Die politische Lage in Syrien

Weder Krieg noch Frieden

Trotz zahlreicher Verhandlungsrunden und Sanktionen geht das Morden in Syrien weiter. Darunter leidet auch der gewaltlose Protest gegen das Regime.

Der britische Außenminister William Hague hat es vor kurzem auf den Punkt gebracht: Das Regime Bashar al-Assads setze weiterhin zentrale Bedingungen des von Kofi Annan vermittelten UN-Friedensplans nicht um und offensichtlich werde der Waffenstillstand gebrochen. Es sei schwer, optimistisch zu sein, nach dem, was in den vergangenen 13 Monaten in Syrien passiert sei. Hague gab seine Stellungnahme, die einem sattsam bekannt vorkommt, bei einem Treffen der EU-Außenminister ab, auf dem neue Sanktionen gegen Syrien beschlossen wurden. Es war bereits die 14. Verhandlungsrunde der EU über Sanktionen gegen das Regime Assads. Diesmal wurde als Warnung an Assad und seinen engeren Zirkel ein direktes Exportverbot für Luxusgüter nach Syrien beschlossen. Auch das mag einem bekannt vorkommen. Bei der 13. Sanktionsrunde vor einem Monat wurde bereits das Einfrieren der Konten seiner Frau Asma Assad beschlossen, um zu verhindern, dass sie weiterhin luxuriöse Kostbarkeiten aus Europa kauft. Die Lage in Sy­rien und die internationalen Reaktionen darauf bieten längst den Stoff für eine Groteske. Alle sagen immer dasselbe, das Regime mordet wie eh und je, und nie passiert etwas.

Der durch Annan vermittelte Einsatz von UN-Beobachtern fällt bisher auch in diese Kategorie. Die UN-Beobachter liefern dieselben Bilder, Stellungnahmen und Berichte über unhaltbare Situ­ationen, wie sie bereits beim kurzen und ruhmlosen Einsatz der von der Arabischen Liga entsandten Beobachter Anfang des Jahres entstanden. Auf Youtube-Videos sind die UN-Beobachter entweder dabei zu sehen, wie sie von syrischen Soldaten dicht begleitet werden, oder von Demonstrierenden umgeben sind. Die Aufnahmen letztgenannter Art enden damit, dass von irgendwoher Schüsse fallen. Dass das syrische Regime im Übrigen versucht, unabhängige und spontane Bewegungen der UN-Beobachter etwa dadurch zu erschweren, dass es ihnen die Nutzung eigener Hubschrauber verweigert, erstaunt nicht.
Erstaunlicher war eher die Geschwindigkeit, mit der der UN-Sicherheitsrat – diesmal mit den Stimmen Russlands und Chinas – der umgehenden Erweiterung des kleinen Vortrupps auf 300 UN-Beobachter zugestimmt hat. Vielleicht spielte dabei die Befürchtung eine Rolle, man hätte gezwungen sein können, das Scheitern des Annan-Plans verkünden zu müssen, bevor man überhaupt dessen praktische Umsetzung beschlossen hatte. Um die Einhaltung eines Waffenstillstandes in ganz Syrien zu überwachen, sind 300 Beobachter zwar immer noch zu wenig, aber die 30 Beobachter, von denen zuerst die Rede war, waren anscheinend selbst der UN mittlerweile zu peinlich. Der Preis dafür, dass die russische Regierung der Sicherheitsratsresolution zugestimmt hat, war die Streichung der ursprünglich gegen das syrische Regime vorgesehenen Sanktionen, falls dieses sich nicht an Vereinbarungen hält. Dazu passt, dass bereits vor Inkrafttreten des Waffenstillstandes klar war, dass Assad den Vorgaben nicht folgen würde, denn Panzer und Artillerie waren nicht wie gefordert in die Kasernen zurückgezogen worden. Das Ergebnis war absehbar: Natürlich wird weiter geschossen, hier und da auch einmal etwas weniger, und so sind die Zahlen der Getöteten auf einen Stand wie vor ein paar Monaten gefallen. Das kann sich allerdings mit jedem Tag wieder ändern. Eine Lösung für die Probleme in Syrien ist das keinesfalls.

Dass die Angriffe durch das Regime kurzzeitig etwas weniger heftig ausfielen, hat jedoch auf eine in der weltweiten Öffentlichkeit fast vergessene Spaltung der syrischen Opposition jenseits des Parteienzanks und der Einflussnahme durch die Golfmonarchien oder die Türkei hingewiesen. Der Protest in Syrien war von bewusst friedlichen Massendemonstrationen getragen, bevor das beharrliche Schießen von Seiten des Regimes endlich von den Kämpfern der organisatorisch immer noch sehr undeutlichen Free Syrian Army erwidert wurde. Seit vergangenem Sommer ist so der gewaltlose Kampf der Demonstrantinnen und Demonstranten von einem Bürgerkriegsszenario sukzessive in den Schatten gestellt worden. Vielleicht war das auch gar nicht zu verhindern, die Militarisierung des Konfliktes war vom Regime gewollt. Die einzige Perspektive, die Assad und seine Verbündeten haben, ist die andauernde Verstetigung der Katastrophe. Solange geschossen wird und neue Munition aus Russland kommt, überlebt das Regime. Die von den Alawiten getragenen Eliteeinheiten der Armee stehen hinter ihrem Präsidenten und sind den oppositionellen Kämpfern militärisch überlegen. Zumal diese Entwicklung des Konflikts hin zum Bürgerkrieg entlang religiöser und ethnischer Grenzlinien die islamistischen Oppositionskräfte stärkt, worauf Assad ebenfalls spekuliert. Mit dem drohenden Islamismus versucht er die syrischen Minderheiten zum Schweigen zu zwingen, während die Kurden mit Hilfe der PKK ruhig gehalten werden. Falls es einem größeren UN-Kontingent nun gelingen sollte, tatsächlich wieder den Raum für friedliche Massendemonstrationen zu öffnen, dürfte auch die Diskussion um das eigentliche Ziel eines Post-Assad-Syriens wieder interessanter werden. Das Regime wird jedoch alles tun, um zu verhindern, dass zivil und säkular orientierte Aktivistinnen und Aktivisten erneut die Führung der Proteste übernehmen können. Ein Beispiel für deren Bemühungen ist der gerade im Internet propagierte Plan einer »Stunde Null«, in der alle wichtigen zentralen Plätze Syriens von Demons­trantinnen und Demonstranten gleichzeitig »erobert« werden sollen. Das mag utopisch klingen, das Warten auf den endgültigen Beginn eines Bürgerkriegs ist allerdings kaum erfolgversprechender.

Falls der Versuch, mit Hilfe von UN-Beobachtern den Konflikt in Syrien zumindest zu beruhigen, scheitern sollte – und es spricht eigentlich nichts dafür, dass dieers gelingen könnte –, dann bleibt nunmehr die Frage, wie lange eine direkte Intervention noch aufgeschoben werden kann. Auch wenn eigentlich niemand wirklich intervenieren will, dürften selbst die zahnlosen Drohungen und Ermahnungen gegenüber Assad irgendwann eine nicht mehr zu stoppende Eigendynamik entwickeln. Dabei haben sowohl die Golfstaaten wie die Türkei deutlich gemacht, dass sie ohne eine US-amerikanische Initiative ihrer gegen das syrische Regime gewendeten Rhetorik keine ­Taten folgen lassen werden. Von den europäischen Regierungen ganz zu schweigen. Alles geht seinen Gang, wenn Hillary Clinton wie beim jüngsten Treffen der »Freunde Syriens« wieder einmal ­erklärt, dass sich Syrien gerade an einem »entscheidenden Wendepunkt« befinde.
Das tut es allerdings bereits seit 13 Monaten. Und doch bewegt sich möglicherweise langsam etwas: Der Verteidigungsminister der USA, Leon Panetta, hat bei einer Anhörung gerade öffentlich gemacht, dass es Pläne des Pentagons für die Einrichtung von »humanitären Korridoren« in Syrien gebe. Eine Idee, die auch mehrfach von der französischen Regierung geäußert wurde und bei deren Umsetzung die Türkei eine große Rolle spielen würde. Von personellen Änderungen in US-amerikanischen Planungsstäben ist zudem die Rede, was auf eine kritischere Haltung gegenüber Syrien hindeuten könnte. Die Senatoren Joe Lieberman und John McCain sind bereits an die syrisch-türkische Grenze aufgebrochen, um Gespräche mit der Free Syrian Army zu führen und ein US-amerikanisches Engagement zu fordern. Es sind kleine Botschaften, die wohl heißen sollen, man meine es in Zukunft sehr ernst mit Assad.