen Versorgungsengpässen die PDVSA mit dem Kauf und der Verteilung von Grundnahrungsmitteln wie Milch und Speiseöl beauftragt.

Der Ölreichtum ist für Venezuela nicht nur ein Segen, die Abhängigkeit von einem einzigen Exportprodukt macht die Regierung verwundbar und fesselt sie aller Rhetorik zum Trotz an die USA. Dies gilt umso mehr, als Chávez bisher nur wenige Schritte unternommen hat, um über ölfinanzierte Sozialprogramme hinaus wirkliche Veränderungen der ökonomischen Struktur des Landes einzuleiten. Die Petrodollar dienen als Bestechungsgeld, um die Masse der Bevölkerung bei der Stange zu halten und nach und nach Schlüs­selunternehmen wieder in staatliche Hand zu bekommen. Sie verringern aber auch die unmittel­bare ökonomische Notwendigkeit, zu einer wirklichen gesellschaftlichen Aneignung und Planung von unten überzugehen. Die kapitalistische Grund­struktur bleibt weitgehend unangetastet.

So bleibt Venezuela auch in anderen Bereichen in die Struktur des kapitalistischen Weltmarktes eingebunden. Die Bevölkerung bekommt das etwa im Bereich der Lebensmittelproduktion zu spüren. Seit Monaten gibt es Probleme bei der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wie Milch, Eier, Zucker, Rindfleisch, Hühnerfleisch und Weizenmehl. Die Regierung wirft den Unternehmen vor, sie exportierten zu viele Lebensmittel ins Ausland. Die italienische Parmalat-Gruppe und der Schweizer Konzern Nestlé hatten erst vor kurzem alle Rohmilch im Voraus aufgekauft, sodass die staatlichen Molkereien ohne Rohstoffe dastanden.

Was Chávez als »Verschwörung« geißelte, ist jedoch nichts weiter als das Wirken von Marktmechanismen. Angesichts staatlich festgelegter relativ niedriger Preise für Grundnahrungsmittel kommt es zu Versorgungsengpässen, weil die Nahrungsmittelkonzerne ihre Produkte exportieren, um auf diese Weise größere Profite zu erwirtschaften. So entsteht trotz gigantischer Öl­ein­nahmen ein Mangel an Grundnahrungsmitteln. Während die Presse hierzulande dies hämisch als Ergebnis »sozialistischer« Misswirtschaft kommentiert, werden daran vielmehr die Grenzen des selbst von enthusiastischen Unterstützern wie Tariq Ali als »sozialdemokratisch« charakterisierten Transformationsprozesses der »bolivarischen Revolution« deutlich.

Die Regierung Venezuelas versucht derweil mit neuen Allianzen, ihren Einfluss in der Organisation Öl exportierender Länder (Opec) zu stärken. Mitte Januar war der iranische Präsident Mah­moud Ahmadinejad in Caracas zu Gast, bereits zum zweiten Mal in fünf Monaten. Neben der gemeinsamen Frontstellung gegen die USA verbinden handfeste Interessen beide Regierungen. Nach dem Treffen sagte Chávez, die USA hätten den Einfluss der Opec untergraben, um den Ölpreis zu drücken. Gemeinsam mit dem Iran werde man jedoch »den Preis unseres wichtigsten Produkts schützen«.

Chávez ist auf steigende Ölpreise und auf lukrative Geschäfte mit dem Iran und anderen Opec-Staaten angewiesen. Da die PDVSA den Großteil ihrer Einnahmen nach politischen Vorgaben ausgeben muss, bleibt dem Ölkonzern für eigene Investitionen zu wenig, um das derzeitige Produktionsniveau aufrechtzuerhalten. Nach Angaben der Opec sinkt der Ölexport der PDVSA bereits seit Jahren, lediglich der steigende Preis des Rohstoffs ließ die Einnahmen dennoch wachsen. US-Angaben zufolge ist Venezuela in der Rangliste der ölexportierenden Länder inzwischen vom fünften auf den achten Platz zurückgefallen. Das Land verfügt über die siebtgrößten nachgewiesenen Ölvorräte weltweit. Zudem werden bis zu 270 Milliarden Barrel in Venezuela vermutet; das wären größere Reserven als die Saudi-Arabiens. Um diese Bodenschätze zu erschließen und auszubeuten, wird jede Menge Kapital benötigt, das die PDVSA nicht hat.

Um Ölpreise und Förderquoten ging es auch beim Opec-Treffen in Wien Anfang Februar. Zuvor hatte US-Präsident George W. Bush die ölexportierenden Länder aufgefordert, ihre Förderquoten zu erhöhen, um der gestiegenen Nachfrage gerecht zu werden. Das will die Opec vorerst nicht tun. Ihre Politik, die Fördermenge konstant zu halten, ließ in der Tat Angebot und Nachfrage am Ölmarkt in den vergangenen Jahren auseinanderklaffen. Den neuesten Zahlen zufolge stieg die Rohölnachfrage 2007 weltweit um eine Million, das Angebot hingegen um nur 0,1 Millionen Barrel pro Tag.

Sollte die US-Regierung sich mit ihrer immer dringlicher werdenden Forderung nach Erhöhung der Förderquoten doch noch durchsetzen und der Ölpreis dadurch auch nur zeitweilig wieder sinken, könnte Chávez schnell in Schwierigkeiten geraten. Wenn weniger Öldollars ins Land strömen, die zur sozialen Befriedung eingesetzt werden können, wird die Unzufriedenheit wachsen. Das könnte jene stärken, die selbstverwaltete ökonomische Strukturen jenseits von Weltmarktorientierung und Staatsknete schaffen wollen, aber auch der rechten Opposition wieder Auftrieb geben.