Der Zweck des neuen Einbürgerungstests

Rücksicht auf deutsche Katholiken

Der neue einheitliche Einbürgerungstest ist vor allem dazu da, die Ungleichheit zwischen Eingeborenen und Ausländern zu betonen. Was abgefragt wird, ist am Ende gar nicht so wichtig.

Große Auszeichnungen können nicht einfach so an den Nächstbesten vergeben werden. Was wären sie sonst noch wert? Da deutsch zu sein hierzulande als besonderes Verdienst gilt, darf auch die deutsche Staatsbürgerschaft nicht einfach so vergeben werden. Acht Jahre in Deutschland leben, eigenes Geld verdienen, Deutsch spre­chen können und eine weiße Weste haben, das ist doch viel zu wenig verlangt für die Auszeichnung, sich wie jeder, in dessen Adern das richtige Blut fließt, Deutscher nennen zu dürfen.
»Die deutsche Staatsbürgerschaft kann es nicht zum Nulltarif geben«, sagt deshalb Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Auch Bundes­kanzlerin Angela Merkel ist der Meinung: »Die Staatsbürgerschaft kann es nicht im Vorbeigehen geben.« Also: »Irgendein Instrument muss man ja finden«, sagt Christian Storr, der Integrationsbeauftragte der Landesregierung Baden-Württem­­bergs (FDP). Wie wär’s mit Sackhüpfen, sagen wir, 100 Meter unter zehn Minuten? Oder ein Schuhplattlerexamen oder ein Kartoffelwettessen?

Oder eben ein Quiz. Sagen wir: 33 Fragen, Multiple Choice. Wer die Hälfte richtig beantwortet, bekommt den Pass. Für diese Lösung hat sich das Innenministerium entschieden. Ab September muss jeder Einbürgerungswillige an einem Test teilnehmen, der aus 33 Fragen mit jeweils vier Antworten besteht, von denen die richtige anzukreuzen ist. Es handelt sich dabei um eine Auswahl aus einem Pool von 310 Fragen, die vorher samt Antworten veröffentlicht werden. So kann man die Lösungen auswendig lernen, wie bei der theoretischen Führerscheinprüfung.
Ein paar der Fragen, die in den kommenden Tagen veröffentlicht werden sollen, sind bereits bekannt. »Welche Aufgabe hat die parlamentarische Opposition im Bundestag?« wird etwa gefragt, denn eingebürgerte Wahlberechtigte sollten das wissen: Kontrolliert sie die Regierung? Oder entscheidet sie, wer Ministerin oder Minister wird? Unzählige Internetvideos demonstrieren mit einer Mischung aus Belustigung und Erschrecken, dass auch viele eingeborene Wahl­berechtigte das nicht wissen. Was Willy Brandt mit seinem Kniefall 1970 im ehemaligen jüdischen Ghetto in Warschau ausdrücken wollte, wissen freilich noch viel weniger Deutsche. Egal, einbürgerungswillige Migranten müssen das in Zukunft wissen – und damit lernen: Deutschland hat böse Dinge getan, sich aber für alles entschul­digt. Damit klar ist, wer heute die moralischen Sieger sind.
Dass die Einbürgerung künftig über »Fleiß­arbeit« erreicht werden kann, stößt auf Kritik. Schließlich sollen nur diejenigen in den Genuss der hohen Auszeichnung kommen, die sich wahr­haftig mit den Werten unseres Landes identifizieren. Um das sicherzustellen, hatte Baden-Würt­temberg bereits 2006 einen »Gesprächsleitfaden« eingeführt, anhand dessen das »Bekenntnis« des Einbürgerungswilligen zur »freiheitlich-demokratischen Grundordnung« gründlich auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft wird.
»Stellen Sie sich vor, Ihr volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei homosexuell und möchte gerne mit einem anderen Mann zusammen leben. Wie reagieren Sie?« werden Ein­bürgerungswillige aus islamischen Ländern gefragt. Wenn es dazu dient, angeblich rückschritt­liche Ausländer auszugrenzen, schreiben sich deut­sche Konservative plötzlich Werte auf die Fahnen ihrer »Leitkultur«, die dort tradi­tio­nell nichts verloren haben, nur um ihrer rassistischen Ausgrenzungspolitik ein möglichst emanzipatorisches Gesicht zu verpassen.
Auch der 2006 in Hessen eingeführte Einbürgerungstest vermittelt, dass Antisemiten, Rassisten und Sexisten in Deutschland nichts zu suchen haben – wenn sie nicht deutschen Blutes sind. »Erläutern Sie den Begriff ›Existenzrecht‹ Israels!« werden dort die Bewerber aufgefordert, und man könnte glatt auf die Idee kommen, auch deutsche Antisemiten, Rassisten und Sexisten mithilfe eines kleinen Tests loswerden zu wollen. Fragt sich nur, wohin mit ihnen? Früher oder später kommt man wohl zu der Erkenntnis, dass die über den Einwanderungstest suggerierte Vorstellung, Probleme wie Islamismus oder Antisemitismus ließen sich durch Ausweisungen in den Griff kriegen, irrwitzig ist.

Der neue, in allen Ländern einheitliche Einbürgerungstest, den das Bundesinnenministerium zum September einführt, zielt angeblich weniger auf Werte und Gewissen. Angesichts der Gesinnungstests in Baden-Württemberg und Hessen sahen sich auch viele Deutsche plötzlich wegen ihrer Schwulen-, Juden- und Frauenfeindschaft aus der Leitkultur ausgegrenzt, und protestierten heftig. Bekenntnisfragen, die etwa auch ehrbaren Katholiken Probleme bereiten würden, sollen deshalb im neuen Test nicht mehr vor­kommen.
Wenn jetzt von Gewissen auf Wissen umgestiegen wird – welches Wissen fragt man ab, das geeignet wäre, »Ausländer« zu deutschen Staatsbürgern zu machen? Eben das, was jeder Deutsche weiß und wissen muss. Nur, was wissen schon die Deutschen? Etwa, welches Motiv der deutsche Maler Caspar David Friedrich auf einem seiner bekanntesten Bilder von der Ostseeinsel Rügen zeigt, wie der hessische Einbürgerungstest allen Ernstes fragt? Außer den hessischen Ministerialbeamten dürfte das nur ein geringer Teil der deutschen Bevölkerung wissen.
Auch den neuen Einwanderungstest finden viele zu schwierig. Sebastian Edathy (SPD), Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag, betonte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, es dürfe keine Prüfung geben, die auch die Mehrheit der Deutschen nicht bestehen würde. Aber gerade die Forderung, der Test müsse für Deutsche leicht zu bestehen sein, Ausländer aber zur Vorbereitung zwingen, ist mit der Vorstellung verbunden, es gäbe eine Art natürliche Bildungsdifferenz zwischen Deutschen und Migranten, die die Migranten aufzuholen hätten. Das ist es, was der Test suggeriert: Einbürgerungswillige sind nicht gleich, sondern müssen noch ganz viel von uns lernen: »In der Verfassung ist verankert, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Er­läutern Sie diesen Grundsatz!« befiehlt der hessische Einwanderungstest.

Weil es bei der Befragung darum geht, die Ungleichheit zwischen Eingeborenen und Zugewanderten fortzuschreiben, ist es fast egal, was gefragt wird. Wichtig ist nur, dass die Hürden auf dem Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft ab und an erhöht werden, sonst droht Werteinfla­tion. Deshalb werden sich die Innenminister bald wieder etwas Neues ausdenken müssen. Und sei es Sackhüpfen.
Um die Feinde der »freiheitlich-demokratischen Grundordnung« aufzuspüren, gibt es schließlich ganz andere Mittel. Wie die Frankfurter Rundschau berichtete, müssen sich viele Migranten einer bislang geheim gehaltenen Sicherheitsbefragung der Ausländerbehörden unterziehen. In einem der Fragebögen, der der Zeitung vorliegt, heißt es etwa: »Möchten Sie unmittelbaren Kontakt mit den Sicherheitsbehörden aufnehmen?« Die richtig fiesen Fragen stellt man den Einwanderern besser, bevor sie ihren Integrationskurs ab­solvieren und dabei allzu viel über ihre Grundrechte erfahren.