Proteste von »beleidigten« Muslimen in den arabischen Ländern

Weckruf aus Bengasi

Dass die Bevölkerung in Bengasi gegen ­Jihadisten vorgeht, bringt den Opferdiskurs über den »beleidigten Muslim« durcheinander.

Das Grundmuster ist eine Erfindung der sogenannten iranischen Revolution von 1979: Hass­erfüllte Demonstranten verbrennen US-Fahnen und ziehen vor westliche Botschaften, während sich Politiker in Europa oder Nordamerika reflexhaft devot entschuldigen, egal wie absurd die Forderungen der Demonstranten im Namen ihrer Religion auch sein mögen. Und während der »Tagesschau« sinken die Zuschauer unwillkürlich noch ein wenig tiefer zwischen die Sofakissen, murmeln »Die spinnen doch alle, diese Moslems«, und werden doch das Gefühl nicht los, eine globale Machtübernahme der Islamisten könne womöglich nur noch eine Frage der Zeit sein. Dieses klassische Muster hat über die Jahrzehnte Abwandlungen erfahren; aus agilen bärtigen Sturmtruppen Khomeinis sind Islamistendarsteller geworden, die sich wie zwanghaft selbst karikieren, und in die Reaktionen des westlichen Publikums mischt sich neben Angst und Ressentiments immer öfter eine Art Genervtheit: Nicht die schon wieder.
Denn so sicher wie der Ramadan jedes Jahr kommt, so sicher bringt der alte Nahe und Mittlere Osten periodisch seinen Islamistenpöbel auf die Gasse, um gegen Meinungsfreiheit und liberale Werte zu demonstrieren. Es ist ein Kulturkampf, den ebenfalls die iranischen Mullahs erfunden haben: Der Beginn der Verfolgung Salman Rushdies datiert auf das Jahr 1989.
Diesmal ist es also angeblich ein wirr zusammengestückelter 15minütiger Youtube-Film, der große Teile der islamisch geprägten Staatenwelt erschüttert. Diese Kausalkette ist so grotesk, dass nach der ersten hysterischen Aufwallung relativ schnell die Erkenntnis durchsetzte, dass es sich weder um »spontane« Proteste handelte noch dass es dabei tatsächlich um einen Youtube-Film ging. Die orchestrierten Proteste haben ihre wirkliche Ursache in länderspezifischen Problemen.
Im Sudan etwa hat die schwächelnde Regierung nicht nur Schwierigkeiten mit den Teilen der Bevölkerung, die sich hier ein Übergreifen des sogenannten arabischen Frühlings wünschen – gleichzeitig steht das wirtschaftlich und politisch bankrotte islamistische Regime unter dem Druck von Ideologen, die ihm Verrat an den eigenen Prinzipien vorwerfen. Da war es an der Zeit, zur Verschnaufpause mal eine westliche Botschaft zu verwüsten. Zumal wenn der deutsche Außenminister so rückgratlos ist, als Reaktion darauf im Grunde die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit zur Disposition zu stellen, anstatt mit den Machthabern in Khartum, über deren staatlichen Rundfunk der Demonstrationsaufruf gesendet wurde, Tacheles zu reden. So kann man Land für Land durchgehen und wird sehen, wer aus welchen Gründen demons­trieren lässt: In Ägypten spielt die Rivalität zwischen Muslimbrüdern und Salafisten die Hauptrolle, in Pakistan endet der von der Regierung ausgerufene »Tag der Liebe zum Propheten« mit 20 Toten, der Forderung der Regierung, Blasphemie weltweit unter Strafe zu stellen – die notorischen Freiheitsverächter im deutschen Feuilleton werden es dankbar begrüßt haben –, und der Auslobung einer Kopfgeldprämie durch einen pakistanischen Minister zu durchsichtigen Wahlkampfzwecken. Man kann sagen: Dieser Staat ist am Ende, auch ohne »Schmähfilme« auf Youtube.
Dann Bengasi. Dass dort die geschundene Bevölkerung mit den als Taliban kostümierten islamistischen Milizen kurzen Prozess macht, hat den Opferdiskurs über den »beleidigten Muslim« etwas durcheinandergebracht. Vielleicht ist der arabische Frühling gar nicht so tot, wie manche sich das wünschen.