Der Ableger der Pegida-Bewegung in Potsdam

Hochfrequente Hetze

Auch in Potsdam gibt es seit einigen Wochen einen Ableger der Pegida-Bewegung. Statt großen Sympathien flogen ihm bisher Flaschen, Steine und Böller zu.

In 14 europäischen Ländern marschierten am Wochenende Anhänger der Pegida-Bewegung durch die Straßen, in Deutschland und auch in Polen, den Niederlanden oder Tschechien. Doch in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam blieb es ruhig.
Das heißt jedoch nicht, dass die Bewegung dort keine Unterstützer hätte. Seit Anfang des Jahres gibt es einen Neuzugang im Kreis der Gida-Aufzüge. Unter dem Namen Pogida wird seither auch in Potsdam gegen die »Islamisierung des Abendlandes« demonstriert, also gegen Ausländer und insbesondere Flüchtlinge. Für den 11. Januar hatte der bis dahin in der Öffentlichkeit eher unbekannte Neonazi Christian Müller den ersten Aufmarsch von Pogida angemeldet. Müller war langjähriges Mitglied der Jungen National­demokraten sowie der NPD und bewegt sich im Umkreis der Organisatoren der Berliner Bärgida-Demonstrationen. Da Potsdam für rechtsextreme Aufmärsche traditionell ein schwieriges Pflaster ist, sollten Bärgida-Anhänger in zwei Bussen nach Potsdam kommen, um die Versammlung zu unterstützen.

An den Ausflug dürften sich manche noch lange erinnern. Bei Kälte, Dunkelheit und strömendem Regen wurde die erste Versammlung von Pogida von zahlreichen Gegendemonstranten mit Steinen, Flaschen und Böllern beworfen. Als die Rechtsextremen daraufhin ihre Kundgebung beendeten und die Berliner Teilnehmer den Rückweg antraten, wurde zudem einer der Busse heftig angegriffen. Die Polizei hatte ganz offensichtlich nicht mit der Militanz der Pogida-Gegner ­gerechnet. Eine Polizeisprecherin stellte irritiert fest: »Es gab Familien, die mit Kinderwagen kamen und plötzlich Hass entwickelten gegenüber den Versammlungsteilnehmern.«

Trotz des desaströsen Auftakts gaben Müller und Kameraden nicht auf. Am 20. Januar versuchten sie erneut, durch die Potsdamer Innenstadt zu ziehen. Diesmal scheiterten sie daran, dass die Auftaktkundgebung von mehr als 1 000 Gegendemonstranten umzingelt wurde. Als einige der Rechtsextremen die Gegendemons­tranten angreifen wollten, löste die Polizei die Kundgebung auf. Danach verkündete Müller, er werde eine Woche später noch einen Versuch unternehmen, durch die Innenstadt zu ziehen. Sollte das nicht klappen, werde er in der Woche darauf täglich eine Demonstration anmelden.
Doch nicht nur die Rechtsextremen wollten eine Entscheidung herbeiführen. Auch die Polizei sah sich ganz offensichtlich herausgefordert. Eine Woche später, am 27. Januar, wurden 1 300 Polizisten aus verschiedenen Bundesländern, Räumpanzer und Wasserwerfer vom Typ Wawe 10 000 in der Stadt zusammengezogen. Mit dieser Machtdemonstration unterstrichen Innenministerium und Polizei den Anspruch, sich das Gewaltmonopol keinesfalls streitig machen zu lassen. Juristisch gestützt wurde dies durch ein zwei Tage zuvor gefälltes Urteil des Oberverwaltungsgerichts Brandenburg. Dieses hatte in einem Verfahren um eine blockierte NPD-Demonstra­tion im Jahr 2012 festgestellt, dass das Versammlungsrecht notfalls »auch mit Zwangsmitteln gegenüber störenden Gegendemonstrationen durchgesetzt werden« müsse.
Und so liefen, massiv abgeschirmt, etwa 100 Rechts­extreme eine kurze Strecke vom Bahnhof Richtung Innenstadt und zurück. Danach kündigte Müller an, die folgenden Aufzüge in verschiedenen Potsdamer Stadtteilen abzuhalten, vor allem in den Neubauvierteln. Den Anfang machte am 3. Februar eine Demonstration im Schlaatz, einem für Potsdamer Verhältnisse verrufenen Problemviertel: Es gibt dort ein Flüchtlingsheim, viele Arbeitslose, junge Familien, Trinker und Studenten. Der Ausländeranteil liegt bei 13 Prozent. Auch die rechtsextreme Szene ist größer als in anderen Teilen der Stadt.
Müller konnte also nicht ohne Grund mit einer stärkeren Teilnahme von Einheimischen an der Versammlung rechnen. Tatsächlich schlossen sich einige Schlaatzer dem Demonstrationszug an. Die Mehrheit der Teilnehmer bestand ­jedoch wie bei den vorangegangenen Demonstrationen aus einer Mischung aus Hooligans und Neonazis, vor allem aus dem Umfeld der NPD und von »Der III. Weg«. Kläglich scheiterte Pogida mit dem Versuch, an Kampagnen gegen »Kinderschänder« anzuknüpfen. Im Sommer vergangenen Jahres war im Schlaatz ein sechsjähriger Junge entführt und später ermordet worden. Der Täter entführte auch einen Flüchtlingsjungen vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales und tötete ihn ebenfalls. Die Suche nach dem Kind hatte den Stadtteil über Wochen beschäftigt, freiwillige Suchtrupps hatten jeden Winkel durchkämmt.
Während des Pogida-Aufmarsches wurde deshalb das Lied »Wir hassen Kinderschänder« der neonazistischen Liedermacherin Annett Müller gespielt. Die Familie des ermordeten Kindes aus dem Schlaatz ließ anschließend verlauten, sie spreche sich gegen Fremdenfeindlichkeit aus und verurteile die Instrumentalisierung des Mordfalls. Die Betreiber einer Facebook-Seite zum Gedenken an den Jungen bezeichneten die Demonstration als »faschistischen Mist«. Ein Freundin der Familie sagte einer Lokalzeitung: »Diese Geschichte hat überhaupt nichts mit Einwanderern, Flüchtlingspolitik oder dem Islam zu tun, ganz im Gegenteil. Der Täter ist Deutscher, eines der Opfer hingegen nicht.«
Abgesehen von diesen Reaktionen dürfte Pogida den Tag jedoch positiv verbucht haben. Zwar musste der Aufmarsch von 1 000 Polizisten abgeschirmt werden. Zudem gab es strenge Auflagen, so durften in der Nähe des Flüchtlingsheims keine Parolen skandiert werden. Doch die 150 Teilnehmer konnten beinahe die gesamte von ihnen geplante Strecke zurücklegen.
Ein Redner von Legida feierte zudem die bestehenden Verbindungen der einzelnen Gida-Gruppen. Der hohe Anteil auswärtiger Teilnehmer verweist zwar einerseits auf die Schwäche, das in der Stadt durchaus vorhandene Potential nicht mobilisieren zu können. Andererseits wird die Stärke von Pogida deutlich: die guten Verbindungen nach Berlin und ins Brandenburger Umland, beispielsweise nach Rathenow, wo alle zwei Wochen mehrere Hundert Rassisten ungestört durch die Stadt marschieren.

Allerdings steht Pogida in Potsdam eine starke antifaschistische Mobilisierung gegenüber. ­Neben einer großen Anzahl Jugendlicher, die sich entschlossen den Nazis entgegenstellen, fällt auf den Gegendemonstrationen auf, dass die derzeitige Entwicklung auch Personen wieder auf die Straße bringt, die in den neunziger Jahren in Ostdeutschland geprägt wurden. Manches Grüppchen, das in der abendlichen Dunkelheit unterwegs war, dürfte zum letzten Mal vor zehn oder 15 Jahren gemeinsam demonstriert haben. Allerdings wird auch offenbar, dass die in den vergangenen Jahren im Kampf gegen die NPD und Kameradschaften entwickelten Strategien im Falle von Pogida scheitern. Schließlich geht es nicht darum, einzelne Veranstaltungen zu stören und zu verhindern. Den hochfrequenten Versammlungsrhythmus der Rassisten in Potsdam und in der Brandenburger Provinz zu unterbrechen, wäre die Aufgabe. Der massive Polizeieinsatz erleichtert das nicht.