Ohrfeige für Charlie

In ihrem vielgelobten Roman »Flammenwerfer« feiert die US-amerikanische Autorin Rachel Kushner die Subversion der Kunst und die Militanz der Roten Brigaden. Der Mai 1968 und Frankreich kommen schlecht weg. »Die französische Linke«, sagt sie, »hängt in Talkshows ab wie dieser Philosoph (…), der sein Hemd immer offen trägt, so dass man seine nackte Brust sieht.« Philosophen mit blanken Brüsten (gemeint ist Bernard-Henri Lévy) sind aber nur eine der Zumutungen Frankreichs, eine größere ist Charlie Hebdo. Deshalb wird Kushner am 5. Mai in New York auch keine Rede auf die Subversion der Kunst halten, sondern der PEN-Gala, auf der das Magazin nach dem Massaker mit einem Preis für Meinungsfreiheit geehrt wird, fernbleiben. Wie auch Peter Carey, Michael Ondaatje, Francise Prose, Teju Cole und Taiye Selasi wird Kushner gegen die Beleidigung von »Muslimen und anderen Entrechteten« protestieren und damit christlichen und islamischen Fundamentalisten Recht geben, die das Magazin für seine Religionskritik stets angegriffen haben. Charlie Hebdo fördere die »kulturelle Intoleranz« und den »Zwang zu einer weltlichen Sicht«, klagt Kushner. Carey wirft dem PEN vor, blind zu sein für »die kulturelle Arroganz der französischen Nation«, die ihre »moralische Verpflichtung gegenüber einem entrechteten Segment der Bevölkerung« nicht erkenne. Dass Kushner oder Carey jemals eine Ausgabe in der Hand hatten, darf bezweifelt werden, sonst wüssten sie, dass es sich bei den karikierten »Entrechteten« meist um Politiker und christliche Würdenträger handelt. Die islamkritischen Karikaturen hatten lediglich mehr »Resonanz«. Offenbar haben sich die Autoren die Argumente der fundamentalistischen Gegner des Magazins zu eigen gemacht und in eine kulturell akzeptable Form übersetzt. Für das leidgeprüfte Magazin ist das nurmehr eine Ohrfeige, für den Widerstand gegen politischen und religiösen Totalitarismus ein schmerzhafter Schlag.