Über Wut, Hass und Zorn

Über Wut, Hass und Zorn

Namenloser Schrckn

Manchmal ist man so wütend, dass einem die Worte fehlen. Wenn irgendwas schiefgeht, hört sich das dann so an: »Schssngrnrschdrckkckwrg!« Alles klar? Man lässt beim Fluchen einfach die Vokale weg. So hört man allerorten: »Stttgrtnndzwnzg«, »Fcknzs«, Drcksdtschbhn«, »Schßstrmknzn«, »Kckwrsttrsthr«, »Schlmschßrjnglwrld«. Doch manchmal, wenn es ganz schlimm kommt, fällt es Menschen schwer, auch nur in gezischte Laute zu bringen, was sie bewegt – etwa bei den beiden Dingen, die restlos alle Wutreserven ins Blut schießen lassen: 1) Die Entscheidung des Schiedsrichters. 2) Mit dem kleinen Zeh an der Schrank­ecke hängenbleiben.

Jürgen Kiontke

 

Idyll und Amok

Wutbürger? Dass ich nicht lache. Die schwäbischen Pietisten wollen einfach ihre Ruhe haben. Deutsche wollen immer ihre Ruhe haben. Das war eigentlich immer ihr Kriegsziel. Totaler Krieg, danach totale Ruhe. Ein Idyll. Klimakatastrophe, geil. Alle sterben aus. Dann ist Ruhe. Diese ganzen braven, politisch korrekten Harmoniesüchtler, die im Journalismus und in der Politik rumlaufen, das sind so Jack-Torrance-Deutsche, der Typ aus »Shining«, der auch nur seine Ruhe will und mit Frau und Kind in ein abgelegenes Hotel geht, bis er die Axt auspackt. Es gibt Leute, bei denen rechne ich eigentlich minütlich damit, dass sie ihre Motorsäge aus der Tasche holen und loslegen. Auf der Suche nach Ruhe und Frieden durchgeknallt. Ein deutsches Schicksal. Der Furor findet immer in der Vereinzelung statt. Wut aber ist die Grundlage einer soliden Streitkultur, die nicht hinterfotzig ist, sondern bei der die Kontrahenten klüger werden wollen, als sie es sind. Wer streitet, um in Ruhe gelassen zu werden, ist ein Arschloch. Wutbürger sind Arschlöcher.

Wolf Lotter

 

Hass

Keine Wut – sondern blanker Hass! Hass ist die rasende, ins Grenzenlose gesteigerte Wut. Wie die Liebe ist der Hass leidenschaftlich und völlig irrational. Er erfasst den ganzen Menschen, schreit nach Rache und fordert Vergeltung! Hass verweigert sich der materialistischen Dialektik, ist infantil und unfähig zur reflektierten Abstraktion. Der Hass kennt keine Charaktermasken, sondern verabscheut ganz konkret einen bestimmten Menschen. Dinge kann man nicht hassen, man kann sie zwar zerstören, ihnen aber nicht wirklich wehtun. So ist es vielleicht amüsant, die Scheiben der Agentur für Arbeit mit Steinen einzuwerfen, um sich für die dort erlittene Drangsalierung und Entwürdigung zu revanchieren – der Hass gibt deshalb keine Ruhe. Zündet man aber das Auto des Job-Center-Sachbearbeiters an, der einen schikaniert hat, fühlt man sich schon viel besser. Die wirkliche Befriedigung stellt sich aber erst in dem Moment ein, in dem man den verhassten Sachbearbeiter mit ­einem traurigen Gesichtsausdruck in der überfüllten U-Bahn erblickt.

John Doe

 

Egoshooting

»Wer denkt«, heißt es zwar bei Adorno, »ist nicht wütend.« Aber das klingt vielleicht doch etwas zu zen-buddhistisch; zumal Adorno ja selbst von Horkheimer ein »durch Hass geschärfter Blick« attestiert wurde. Wer den Ackermännern dieser Welt nicht gerne einmal eine scheuern wollte, wird auch den Begriff der Charaktermaske kaum erfassen. Gerade die Empörung über das Elend aber lehrt zugleich, wie belanglos demgegenüber sich das eigene Gefühlsleben ausnimmt. Gäbe es einen kälteren und selbstbezüglicheren Satz als »Auschwitz macht mich echt wütend«? Die öffentliche Kundgabe von Wut familiarisiert und banalisiert den Gegenstand. Gestattet ist sie daher nur, wo die Sache banal genug ist, dass sie den Ärger eigentlich nicht lohnt. Sollte ich mich entscheiden, welcher Anlass sich dafür eignet, ich wählte die Tatsache, dass von allen Zeitschriften, für die ich dann und wann schreibe, allein die Jungle World sich offenbar beharrlich weigert, mir ein Belegexemplar zu schicken.

Lars Quadfasel

 

Früchte des Zorns

Vor einer Weile kam mir zu Ohren, was ein ehemaliger Kollege über mich gesagt hatte. »Sonja Eismann? Das ist doch die, die die Hälfte der Arbeitszeit damit verbringt, Hello-Kitty-Seiten im Netz anzuschauen, und die andere Hälfte damit, sich über alles aufzuregen.« Das mit Hello Kitty hat sich irgendwann erledigt, das mit der Wut nicht. Freunde und Freundinnen haben bereits verschiedene Finten erwogen, um mich von der Lektüre bestimmter Zeitungen oder Autorinnen und Autoren abzuhalten, weil meine absehbar schlechte Stimmung hernach allen regelmäßig die Laune verdirbt, doch umsonst: Vieles, aber vor allem latenter, dummdreister oder offensiv reaktionärer Sexismus bringt mich pünktlich wie ein Uhrwerk auf die Palme. Aber was soll’s: Ohne diesen Zorn käme ich morgens vermutlich gar nicht mehr aus dem Bett und vor allem nicht dazu, Artikel zu schreiben.

Sonja Eismann

 

Die Wut des anderen

Ich wählte Maxim Billers Nummer. Als er meine Stimme erkannte, wurde er sofort schlecht gelaunt. Er hatte gerade einen ziemlichen Hass auf mich, eine Stinkwut sozusagen, und deswegen rief ich an. Ich wollte mich entschuldigen, so machte man das inzwischen in Deutschland, und zwar grundsätzlich und flächendeckend. Ich hatte auf einen kleinen Zettel sogar die Worte aufgeschrieben, die Guttenberg tags zuvor in ähnlicher Lage gebraucht hatte.
Maxim hatte in der Wochenzeitung Die Zeit geschrieben, er hasse mich, weil ich in einer launigen Buchpräsentationsrede kolportiert hatte, er und ich hätten als Kinder vor den Stufen der Hamburger Kammerspiele gespielt und manchmal mit Ida Ehre Tee getrunken. Das stimmte zwar nicht, war aber semantisch richtig. Wenn es ein Wort hätte geben sollen, das die kleine Schnittmenge zwischen seiner und meiner Familiengeschichte semantisch auf den Punkt brachte, sozusagen verdichtete, und wir waren ja Dichter, so wäre es das Wort ›Ida Ehre‹ gewesen. Ich hatte ihm das schon zweimal erklärt, einmal in der Lang-, ein anderes Mal in der Kurzfassung, aber er hatte es gleich wieder vergessen, weil er mir sowieso nichts glaubte. Nach dem Motto »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht«, waren alle meine Aussagen für ihn wertlos. Die Stichworte hatte ich mir trotzdem notiert: die Jahre 1937 bis 1947 mit Borchert und Onkel Günter, Hegepenne, Isot, meine Mutter, Hochkamp, der ­liberal-jüdische Familienhintergrund, Uraufführung von ›Draußen vor der Tür‹, Umzug in die Hartungstraße, um den Kammerspielen nahe zu sein, die Prinzipalin, die gemeinsamen Texte, das uneheliche Kind, die Theaterkritiken bis kurz vor Mutters Tod … Wie gesagt, alles schon mal erzählt. Maxim glaubte davon immer nur die Hälfte. Und ich konnte das nur zu gut verstehen. Auch die Hälfte reichte eben nicht. Sonst könnte ich als nächstes erzählen, Maxims Eltern und meine hätten bei Ben Gurion Tee getrunken, oder etwas in der Art, etwas, bei dem auch irgendwas stimmte.
Schließlich hatte ich in meinem Leben schon ebenso oft gelogen, wie ich die Wahrheit gesagt hatte. Für Maxim musste meine kleine Ida-Ehre-Bemerkung nichts weiter sein als eine dreiste Aneignung der Person und ihrer kulturellen Bedeutung, ein Raub also, noch dazu spielerisch und halbspaßig. Das, wofür Ida Ehre stand, sollte auf meine Biographie einen matten Glanz werfen, und zugleich würde das Ganze auch noch irgendwie verblödelt wirken. Kein Wunder, dass Maxim mich daraufhin hasste. Wenn ich ihm aber erneut erklärte, dass es sich diesmal nicht nur um die Wahrheit handelte – Ida Ehre war wie gesagt tatsächlich eine Art Familienheilige für uns, eng verwoben mit dem Mythos der Stunde Null –, sondern um den vielleicht einzigen Punkt, bei dem ich selbst dünnhäutig wurde, wo selbst bei mir der Spaß aufhörte, konnte ich vielleicht sein Verständnis erreichen. Seine Wut würde vielleicht verrauchen. Aber wie sollte ich ihm das vermitteln? Wie? Ich überlegte hin und her, aber: Es gab keinen Weg. Ich merkte es jetzt, als ich seine mürrische Stimme hörte. So sagte ich nur:
»Maxim, ich wollte mich nur für die Ida-Ehre-Bemerkung entschuldigen.«
»Warum?«
»Ich will nicht, dass du so eine Wut auf mich hast.«
»Habe ich nicht. Ich habe doch geschrieben, dass wir quitt sind.«
Stimmt. In dem Zeit-Artikel stand am Ende, er fühle sich nun quitt, nachdem er mir die Freundin ausgespannt hatte. Hatte ich ganz vergessen. Ich atmete tief durch.
»Na, dann ist ja alles gut!«
»Nichts ist gut.«
»Äh, ja klar. Nichts ist gut. Aber wollt’ ich nur so mal, äh, gesagt haben.«
»Ruf nicht mehr an.«
»Kein Problem, Maxim.«
Er hängte ein.
Ich saß, wie nach jedem Freundschaftsgespräch mit Maxim, noch ein paar Minuten etwas betäubt auf meinem Telefonstuhl. Ein Gefühl breitete sich in mir aus, das ich seltsamerweise, im Gegensatz zu allen anderen Menschen, fast nie habe.

Joachim Lottmann

 

Furor und Scham

Als Kleinkind schmiss man sich auf den Boden, schlug mit Händen und Füßen um sich, zeterte und schrie. Kurz darauf war die Wut wie weggeblasen. Man schämte sich auch nicht für den Wutausbruch. Das übernahmen ja die Eltern. Später muss man sich selbst schämen. Das Ungerechte daran ist, dass die Welt die Wut meistens noch immer verdient hat und man sich trotzdem für sie schämen muss. Ich habe aus Wut schon mal beim Autofahren mit der blanken Faust die Windschutzscheibe eingeschlagen. Sie hatte es irgendwie verdient. Ich habe einen Stuhl und zwei Handys zertrümmert, die das verdient hatten, ich habe aus Wut sogar mal einem Mitschüler mit einer Gaspistole ins Gesicht geschossen. Obwohl er es eigentlich auch nicht anders verdient hatte, schämte ich mich dafür. Vor ein paar Tagen habe ich aus Wut eine Tür eingetreten, die das zweifelsfrei verdient hatte. Aber danach musste ich bei der Hausmeisterin rumschleimen und den Scheiß reparieren. Das war so beschämend, dass ich mir seither sehnlich wünsche, irgendjemand würde sich die Wut so dermaßen verdienen, dass ich ihm die Fresse poliere und mich hinterher endlich einmal nicht schämen muss.

Paul Gerstheim

 

Halt’s Maul!

Meine Güte, wenn ich das schon höre: Wutbürger! Wer soll das denn sein? Allen Ernstes diese Stuttgart- 21-Streber? Diese jämmerlichen Sarraziner? Oder gar die 500 000 Deppen, die den »Gefällt mir«-Button für Guttenberg drücken? Wer das glaubt, der weiß rein gar nichts von der Wut. Jetzt hört mal zu, ihr Medien! Hör zu, Gesellschaft für deutsche Sprache! Versucht mal, diagonal über die Kreuzung Seestraße/Müllerstraße in Berlin-Wedding zu kommen, mit ­ihren Mittelinseln und ihren Ampelschaltungen. Versucht das mal! Oder ruft mal das Kundenzentrum der Berliner Sparkasse an und versucht, diesem Sprach­erkennungscomputer klar zu machen, was ihr wollt. Dann erst, dann wisst ihr, was Wutbürger sind. Bis es so weit ist, will ich von eurem sinnlosen Gerede über die Wutbürger nichts mehr hören. Also: Klappe halten!

Heiko Werning