Ein Buch über die Rezeption der »Protokolle der Weisen von Zion« in Griechenland

Antisemitische Lektüre

Dimitris Psarras rekonstruiert die griechische Rezeptionsgeschichte der »Protokolle der Weisen von Zion«.

Bestseller des Hasses« lautet der Titel eines gerade in Griechenland erschienenen Buchs, das sich mit der griechischen Rezeptionsgeschichte der »Protokolle der Weisen von Zion« beschäftigt. Verfasst wurde es von Dimitris Psarras, Mitglied der Journalistengruppe Ios (»Virus«), der seit den neunziger Jahren für die linksliberale Zeitung Eleftherotypia investigative Artikel geschrieben hat und nach der Insolvenz des Blattes für die vom Zeitungskollektiv in einer Genossenschaft herausgegebene Efimerida ton Syntakton (»Zeitung der Redakteure«) arbeitet. Einen Namen machte sich Psarras als Beobachter der Nazipartei Chrysi Avgi (»Goldene Morgenröte«). Das von ihm herausgegebene »Schwarzbuch der Chrysi Avgi« gibt einen genauen Einblick in die Geschichte und Struktur der griechischen Neonazis. Psarras gilt als Experte für die extreme Rechte in Griechenland und veröffentlichte bereits ein materialreiches Buch zu der von Georgios Karatzaferis gegründeten Partei Laos (»Völ­kisch-orthodoxer Alarm«).
Die »Protokolle der Weisen von Zion« sind ein Ende des 19. Jahrhunderts im Umfeld russischer Antisemiten entstandenes Pamphlet. Die älteste bekannte Fassung der »Protokolle« erschien vermutlich im Jahre 1903 in der rechtsextremen Zeitung Snamja (»Die Fahne«) unter dem Titel »Das jüdische Programm zur Welteroberung«. Die »Protokolle« schildern eine angebliche jüdische Weltverschwörung und greifen auf eine jahrhundertealte verschwörungstheoretische Tradition zurück. Das Pamphlet gibt vor, es handele sich um Protokolle eines »illegalen jüdischen Welttreffens«, auf dem der strategische Plan zur Erlangung einer »jüdischen Weltherrschaft« diskutiert und verabschiedet worden sei. In den »Protokollen« heißt es: »Sobald wir die Weltherrschaft erlangt haben, werden wir keinen anderen Glauben dulden als allein unseren Glauben an den einigen Gott, der uns auserwählt hat unter den Völkern, damit wir die Geschicke der Welt bestimmen. Sollte dadurch die Zahl der Gottlosen vorübergehend zunehmen, so kann das unseren Zwecken nur dienen. Wir werden auf die Gottlosigkeit der Nichtjuden als abschreckendes Beispiel hinweisen und unsere in sich gefestigte und tief durchdachte Lehre über die ganze Welt ausbreiten.« Bis heute ist unter Wissenschaftlern umstritten, wer den Text verfasst hat.
Die »Protokolle« wurden weltweit ein »Bestseller«, den verschiedene politische Gruppen und Organisationen, nicht zuletzt die Nationalsozialisten, für ihre Propaganda nutzten. Auch in der Nachkriegszeit hat die Schrift weiterhin ihre Leser gefunden. In Deutschland berufen sich Rechtsextremisten auf die Schriften, außerdem viele Verschwörungstheoretiker, die die Attentate von 9/11 für ihre Zwecke instrumentalisierten.
Die Überzeugung, dass die »jüdische Lobby« die Geschicke dieser Welt lenke, wird von verschiedenen politisch-ideologischen und religiösen Kreisen propagiert und hat viele Anhänger. Neuerdings finden die »Protokolle« vor allem in osteuropäischen Ländern, aber auch im arabischen Raum und in Japan, vermehrt Leser.
Bereits 1995 machte die Journalistengruppe Ios darauf aufmerksam, dass die »Protokolle« in Griechenland sehr viel stärker verbreitet seien als in anderen europäischen Ländern. In der Einleitung zu seinem Buch fragt Psarras: »Welches ist das beliebteste Buch der letzten Jahrzehnte in Griechenland?« Es ist eine rhetorische Frage. Derzeit zirkulieren in Griechenland über zehn verschiedene Ausgaben der »Protokolle«. Es handelt sich dabei zumeist um eine Übersetzung aus dem Jahr 1932 oder um Kopien der Erstausgabe. Neben diesen Versionen gibt es Dutzende anderer Texte, die auf der Übersetzung von 1932 basieren. Bislang existieren in Griechenland leider kaum Studien, die sich kritisch mit den »Protokollen« beschäftigen. Psarras erwähnt lediglich zwei Bücher, die allerdings, wie er in seiner Einleitung bemerkt, keine gesonderte Darstellung zur Verbreitung der »Protokolle« in Griechenland enthalten.
In einem Interview mit der der linken Partei Syriza nahestehenden Zeitung Avgi erklärte der Autor, dass »die Verbreitung des Antisemitismus in Griechenland ein Tabuthema« sei. Die Darstellung der griechischen Rezeptionsgeschichte der »Protokolle« belegt diese Einschätzung eindrucksvoll und gibt zudem anhand zahlreicher Details Aufschluss über den Zustand der griechischen Gesellschaft. Erstmalig erscheinen die »Protokolle« in Griechenland in den zwanziger Jahren, sie sollten die Russische Revolution und den Bolschewismus als Ergebnis der internationalen jüdischen Weltverschwörung erscheinen lassen. Die »Protokolle« beeinflussten unterschiedliche politische Milieus, von der extremen Rechten bis zu den republikanischen »Venizelikous«. Sie erschienen 1931 in den beiden in Thessaloniki herausgegebenen Tageszeitungen Fos (»Licht«) und Makedonia und flankierten die Pogrome in der jüdischen Siedlung Campel. Das Pogrom wurde von der rechtsextremen Gruppe Ethniki Enosi Ellas (Nationale Union Griechenland) organisiert, die die »Protokolle« in ihrer Parteizeitung ebenfalls veröffentlichte. Während der deutschen Besatzungszeit und des Bürgerkriegs wurde die Schrift als propagandistische Waffe gegen die linke Front eingesetzt.
Eine zentrale Rolle in der Veröffentlichungsgeschichte der »Protokolle« in Griechenland spielte Aristidis Andronikos. »Er kam über Paris aus dem nachrevolutionären Russland, geladen mit dem antibolschewistischen Hass und revanchistischen Gefühlen der Anhänger des Zaren«, schreibt Psarras über ihn. »Er selbst hat die Ideologie der Pogrome nach Griechenland gebracht. Er inspirierte, führte sogar die faschis­toiden Organisationen der Zwischenkriegs­zeit an, des Typus E. E. E. (Ethniki Enosi Ellas; d. Red.) Er verband den inländischen religiösen Antisemitismus mit der antikommunistischen politischen Strategie dieser Epoche und später der Diktatur von Metaxas. Er schwamm wie ein Fisch im Wasser in der Epoche der (deutschen) Besatzung, in der er die Protokolle im Kreis der aktivierten Kollaborateuren verbreitete, und teilte mit ihnen die Hoffnung auf den Sieg der Hitler-Anhänger und die Endlösung.«
In den siebziger Jahren wurden die »Protokolle« auch in der antizionistischen Linken rezipiert. In der Zeit des Übergangs von der Junta der Generäle (1967–1974) zur parlamentarischen Demokratie erlebten die »Protokolle« ein publizistisches Revival und beförderten die Entstehung von Verschwörungstheorien. Journalisten und Historiker suchten nach einer Erklärung, warum die Diktatur im April 1967 durchgesetzt werden konnte und wer oder was zu ihrem Zusammenbruch führte. In den »Protokollen« meinte man eine einfache Antwort darauf gefunden zu haben. Man sah eine sieben Jahre währende jüdische Verschwörung am Werk. Zum ersten Mal wurden damit die »Protokolle« mit einem realen historischen Geschehen in Griechenland direkt in Verbindung gebracht. Zum ersten Mal erreichten die »Protokolle« auch die Linken. Das Aufblühen dieser Verschwörungstheorien in linken Kreisen hat seinen Grund: Etwa zur selben Zeit wurde der Zionismus als »Rassismus« diffamiert.
Heute sind es rechte Politiker, die aus den »Protokollen« zitieren, und rechte Medien, die das Pamphlet bewerben. Seit Jahren wird der Text in verschiedenen Fernsehshows von Privatsendern der neuen Rechten angepriesen. Der amtierende konservative Gesundheitsminister und ehemaliges Mitglied von Laos, Adonis Georgiadis, bewarb in seiner Büchershow, in der er Publikationen seines Verlags vorstellt, neben anderen verschwörungstheoretischen und antisemitischen Publikationen auch die »Protokolle«. Heute führt sein Bruder den Verlag, Kostas Plevris, bekanntester Antisemit Griechenlands und Autor des Buches »Juden – Die ganze Wahrheit«, ist immer noch gern gesehener Gast der Sendung. Natürlich werden die »Protokolle« in seinem Buch ausführlich zitiert.
Auch in den Protesten gegen die Krisenpolitik von Regierung und EU spielen Ideologien, die auf den »Protokollen« basieren, eine Rolle. Auf einem Transparent, das bei einer Kundgebung der »Bewegung der Empörten« im Juni 2011 auf dem Syntagma-Platz zu sehen war, war zu lesen: »Nein zur Weltregierung«. Unklar ist, wer der Urheber ist. Aber niemand hat dieses Transparent beanstandet, es hat sogar die gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der griechischen Staatsmacht überstanden. Die Ausicht, dass die griechische Nation Widerstand gegen die »globale Weltordnung« leisten müsse, ist in der Protestbewegung, von rechts bis links, weit verbreitet, was bestätigt, dass die Bezugnahme auf die Protokolle in verschiedenen politischen Lagern populär ist.
Die Studie ist aus mehreren Gründen interessant. Einerseits erklärt sie die Entwicklung des Antisemitismus in Griechenland und zeigt, wie sich Verschwörungstheorien in den verschiedenen politischen Lagern über Jahrzehnte hinweg etabliert haben. Anderseits beantwortet sie zum Teil die Frage, warum einfache politische Antworten im Rahmen der Krisenverwaltung durch die sogenannte Troika im politischen Diskurs vorherrschen und vor allem die griechische Bevölkerung, nicht nur in ihrem Wahlverhalten, beeinflussen. Nicht zuletzt erklärt sie, auf welchen schon bereiteten Boden sich die neonazistische Chrysi Avgi stützen konnte, um ihre »antisystemische« Propaganda im Einklang mit Verschwörungstheorien und Antisemitismus zu reproduzieren.

Dimitris Psarras: Bestseller des Hasses. Die »Protokolle der Weisen von Zion« in Griechenland, 1920–2013. Polis-Verlag, Athen 2014. Das Buch ist bislang nicht auf Deutsch erschienen. Die Übersetzungen stammen von John Malamatinas.