Die linke Kritik an den Schuldenzahlungen Argentiniens

Schuldendienst als Ehrensache

Um den drohenden Staatsbankrott zu verhindern, will die argentinische Regierung Schuldenzahlungen künftig nicht mehr über die USA, sondern im eigenen Land abwickeln. Argentinische Linke lehnen den Schuldendienst aber insgesamt ab und haben einen Sechs-Punkte-Plan gegen die Forderungen der Hedgefonds vorgelegt.

Außer vereinzelten Plakaten gegen die im Land »Geier« genannten Hedgefonds ist derzeit in Buenos Aires wenig von dem seit Monaten drohenden Bankrott Argentiniens zu merken. Das Leben geht seinen gewohnten Gang. Zu diesem Leben gehören auch die fast täglichen Straßenblockaden, die ebenso wie andere Proteste derzeit aber vor allem einen arbeits- oder stadtpolitischen Fokus haben. Dringliche Probleme für die Bevölkerung sind die extrem hohe Inflation und die Rezession. Daher interessieren die regelmäßigen Meldungen zu den Verhandlungen mit den Hedgefonds in New York (Jungle World 31/14) und der von Argentinien beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag eingereichten Klage gegen die USA die meisten Bewohnerinnen und Bewohner des Landes derzeit kaum.

Die Auseinandersetzung um den Staatsbankrott Argentiniens geht derweil in eine neue Runde, wobei der Ton zwischen den Streitparteien merklich schärfer wird. Die argentinische Regierung hat in der vergangenen Woche verkündet, dem New Yorker Bezirksrichter Thomas Griesa die Verfügungsgewalt über die Raten der Schuldenrückzahlungen an die Gläubiger zu entziehen. Die Tilgung der Auslandsschulden soll künftig nicht mehr über die New Yorker Bank Mellon, sondern über ein Treuhandkonto bei der argentinischen Nationalbank abgewickelt werden. Ein entsprechendes Gesetz wird der Kongress voraussichtlich innerhalb kurzer Zeit verabschieden. Mit dieser Maßnahme will die Regierung von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner verhindern, dass erneut auf Betreiben der Hedgefonds NML Capital und Aurelius Tranchen der Schuldentilgung gepfändet werden. Denn würden die »Geier« den gesamten Nennwert ihrer zu einem Bruchteil erworbenen Staatsanleihen erhalten, drohen Argentinien Nachforderungen von insgesamt etwa 120 Milliarden US-Dollar, was den zweiten Staatsbankrott innerhalb von zwölf Jahren nach sich ziehen würde. Die Finanzunternehmen können dabei so oder so nur gewinnen. Entweder sie bekommen das Geld mit dem angestrebten 17fachen Gewinn oder, im Fall eines Staatsbankrotts, profitieren sie von den Ausfallversicherungen. Griesa beurteilte das Unterfangen Argentiniens als »illegal« und bewertete das Regierungshandeln als »gesetzlos«. Die argentinische Regierung konterte, indem sie dem Richter eine unzulässige Einmischung in die Geschäfte eines souveränen Staates unterstellte und ihm »eine falsche und mitunter imperiale Wortwahl« attestierte.

Zur derzeitigen Pattsituation hat nicht zuletzt beigetragen, dass Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und ihr Amtsvorgänger und verstorbener Ehemann Néstor Kirchner die Legitimität der Schulden nie in Zweifel gezogen haben. Die Regierungen der Kirchners haben sich seit 2003 stets als willige Rückzahler der vor allem während der Militärdiktatur (1976 bis 1983) und der wirtschaftsliberalen Phase in den neunziger Jahren angehäuften Schulden geriert. Die Anbiederung an den Internationalen Währungsfonds (IWF), den Pariser Club der staatlichen Gläubiger, das Schiedsgericht der Weltbank und Unternehmen wie den spanischen Ölkonzern Repsol, der eine hohe Abfindung für die Wiederverstaatlichung der argentinischen YPF erhalten wird, ist nicht einfach dem Bestreben geschuldet, die Schulden zu »ehren«, wie das Rückzahlen auf Spanisch heißt.
Dahinter steht vielmehr die Absicht, wieder an die internationalen Finanzmärkte zurückzukehren, von denen das Land seit dem Bankrott Anfang 2002 weitgehend abgeschnitten ist. Die Überzeugung, für ein wirtschaftliches Fortkommen sei der Zugang zu internationalen Krediten und ausländischen Investitionen wichtig, eint die Regierung und weite Teile der Opposition. Die Politik der Kirchners war und ist maßgeblich auf dieses Ziel ausgerichtet. Sowohl die Devisenkontrolle zum Schutz der Dollarreserven der Nationalbank als auch der Rückkauf der YPF und die Ausweitung des Soja-Anbaus sind vor diesem Hintergrund zu sehen. Durch den Gerichtsentscheid zugunsten der Hedgefonds im Juni ist dieser Weg nun vorerst versperrt worden. Aber selbst wenn die Regierung noch zu einem akzeptablen Kompromiss mit den Hedgefonds gelangen sollte, wäre das Ende der Schuldenzahlungen nicht absehbar. In jedem Fall müssten innerhalb der kommenden fünf Jahre jährlich fast neun Milliarden US-Dollar, also insgesamt 150 Prozent der derzeitigen Zentralbankreserven, bezahlt werden. Neue Kredite sind hierbei noch nicht berücksichtigt. Eine mögliche Schuldenfreiheit rückt so in immer weitere Ferne und die Abhängigkeit vom Exportmodell steigt beständig.

Nicht zuletzt deswegen lehnen radikale Linke dieses Vorgehen ab. Für traditionelle linke Parteien ebenso wie für undogmatische Organisa­tionen ist klar, dass die Schulden nicht bezahlt werden dürfen und schon gar nicht von der Arbeiterklasse. Die Trotzkisten um das Parteienbündnis Frente de Izquierda y de los Trabajadores halten sich insgesamt an eher klassische Formeln. Sie sprechen von imperialistischen Interventionen der USA und Europas und einer notwendigen Befreiung Argentiniens.
Rolando Astarita, Mitglied des Kollektivs linker Wirtschaftswissenschaftler EDI, kritisiert solche schematischen Gegenüberstellungen und weist darauf hin, dass die Schulden die Konsequenz der Akkumulationsformen des lokalen, abhängigen Kapitalismus sind. Für ihn ist die einfache Forderung nach einem Ende des Schuldendienstes zu kurz gegriffen. »Wenn wir das machen würden, ohne dass sich das Akkumulationsmodell verändert, wäre unausweichlich, dass das Schuldenthema bald wieder aktuell sein wird«, schreibt der Ökonom in einem Kommentar hinsichtlich der Interessen der herrschenden Klassen im Land. Die genaue Zusammensetzung der Schulden offenbart, dass Forderungen nach nationaler Souveränität den Kern der Sache verfehlen: Durch Umschuldungen sind mittlerweile 66 Prozent der Verbindlichkeiten bei argentinischen Institutionen wie der Zentral- und Nationalbank sowie der Rentenkasse angesiedelt.
Die lokalen Banken, die inzwischen angeboten haben, auch die Schuldtitel der Hedgefonds zu übernehmen, drohen nach Ansicht des EDI zu »internen Geiern« werden, da sie im Zweifelsfall auch Strukturanpassungen wie der IWF oder die sogenannte Troika in verschuldeten Ländern fordern könnten. In einer vor kurzem unter dem Titel »Sechs Maßnahmen, um gegen die Geier zu siegen« veröffentlichten Erklärung formuliert das Kollektiv eine linke wirtschaftspolitische Antwort auf die Schuldenkrise. Darin plädieren sie für die Verweigerung der Zahlung an die Hedgefonds und eine allgemeine Untersuchung der Natur der Schulden, die Verschiebung der Jurisdiktion der Schuldscheine sowie eine finanzielle Bestrafung derjenigen ökonomischen Gruppen, die von Kapitalflucht und Steuerhinterziehung in der Vergangenheit profitiert haben. Zur Sicherstellung dessen und im Kampf gegen die »internen Geier« verlangen sie ein staatliches Monopol über den Auslandshandel und die Verstaatlichung des Bankensektors.
»Der Kampf gegen die Geier muss letztlich durch eine Massenbewegung gestützt werden«, heißt es weiter in dem Papier. Von einer solchen ist allerdings derzeit nicht viel zu merken und daher kann die Regierung Cristina Kirchners mit dem Dogma des Schuldendienstes auch weiterhin als Bindeglied für einen relativ reibungslosen Übergang zu einer wie auch immer gearteten, auf jeden Fall weiter rechts stehenden Nachfolgeregierung sein. Nicht unwahrscheinlich ist, dass kapitalismuskritische Linke aus der Situation bei den kommenden Wahlen Kapital schlagen können. Sie sind parteipolitisch besser organisiert als zuvor und ihre Positionen dürften populärer werden, wenn sich das Schuldenthema, anders als von Kirchner beabsichtigt, schon vor den Wahlen 2015 innenpolitisch niederschlagen sollte.