Berlin Beatet Bestes. Folge 334.

Da platzt einem doch der Kragen!

Berlin Beatet Bestes. Folge 334. Oliver Twist & The Happy Twistler: Wo ist der Geiger (1961).

Ich komme in den Second-Hand-Plattenladen rein, da steht ein drahtiger, weißhaariger Mann in einer schwarzen Lederjacke neben dem Verkäufer. »Dit is’ die erste von Canned Heat«, brüllt er, um Canned Heat zu übertönen, die aus den Boxen dröhnen. »In Mono is’ die 150 Euro wert!«. Er sagt immer wieder Kenn-et Hiet statt Kent Hiet. Seit 40 Jahren spricht er den Namen seiner Lieblingsband falsch aus.
Lustlos stöbere ich herum, bis der Verkäufer meint: »Hinten steht auch noch ’ne neue Kiste«. Ungefähr 500 Singles stecken in einer Plastikbox, überwiegend Major-Label-­Material aus den späten achtziger und frühen neunziger Jahren. Ich finde Rap-Singles: Kool Moe Dee, B. G. The Prince Of Rap, Wee Papa Girl Rappers und seltsamerweise auch drei Twist-Singles aus den frühen sechziger Jahren. Mit dieser Mischung gehe ich wieder nach vorne. Der Verkäufer wiegt die Platten eine Weile in den Händen und denkt nach. Ich will mich nicht gierig zeigen und sage: »Naja, was meinst du denn? Muss ja nicht ein Euro sein.« Jetzt rächt es sich, dass ich nicht vorher nach dem Stückpreis gefragt habe. »Stimmt«, sagt der Verkäufer, »ich hatte ja gar nicht ein Euro gesagt, oder?«
Plötzlich mischt sich der Beat-Opa ein: »Nee, da kannste nich’ nur ein Euro für verlang’! Dit sin’ 50-Euro-Platten!« Genervt entgegne ich: »Wir reden ja gar nicht mehr über einen Euro!!! Aber 50 Euro zahl’ ich für überhaupt keine Platte. Dann häng sie doch lieber an die Wand.« An der Wand hängen die teuren Sammlerstücke. 50 Euro! Das ist ein echter Phantasiepreis. »So viele Twist-Sammler gibt’s nun auch nicht. Die zwei anderen Berliner kenne ich«, ­setze ich noch einmal an. Aber der Alte lässt nicht locker: »Pass mal auf, Kleiner … « Da platzt mir der Kragen. »WILLST DU MICH ANMACHEN?«, ­frage ich. Laut. In Großbuchstaben. Tatsächlich weicht er einen Schritt zurück und hält für einen Moment die Klappe. Und murmelt dann leise: »Es geht um den Geiger.« Der Verkäufer hat keine Ahnung, aber ich weiß, was er meint. »Wo ist der Geiger« ist die deutsche Version von Peter Koelewijns »Kom Van Dat Dak Af«, dem größten niederländischen Rock ’n’ Roll-Hit der fünfziger Jahre. Am Schluss einigen wir uns auf zehn Euro. Zuhause verrät Discogs den höchsten je erzielten Verkaufspreis: 7,50 Euro. Danke, Opa.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.