Kritik des Leitfadens der »AG Feministisch Sprachhandeln«

Unterschiedslos souverän

Der Leitfaden der »AG Feministisch Sprachhandeln« der Berliner HU ist beispielhaft für den Stand der Emanzipation in Zeiten repressiver Gleichheit: In ihm kommen Staatsfetischismus und Sektierertum zusammen.

Wer glaubt, es sei ein Kennzeichen von Kritik, an die »Selbstreflexion« der Menschen zu appellieren, der hinkt dem fortschreitenden Unwesen hinterher. Nach Maßgabe derer, die den Appell, »sich selbst zu reflektieren«, vor sich hertragen, wäre nämlich schon der erste Satz dieses Textes als Symptom andro- und eurozentrischer, sexistischer und ableistischer Korruption zu eliminieren. Konstruieren doch die Worte »wer« und »der« das Subjekt des Satzes nicht nur als männlich, sondern, durch die universalistische Rede von »den Menschen«, als weißen Europäer. Die Metapher vom »Hinterherhinken« diskriminiert Andersbegabte und affirmiert das westliche Bildungsprivileg. Wer sich im Sinne kritischen Sprachhandelns »reflektieren« will, dem bleibt also, will er sich nicht in vorauseilender Selbstmanipulation verheddern, nur eine Möglichkeit: den aktuellen Stand der von den Sprachhändlern buchstäblich ausgedachten Regeln als stummen Zwang der künftigen Verhältnisse zu verinnerlichen. Was, da diese Regeln inzwischen die paradoxe Form eines Dudens für Dadaisten angenommen haben, die intellektuelle Energie in einem Maße binden dürfte, dass für jenes Innewerden seiner selbst, das Selbstreflexion heißt, weder Kraft noch Zeit bleibt.
Damit der akademische Nachwuchs weder beim Sachbearbeiter des Geschlechterreferats noch im queeren Szenecafé durch verständliche Artikulation aneckt, hat die »AG Feministisch Sprachhandeln« der Berliner Humboldt-Universität einen »Leitfaden« veröffentlicht, der nicht nur eine »Reflexionsübung zu eigenen Normalisierungs-Vorstellungen« enthält, sondern auch »ganz viel Spaß« verspricht. Was nicht auf die lachenden Tränen anspielt, die dem hirn­ungewaschenen Teil der Leserinnenschaft bei der Lektüre über die Wangen rinnen, sondern die einzige Lust meint, die zu empfinden dem Deutschen gegeben ist – die an der freiwilligen Selbstkasteiung im Dienst des Gegensouveräns, genannt »Kreativität«: »Möglichst viele neue, kreative, herausfordernde, anwesende Sprachformen kann ich schreiben! Es gibt keine festgelegten, dauerhaften Regeln, keine Eindeutigkeiten, sondern die Möglichkeit, sich immer wieder über die Handlungsdimension des eigenen Sprachgebrauchs bewusst zu werden (…). Neue nicht-diskriminierende Formen entstehen beispielsweise häufig in Kontexten, wo Personen zusammenkommen, die sich z. B. durch den gängigen, prototypisch androgendernden Sprachgebrauch nicht angesprochen und repräsentiert fühlen, in Schreibübungen und Gedichten, auf Partyflyern und Demo-Transpis. Insgesamt gibt es schon viele Möglichkeiten, antidiskriminierend zu sprechen und zu ­schreiben. Ein kreativer Umgang mit Sprache macht Spaß!«
Dozentinnen, die an dieser Mischung aus PR-Deutsch und Therapietagebuch beanstanden, dass es »Eindeutigkeit« nicht in der Mehrzahl gibt, man sich nicht über eine, sondern nur einer Sache bewusst werden kann und die Formulierung »anwesende Sprachformen« unverständlich ist, und die das Bedürfnis, sich in jedem »Kontext« »repräsentiert« zu »fühlen«, als autoritär kritisieren, müssen damit rechnen, dass die Verfasser sie vor den Kadi zerren: »Die Humboldt-Universität zu Berlin hat sich in ihrer Verfassung (§ 38) und in ihrer ›Gleichstellungssatzung nach § 5a Berliner Hochschulgesetz‹ (Fertigstellung 2013) verpflichtet, ge­schlechter›gerechte‹ Sprache zu verwenden. Die vorliegende Broschüre (…) konkretisiert diesen Anspruch und ist ein Angebot an alle Mitglieder der HU, aber auch an die Entscheidungsgremien, diesen Anspruch im Universitätsalltag konkret umzusetzen.« Mit diesem »Gegenargument«, das kein Argument, sondern Erpressung mit administrativer Rückendeckung ist, sollen Studenten, die in ihren Hausarbeiten »die x- und Unterstrich-Formen angestrichen« bekommen, androgegenderte Professorinnen zum Respekt vor der Verkehrtheit der Welt erziehen. Die Sprachhausmeister haben tatsächlich kein grammatisches Geschlecht: Mag die im »Duden« kodifizierte Normsprache, obgleich seit einigen Jahren sogar an Unis von Nicht-Männern benutzt, »männlich« sein, so triumphiert im »Leitfaden« ein geschlechterübergreifendes Mackertum, das die Widerspenstigen per Anrufung zähmt.
Simone de Beauvoir sah in der Forderung, dass die Frauen nicht als Exemplare der Gattung Frau, sondern als Individuen frei sein mögen, keine Anmaßung, sondern – gleich Martin Luther Kings Verständnis der Emanzipation der Schwarzen – das Beharren auf dem im Begriff individueller Freiheit bewahrten und zugleich von ihm verhinderten Versprechen der Freiheit aller. Sprache und Denken nehmen für Beauvoir diese Freiheit insofern vorweg, als sie sedimentierte Formen menschlicher Praxis statt nur Herrschaftsinstrumente weißer Männer sind: Elaborierte Sprachen gehören nicht einfach der »Klasse« oder »Kultur«, die stärker als andere ihre Entwicklung bestimmt hat, und müssen deshalb auch nicht gleichstellungspolitisch auf Linie gebracht werden. Vielmehr gehört jede Sprache (was sie vom ausschließenden, Gemeinschaft stiftenden Dialekt unterscheidet) potentiell der Menschheit. Gelungene Vermittlung ist den Sprachen, die ihrer Form nach unendlicher Zusammenhang und unendliche Möglichkeit sind, bereits angelegt. Der Hass darauf bricht sich in der Verachtung des Englischen als nivellierender Weltsprache Bahn.
Nun wäre die Welt nicht besser, wenn alle Englisch sprächen, obwohl sich die Sache mit dem Genus teilweise erledigt hätte. Dass das Englische zu dem sprachlichen Medium universaler Vergleichung werden konnte, verdankt sich demselben Prozess kapitaler Vergesellschaftung, der verhindert, dass aus der abstrakten Gleichheit lebendige Wirklichkeit wird. Dennoch wäre eine Welt, in der immer mehr Menschen das Englische so differenziert beherrschten wie ihre Nationalsprache, wünschenswerter als eine, in der die Nationalsprachen durch von selbsternannten Interessenvertretern administrativ durchgesetzte Verkehrssysteme reglementiert werden. Um staatliche Absegnung eines Sprachumbaus, der am Immanenzzusammenhang der jeweiligen Sprache gar nichts ändert, geht es im »Leitfaden« aber ausschließlich. Die »Reflexionsübung« besteht aus Ver­suchen, subjektiven Befindlichkeiten qua sprach­licher »Repräsentation« staatliche Weihe zu verleihen: »Wie kann ich mein Sprechen und Schreiben so gestalten, dass die Zielpersonen sich davon angesprochen fühlen können?« soll sich der Schüler fragen, der zugleich Beamter aus Berufung ist: »Wie kann ich als Lehrx vermeiden, Personen und Personengruppen aus dem Kanon (...) auszuschließen – oder sie als ›extra‹ und ›zusätzlich‹ herzustellen?« – »Warum höre ich als trans_x_te Person so selten ›Liebe Trans_x_te? Wo können sich bspw. Trans*­Personen wiederfinden in einer Anrede wie ›Liebe Damen und Herren‹?« – »Wie häufig hast du dir eine weiße, (…) christliche Person vorgestellt, (…) die nicht durch strukturelle rassistische Diskriminierung daran gehindert wird, die Universität oder andere Räume als eigene Räume aufzufassen?«
Dass nicht Freigeister, sondern Kripobeamte von »Zielpersonen« reden; dass der inflationär bemühte Begriff der »Person« nicht das In­dividuum, sondern den zur Rechtsform geschrumpften Einzelnen meint; dass Personen gesellschaftlich konstituiert, nicht aber wie Barbiepuppen »hergestellt« werden; dass die Beispiele (Lehrer, Kanon, Sonntagsrede, Uni­versität) alle aus dem Dunstkreis staatlicher Repräsentation stammen – diese Hinweise auf ihre Souveränitätshörigkeit werden von den ehrenamtlichen Genderbeamten überhört. Ihr Vorhaben, Sprache von einer Form der Vermittlung in einen ungetrübten Identitätsspiegel zu verwandeln, in dem alle sich mit ihren verstockten Bedürfnissen »wiederfinden«, zielt auf Staatwerdung subjektiver Willkür und lässt an Politsekten denken. An Sekten erinnert auch die aus der Neurophilosophie bekannte Pseudolegitimation durch unwiderlegliche »Perzeptionsstudien«, die zeigten, dass »bei sogenannten ›Frauenberufen‹ (…) bei der Verwendung des androgendernden Maskulinums Männer assoziiert« würden.
Quelle dieses halb kryptoneurologisch, halb sprachmetaphysisch begründeten Obskurantismus ist ein »Internationales EU-Forschungsprojekt zum Zusammenhang von Sprache und Geschlecht in der Wahrnehmung« – eine weitere ausgelagerte Staatsagentur. In der wissenschaftsgestützten Verallgemeinerung des voluntaristischen Bedürfnisses zum Imperativ des Souveräns kündigt sich die negative Selbstaufhebung der Gesellschaft an, die alle Menschen im Angesicht ihrer Überflüssigkeit gleichmacht: Eine Sprache, die jede Unterscheidung als diskriminierend tilgt und alle »Personen« in ihrer nichtig gewordenen Differenz »repräsentiert«, zielt auf die restlose Verdoppelung der Überflüssigkeit der Menschheit. Kein Wunder, dass sie, mit ihren nach Lust und Laune verstreuten X-en, Sternchen und Balken, sich objektiv dem Dadaismus nähert. Was die Dadaisten den Bürgern durch Übertreibung schockhaft vor Augen führen wollten, tun sich ihre nachbürgerlichen Erben bierernst selber an. Die Fähigkeit, vor sich zu erschrecken, haben sie verloren mit der Fähigkeit, über sich zu lachen. Erst wenn alle Menschen sich nicht nur in den von Objekten sinnloser Plackerei zu Gegenständen freier Tätigkeit gewordenen Produkten ihrer Arbeit, sondern ineinander glücklich wiederfinden, wäre alles anders.

Die Autorin lehrt imaginäre Geschlechterforschung an der Universität Muri (Aargau/Schweiz).