Der Mai-Aufmarsch des Front National wird vom »Islamischen Staat« bedroht

Schlemmen statt marschieren

Wegen einer Drohung des »Islamischen Staats« hat der französische Front National seinen Aufmarsch für den 1. Mai abgesagt. Manchen Funktionären der rechtsextremen Partei kommt der Vorfall gelegen.

Alles neu macht der Mai? Tatsächlich gibt es am kommenden 1. Mai in Paris möglicherweise eine Neuerung. Am internationalen Kampftag der Arbeiterklasse könnte sich für den rechtsextremen Front National (FN) nur noch die Möglichkeit für ein bier- und weinseliges Zusammensein bieten, nicht jedoch für einen Aufmarsch in den Straßen der Hauptstadt.
Seit 1988 paradieren die Parteigänger des FN alljährlich am 1. Mai in der Nähe der Pariser Oper, »zu Ehren der Nationalheiligen Jeanne d’Arc«. Die »Jungfrau von Orléans«, die im Hundertjährigen Krieg zu Anfang des 15. Jahrhunderts gegen die Engländer kämpfte, wurde im 19. Jahrhundert zur Hauptfigur eines nationalistischen Mythos aufgebaut.
Doch in diesem Jahr will die Parteiführung des FN auf ihre Parade verzichten. Den Anlass bot eine offizielle staatliche Warnung, die der Parteiführung Anfang Februar zuging. Zuvor war der FN in Dar al-Islam, einem französischsprachigen Magazin des »Islamischen Staats« (IS), bedroht worden. Die jüngste Ausgabe dieses IS-Propagandamagazins ist über 100 Seiten dick, enthält zahlreiche Ausführungen zu den Pariser Mordanschlägen vom 13. November und die Ankündigung neuerlicher Attentate. Auf einem Foto war dabei auch ein früherer Aufmarsch des FN zu sehen, versehen mit dem Text: »Versammlung der Götzenanbeter vom FN. Ein Ziel erster Wahl.«
Die rechtsextreme Partei nutzte diesen Anlass, um für sich die Opferrolle zu beanspruchen und staatlichen Schutz einzufordern. Allerdings bedeutet die Erwähnung in Dar al-Islam nicht zwingend, dass der FN unmittelbar bedroht wäre. Den Jihadisten geht es in erster Linie darum, Muslime dazu zu bewegen, Europa zu verlassen und in das vom IS errichtete »Kalifat« im Nahen Osten zu ziehen. Rassistischen Kräften wie dem FN mit einer Drohung öffentliches Gewicht zu verschaffen, wäre ein Weg, Reiseentscheidungen zu beschleunigen. Wird das Klima für Muslime in Frankreich unangenehmer, klingt der Lockruf des IS für manche vielleicht überzeugender. Für den FN ist es wiederum günstig, wenn das Gefühl äußerer Bedrohung in der französischen Gesellschaft wächst, um zur Abwehr von Muslimen im Besonderen und Migranten im Allgemeinen aufrufen zu können. Insofern käme es sowohl dem IS als auch dem FN gelegen, die jeweils andere Organisation propagandistisch zunutzen.
Eine Dankesrede an die Jihadisten dürfte es im Verlauf des Gelages im 19. Bezirk, das als Ersatz für den Aufmarsch stattfinden soll und das der FN als »patriotisches Bankett« bezeichnet, dennoch nicht geben. Die Absage der Demonstration und die Ankündigung des Banketts erfolgten nicht ohne Hintergedanken. Hohe Parteifunktionäre ließen etwa gegenüber Le Monde und Libération durchblicken, das einst vom Parteigründer Jean-Marie Le Pen eingeführte »Ritual« habe sich längst überlebt. Zudem stelle die alljährliche Vorbereitung mitsamt dem Transport von Parteimitgliedern und Unterstützern aus ganz Frankreich ins historische Stadtzentrum von Paris einen erheblichen Kraftakt für die Partei dar.
Jean-Marie Le Pen, der am 20. August vergangenen Jahres aus der Partei ausgeschlossen wurde, gibt seinerseits den schwer Empörten: Einmal mehr werde eine gute alte Tradition grundlos und auf schändliche Weise von neumodischen und prinzipienlosen Anführern geopfert. Le Pen fordert nun »alle französischen Patrioten« zu einem »1. Mai gegen den IS« auf. Dazu lädt er alle Interessierten zu einem Stelldichein in der Nähe der Statue der Jeanne d’Arc auf der Pariser Place des Pyramides ein. »Es wird an diesem Tag keinen Platz für Angsthasen und für Feiglinge geben«, verkündete Jean-Marie Le Pen martialisch.
Dass allzu viele seinem Ruf folgen, ist unwahrscheinlich. Zwar soll der 87jährige in den vergangenen Monaten die Kontakte mit den »Dissidenten« der extreme Rechten intensiviert haben, die mit seiner Tochter Marine Le Pen gebrochen haben. Er traf den Berufsantisemiten Alain Soral und den ehemaligen Anführer der verbotenen antisemitischen Gruppe »L’Oeuvre française«, Yvan Benedetti. Doch keiner von ihnen dürfte in Jean-Marie Le Pen noch den Mann der Zukunft erblicken.
Lang ist es her, dass der FN den Wählern seinen Gründer und langjährigen Vorsitzenden als den »französischen Ronald Reagan« anbot. Das war im Präsidentschaftswahlkampf 1988. Doch nach dem Fall der Berliner Mauer und dem späteren Kollaps der UdSSR betrachtete der FN es als überholt, sich weiterhin als »Speerspitze des Antikommunismus« darzustellen. Stattdessen rührte die Partei eine kräftige Dosis Antiamerikanismus in ihren Nationalismus.
Aber nun hat der FN wieder einen nordamerikanischen Freund gefunden. Es handelt sich um Donald Trump. Dessen Ankündigungen, elf Millionen »illegale Einwanderer« aus den USA abzuschieben, eine Mauer an der gesamten Grenze zu Mexiko zu errichten und Menschen muslimischer Religionszugehörigkeit die Einreise in die USA zu verweigern, sind grundsätzlich nach den Vorstellungen des FN.
Bereits im Dezember hatte Sarah Palin, die berüchtigte ehemalige Anwärterin auf die Vizepräsidentschaft der USA und derzeitige Unterstützerin Trumps, ihre politische Zuneigung zu einer FN-Politikerin entdeckt. Es handelt sich um Marion Maréchal-Le Pen, damals gerade Kandidatin für die Regionalpräsidentschaft in Südostfrankreich. Palin zeigte sich von der 25jährigen rechtsextremen Politikerin begeistert, besonders wegen deren strikter Ablehnung von Abtreibungen, tatsächlichem oder vermeintlichem Eintreten für »christliche Werte« und der Haltung gegen »das System«.
Als Vorbild wurde in den vergangenen Wochen in den Reihen des FN auch wiederholt der britische Premierminister David Cameron angeführt. Dieser drohte bis vor kurzem mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. In der Partei überdeckt der gemeinsame Bezug auf Camerons Auftreten vorläufig noch den Widerspruch zwischen denen, die einen Austritt aus der Euro-Zone nach wie vor für den Schlüssel zu einer nationalen und angeblich sozialen Wirtschaftspolitik und zur finanzpolitischen Souveränität Frankreichs halten, und anderen, die darauf verweisen, dass der Abschied vom Euro unter Rentnern und Kleinunternehmern höchst unpopulär ist. Dabei handelt es sich um zwei zentrale Wählergruppen, in denen der FN auf mehr Zuspruch hofft. Derzeit täuscht ein Formelkompromiss – die Forderung nach einer nationalen Abstimmung wie der am 23. Juni im Vereinigten Königreich – über diese wachsende Kluft hinweg. Da sie kaum zu überbrücken ist, muss sie früher oder später für Konflikte sorgen.