Die Wahlen in Libyen

Jibrils Meisterstück

Die Wahlen in Libyen gewann überraschend deutlich ein Bündnis unter einem ehemaligen Anhänger Gaddafis und späteren Mitglied des Übergangsrats.

Libyen ist anders. Das haben die Libyerinnen und Libyer bei den ersten freien Wahlen am vergangenen Samstag erneut bewiesen. Nach ersten Berechnungen soll die Nationale Allianz, angeführt von Mahmoud Jibril, einen überragenden Sieg davongetragen haben. Die britische Zeitung Guar­dian meldete, in Tripolis seien 80 Prozent der Stimmen und in Bengasi 60 Prozent an die Allianz gegangen. Das bedeutet eine herbe Niederlage für die Islamisten. Beobachter und säkulare Libyer hatten befürchtet, dass wie in den Nachbarländern Islamisten die Parlamentswahl gewinnen würden. Überraschend ist auch, dass eine einzelne Gruppierung in einer gerade entstehenden Demokratie einen so deutlichen Sieg erringen konnte, zumal ihr ein Politiker der Übergangsregierung vorsteht, der bis vor kurzem als deren unpopulärstes Mitglied galt.
Jibril hat eine politische Meisterleistung vollbracht. Der ehemalige Vorsitzende des Exekutivrats der Übergangsregierung galt vielen als suspekt: Er war ein Getreuer Muammar al-Gaddafis, wenn auch ein Reformer. 2007 ließ er sich von Saif al-Islam, dem reformorientierten Sohn des Diktators, überreden, seine Professur in den USA aufzugeben und in Tripolis die Leitung des Na­tionalen Planungsrates zu übernehmen. Er soll dabei mit der alten Riege des Regimes aneinandergeraten sein, aber jenseits seines technokratischen Unwillens gegen Misswirtschaft fiel er nicht als ambitionierter Demokrat auf.
Zwei Wochen nach Beginn der Revolte in Bengasi im Februar vergangenen Jahres wechselte er die Seiten. Seinen Posten als Vorsitzender des Exekutivrats verdankte er der Tatsache, dass im Reich Gaddafis niemand ohne Verbindungen zum Regime annähernd qualifiziert genug gewesen wäre, den Job zu übernehmen. Jibril gewann die »internationale Gemeinschaft« für die Sache der Rebellen. Unbeliebt machte er sich im September, als er nach der Ermordung des Oberkommandierenden Abd al-Fatah Younis ein neues Kabinett zusammenstellen sollte. Von den 36 neuen Ministern gehörten viele zu seinen Verwandten und Freunden. Im Oktober trat er zurück.
Das war der beste Zeitpunkt, denn danach gingen die Kämpfe los. Jibril, der das Chaos nicht mehr bewältigen musste, scheinen die Wähler eine bessere und wohl auch festere Hand zuzutrauen als dem überforderten Übergangsrat. Stimmen wird er zudem von vielen ehemaligen Anhängern Gaddafis erhalten haben, die von ihm am wenigsten zu befürchten haben. Sein Meisterstück war es, eine Allianz jenseits der Islamisten aus 40 Parteien und 236 Nichtregierungsorganisationen zu schmieden. Genau das war den säkularen Kräften in Tunesien und Ägypten nicht gelungen. In Ägypten gab es zwar Wahlblöcke, doch in erstaunlichen Kombinationen, so taten sich etwa Sozialdemokraten und Muslimbrüder zusammen. In Tunesien scheiterte der Versuch, die zahlreichen linken und linkszentristischen Parteien für die Wahlen zu einer gemeinsamen Front zu vereinen.
Auf Jibrils Politik darf man gespannt sein. Neben seiner Nähe zum Regime und dem Hang zur Vetternwirtschaft zeichnet er sich durch die Befürwortung der Sharia aus. Einen säkularen Staat will er nicht. Er selbst wird nicht im Parlament sitzen, da ehemalige Mitglieder des Übergangsrats laut Wahlgesetz nicht kandidieren durften.