Hellsehen in Norwegen

Internetexperte zu sein, gehört zweifellos zu den schönsten Jobs in Deutschlands – auch, weil niemand so genau weiß, was jemanden dazu qualifiziert, als Netz-Koryphäe aufzutreten. Früher, als das Internet noch neu und nicht zuletzt deswegen aufregender war als heute, reichte es, Trends aus den USA aufzuschnappen, ein paar mehr oder weniger eigene Gedanken dazu aufzuschreiben und dazu aufgeregte Überschriften, in denen wahlweise Begriffe wie »digitale Zukunft« oder »Gefahr aus dem Internet« vorkamen, zu verfassen, und schon war wieder ein bahnbrechender Artikel über das, was die Nation demnächst erwarten würde, fertig – und ein weiteres halbes Jahr Expertendauerbeschäftigung garantiert.
Dass all die Voraussagen und ungeheuerlich wichtigen Zukunftsprognosen in 100 Jahren bestenfalls für lustige Ausstellungen unter dem Titel »So stellten sich unsere Vorfahren allen Ernstes vor, dass wir leben würden« taugen werden, interessiert die Internetexperten vermutlich nicht. Warum auch, bis dahin sind sie und ihre Leser ja ohnehin tot.
Mittlerweile gibt es ohnehin weniger Zukunftsprognosen, viel einfacher ist es, Zeitungen zu erklären, was sie zu tun haben, um im Internetzeitalter nicht zu sterben. Internetexperten erledigen das, indem sie nicht etwa eigene Ideen produzieren, sondern Zeitungen dazu auffordern, sich halt was einfallen zu lassen. In Norwegen, wo von Klingeltonanbietern über flächendeckende Internetanbindung bis hin zu medialen Bezahlinhalten alles rund fünf Jahre früher als in Deutschland passiert, kann man prima bestaunen, wie die Sache mit dem Überleben in Internetzeiten funktioniert: 1 000 Redakteure und Journalisten werden dort ihre Jobs verlieren – das Land hat rund fünf Millionen Einwohner.