Die Karpaten werden abgeholzt

Kahlschlag in den Karpaten

Umweltschützer warnen vor der Abholzung der rumänischen Karpaten, die zu Hochwasserkatastrophen führen könne. Doch das Geschäft ist lukrativ – vor allem für mitteleuropäische Unternehmer.

Die marode Landstraße, die quer durch die Karpaten in die Bukowina führt, schlängelt sich zwischen den mächtigen Abhängen hindurch, kleine malerische Dörfer mit orthodoxen Kirchen liegen weit verstreut entlang des Wegs. Es ist regnerisch wie selten in Rumänien, und die ganze Gegend riecht nach nassem Wald. Einer nach dem anderen fahren LKW ab dem Spätnachmittag in Richtung Osten. Alle sind vollgeladen mit Baumstämmen. Seit einigen Jahren gehört das zum Alltag in der Bukowina, erst gegen Mitternacht beruhige sich der Schwerverkehr, stellt man in den Dorfkneipen fest. Das sei auch der Grund dafür, dass es immer tiefere Schlaglöcher gebe. Der Unmut der Einwohner hat es kürzlich auch in die Bukarester Medien geschafft, denn mit ihren Berglandschaften und alten Klöstern verfügt die Region der Karpaten über ein erhebliches touristisches Potential.
Unweit des Dorfs Pojorâta wurden die Tannen großflächig gefällt. Erst von einem höheren Punkt aus lässt sich das ganze Ausmaß der Abholzung erkennen. Damit niemand anfängt, Fragen zu stellen, vermeiden die Holzfäller mittlerweile das Fällen an Stellen, die von der Straße aus einsehbar sind. Doch das dünn besiedelte Berggebiet bietet auch abseits der getretenen Pfade zahlreiche Möglichkeiten für den Kahlschlag im kleinen und großen Stil. Am Waldrand wird das Geräusch der Sägen und Äxte hörbar. Weiter oben stehen zwei Pferde. Sie warten auf die nächste Ladung, die zurück zur Landstraße heruntergeschleppt werden muss. Dort stehen in der Regel bereits die LKW. Die beiden Männer, die einige Meter hinter den Pferden Tannen fällen, sind wortkarg. Sie seien Tagelöhner und arbeiteten im Auftrag eines Kleinunternehmens aus dem Dorf. Zu klären, ob die erforderliche Genehmigung vom Forstamt vorliege, sei Chefsache.

Die zahlreichen Firmen aus der Region, die sich mit Forstarbeiten beschäftigen, behaupten stets, sie verfügten über alle nötigen Genehmigungen. Damit haben die meisten tatsächlich Recht, nur in den seltensten Fällen wird illegal, ohne das Wissen der Behörden, abgeholzt. Beim Forstamt heißt es, die Tannen seien von Schädlingen oder Krankheiten befallen. Oder es habe einen Sturm gegeben und eine Bereinigung des Waldes sei fällig. Dass in der Abholzungsfrage eher bei den zuständigen Ämtern eine Bereinigung fällig und die Bekämpfung der grassierenden Korruption nötig sind, gilt in Rumänien als offenes Geheimnis. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres haben Inspektoren aus der Kreisstadt Suceava in Dutzenden Fällen Anzeige gegen Forstbeamte und andere Angestellte erstattet. Doch die Missstände bei der Erteilung von Genehmigungen und der Markierung befallener Bäume bleiben systematisch.
Rumänische und internationale Umweltschutzorganisationen schlugen in den vergangenen Monaten angesichts der Hochwasserkatastrophen in den Nachbarländern immer häufiger Alarm. Die Entwaldung der Karpaten schreite stetig weiter voran und könne in Rumänien zu ähnlichen Katastrophen führen. Deshalb müsse die rumänische Regierung das Phänomen so bald wie möglich wieder in den Griff bekommen, fordert Magor Csibi vom World Wildlife Fund (WWF).
Dass jede Stunde in Rumänien durchschnittlich drei Hektar Wald verschwinden, stellt eine Studie von Greenpeace fest. Die Fläche der illegal abgeholzten Parzellen betrug einem Bericht des rumänischen Rechnungshofs zufolge seit der Wende fast 400 000 Hektar, das sind rund sechs Prozent der gesamten Waldfläche des Landes. Den dadurch entstandenen Schaden schätzte die Behörde im konservativsten Szenario auf mehr als fünf Milliarden Euro. Und nirgendwo sei die Situation gravierender als im Landkreis Suceava, berichteten die Beamten Ende vorigen Jahres. Grund dafür ist vor allem das Geschäft mit dem Holz, einer Ware, die sich lukrativ exportieren lässt.

Rund 75 Kilometer nordöstlich von Pojorâta, in der Kleinstadt Rădăuți, befinden sich zwei große Holzverarbeitungswerke: Holzindustrie Schweighofer und Egger. Beide gehören österreichischen Unternehmern, die in den vergangenen Jahren trotz Wirtschaftskrise zu erfolgreichen Marktführern der rumänischen Holzbranche geworden sind. Für die meisten LKW aus den Karpaten endet die holprige Fahrt hier. Die Baumstämme werden auf dem riesigen Fabrikgelände von Schweighofer entladen und automatisch nach Größe und Qualität sortiert. Maschinen entfernen dann die Rinde und legen das Material wieder auf das Fließband, das sie zur Fabrikhalle führt. Dort werden die besten Tannen zu Schnittholz in unterschiedlichen Maßen verarbeitet, den Rest und die Abfälle zerkleinern die Maschinen zu Pellets, Hackschnitzeln für die österreichische Papierindustrie oder Biomasse für die Energieerzeugung in Deutschland. Das Endprodukt wird anschließend verpackt und auf Waggons geladen. Täglich verlassen mehrere Güterzüge das Werk in Richtung Mitteleuropa oder Constanța. In dem Schwarzmeerhafen wird die Ladung schließlich für den Export in Container geladen. Rund 80 Prozent der Produktion von Schweighofer landet einige Wochen später in Westeuropa, den USA, Japan oder Saudi-Arabien.
Der Inhaber und Geschäftsführer Gerald Schweig­hofer kommt immer wieder nach Ră­dăuți, um sein Werk zu besuchen und die Produktions- und Vertriebslage zu besprechen. Rund 2 500 Beschäftigte arbeiten in den vier Fabriken, die das Unternehmen in Rumänien betreibt und die jährlich fast drei Millionen Kubikmeter Baumstämme verarbeiten. Der Umsatz der rumänischen Tochterfirma betrug voriges Jahr 550 Millionen Euro, ein neues Werk in dem ostsiebenbürgischen Ort Reci befindet sich gerade im Bau. Natürlich gebe es ein Problem mit der pseudolegalen Abholzung in Rumänien, gibt Schweighofer zu. Es werde eigentlich mehr gefällt, als gesetzlich vorgeschrieben sei. »Das Problem ist die Kontrolle und die Durchsetzung der Bestimmungen. Wir können nicht den Staat spielen und die ganze Lieferantenkette bis ins letzte Detail kontrollieren«, sagt der Unternehmer der Jungle World. »Wir waren immer für die Stärkung der Forstbehörden und dafür, dass die korrupten Beamten ins Gefängnis gehen.«
Mit der letzten Forderung wären auch die Umweltschutzorganisationen einverstanden. Sie behaupten jedoch, dass Unternehmer wie Schweighofer systematisch und wissend von der illegalen Abholzung profitierten. Und Ende April präsentierten Vertreter der internationalen NGO Environmental Investigation Agency die ersten Beweise. Mitarbeiter, die sich als ausländische Waldbesitzer ausgaben, boten Angestellten von Schweig­hofer Baumstämme an und erklärten, dass sie nicht die ganze Menge dokumentieren könnten. Darauf hieß es, dies sei kein Problem. Das Gespräch wurde geheim aufgenommen, das Video machte schnell die Runde in rumänischen Me­dien und sozialen Netzwerken. Die Empörung war umso größer, als das Parlament in Bukarest seit Wochen über eine Reform des Forstgesetzes debattiert – und nach Auffassung der Umweltschützer dabei war, auf Druck von Lobbyisten der Holzindustrie neue Schlupflöcher ins Regelwerk einzubauen.

In letzter Minute machte die Regierungskoalition um den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Victor Ponta einen Rückzieher und verabschiedete eine neue Bestimmung, die jedem Unternehmen die Verarbeitung von maximal 30 Prozent der landesweiten Gesamtproduktion für die jeweilige Baumart erlaubt. »Schließlich gab es vor kurzem mit dem umstrittenen Goldbergbauprojekt in Rosia Montana und mit der Schiefergasförderung durch Fracking zwei Präzedenz­fälle, in denen sich die Zivilgesellschaft erfolgreich mobilisierte und die umweltschädigenden Vorhaben direkt oder indirekt stoppen konnte«, erklärt Magor Csibi im Gespräch mit der Jungle World. »Die Regierung Ponta hat die Lehren gezogen und setzt jetzt auf eine relative Versöhnung mit der neuen Bukarester Öko-Bewegung, die nicht zu ihrer Stammwählerschaft gehört, sondern weitgehend das bürgerliche Lager unterstützt«, kommentiert der linke Publizist und Blogger Costi Rogozanu. »Es ist angesichts der Par­lamentswahlen Ende 2016 keine schlechte Strategie.«
In der Tat lehnte der wirtschaftsliberale Staatspräsident Klaus Johannis überraschend ab, die 30-Prozent-Quote zu unterschreiben – und zog damit den Ärger der Umweltschützer auf sich. Sein Einwand, die Bestimmung führe zu einer Verzerrung des Wettbewerbs, entspricht der Argumentation von Schweighofer und erweckte bei vielen Umweltschützern den Verdacht, der Prä­sident diene den Interessen der mitteleuropäischen Unternehmen. Tausende Rumäninnen und Rumänen gingen Anfang Mai in Bukarest und anderen Großstädten auf die Straße, um gegen die Abholzung und für die 30-Prozent-Quote als Obergrenze zu demonstrieren. Für Johannis war das der erste Imageschaden seit seinem Wahlsieg Ende 2014.
»Die Quote an sich löst das allgemeine Problem der Entwaldung nicht«, sagt Csibi. »Letztlich ist es egal, ob viele kleine Unternehmen oder nur wenige große vom Kahlschlag profitieren. Wir haben jedoch die Quote als Maßnahme in einer Notsituation gefordert.« Das Parlament machte sich diese Sicht zu eigen: Die Abgeordneten verabschiedeten die Bestimmung erneut, damit war der Präsident verpflichtet, zu unterschreiben.