Die Krise der US-amerikanischen Autoindustrie

Wo die Muskelautos schwächeln

Die großen US-amerikanischen Autokonzerne fordern Staatshilfe. Ihre Rettung könnte auch für die Gesundheitspolitik von Barack Obama von Bedeutung sein.

Bis Ende März könnte der Hummer Geschichte sein. Über die Zukunft der bekannten Geländewagenmarke soll General Motors noch im laufenden Quartal eine Entscheidung treffen. Lange Jahre bestimmte der Hummer die öffentliche Wahrnehmung, was US-amerikanische PKW betrifft. Seit dem Einbruch der Verkaufszahlen in den vergangenen zwei Jahren gilt der Wagen dagegen als Symbol für alles, was die US-Autoindustrie in letzter Zeit falsch gemacht hat, denn statt etwa auf umweltfreundlichere Marken setzten die Big Three auf so genannte Muskelautos.
Der Sanierungsplan von GM wurde vergangene Woche dem US-Finanzministerium und der Öffentlichkeit vorgestellt. Für die Beschäftigten war das nicht gerade eine erfreuliche Nachricht. Bis 2012 könnte die Produktion etlicher weiterer Automarken eingestellt werden, darunter auch der Saturn. Der Wagen war vor 15 Jahren eingeführt worden als »Gewerkschaftsauto erster Qualität«, gebaut wurde er von Mitgliedern der United Auto Workers, an einem halben Dutzend Standorte. Der Sanierungsplan sieht die Schließung von 17 Produktionsstätten sowie die Entlassung von 47 000 Mitarbeitern vor, sofern das Finanzministerium dem Plan zustimmt. Gut ein Drittel des teilweise über Lizenzgeschäfte organisierten Vertriebsnetzes würde damit zusammenbrechen. Experten zufolge könnte dies für zahlreiche Zulieferfirmen in den kommenden Monaten den Verlust von mindestens 100 000 Arbeitsplätzen und einer ungewissen Anzahl von Jobs im damit zusammenhängenden tertiären Sektor bedeuten.
Auch Chrysler, der kleinste der drei Detroiter Automobilhersteller, stellte einen ähnlichen Umstrukturierungsplan vor. Mit dem Abbau von etwa sechs Prozent seiner Belegschaft – insgesamt 40 000 Arbeitnehmern – und einer weiteren »Straffung« des Betriebs will Chrysler kurz- und mittelfristig überleben.

Bereits im Dezember bekamen GM und Chrysler insgesamt über 17 Milliarden Dollar Kredite vom US-Finanzministerium. Derzeit verhindern die Republikaner im Senat ein größeres Rettungsprogramm. Im Vergleich zu GM und Chrysler geht es Ford noch gut. Der Konzern erbittet lediglich Bürgschaften in Höhe von insgesamt neun Milliarden Dollar. Für die Wirtschaft ist allerdings der Zustand der unabhängigen Zulieferfirmen wichtig, die schätzungsweise 400 000 Menschen beschäftigen. Die Zulieferfirmen tragen zurzeit eine doppelte Last: Nicht nur bangen sie spätestens seit den Ende Dezember angeordneten sechs- bis achtwöchigen Produktionsstopps bei GM und Chrysler um ihre Existenz, sondern die drei Konzerene schulden ihnen noch 18,5 Milliarden Dollar. Auch hierfür wird in Wa­shington über Regierungsbürgschaften diskutiert. In den kommenden Wochen wird die von Präsident Barack Obama eingesetzte Arbeitsgruppe zur Sanierung der Autoindustrie diverse Pläne untersuchen und Vorschläge erarbeiten. Die Rettungs der Autokonzerne ist für den Staat weniger aus nationalen Gründen als aus Haushaltsgründen wichtig. Denn sollte die Industrie mitsamt Zulieferern, Vertrieb und Dienstleistungsbetrieben tatsächlich implodieren, würde der bereits jetzt mit einem Billionen-Dollar-Defizit belastete Haushalt langfristig Steuereinnahmen von mehreren hundert Milliarden Dollar einbüßen. Nach Jahren des Neoliberalismus als Staatsideologie scheinen Eingriffe in den Markt an Bedeutung zu gewinnen. In diesem Sinne ziehen derzeit einige demokratische Kongressmitglieder eine Zwangsfusion von GM und Chrysler in Betracht, sofern dadurch die Industrie gestärkt wird. Auch das so genannte Insolvenzverfahren nach Chapter 11 wird derzeit als Option genannt. Dieses sieht vor, dass das Unternehmen unter gerichtlicher Aufsicht reorganisiert werden kann, beispielsweise kann ein Richter bestehende Tarifverträge nach Belieben aufheben oder ändern.
Bei der vorigen Tarifrunde 2007 hat die Gewerkschaft United Auto Workers Union (UAW) Veba, einen Fonds der betrieblichen Sozialversicherung, von GM übernommen. Der Konzern zahlte dafür einmalig 55 Milliarden Dollar, für alle künftigen Zahlungen muss dieser Fonds aufkommen, der infolge der Wirtschaftskrise starke Verluste verbuchte. GM und Chrysler haben ihre Personalkosten gesenkt, sie können nun besser mit den in den USA angesiedelten ausländischen Autokonzernen konkurrieren.
Ob mit oder ohne Gang zum Insolvenzrichter – die UAW wird mit ihrem Fonds früher oder später enorme Schulden haben. Sofern das Gesundheitssystem in den USA nicht maßgeblich reformiert wird, könnte dies sogar eine größere Gefahr für das Fortbestehen der Traditionsgewerkschaft darstellen als die Folgen eines Insolvenzverfahrens. Denn die UAW könnte mit ihrem Fonds bankrott machen.
Doch wie Obamas Stabschef Rahm Emmanuel erklärte: Man soll keine Krise ungenutzt lassen. Die Konzerne haben sich der betrieblichen Sozialversicherung entledigt oder wollen dies tun. Eine Übernahme solcher Fonds durch die Gewerkschaften ist keine Alternative. Mit der Rettung der US-Automobilindustrie könnte Obama eine Politik verbinden, die die staatliche Krankenversicherung stärkt.