Body-Positivity fordert Schönheitsideale heraus

Bilder von Gewicht

Frauen nutzen die sozialen Medien, um Körperbilder zu verändern und gegen die Scham wegen eines Körpers jenseits der Model-Norm aufzubegehren. Über die neue Sicht auf das, was schön, sexy und normal ist.

Celeste Barber liegt in einem engen schwarzen Kleid und High-Heels-Pumps auf einer grauen Couch und zieht ein Bein hoch, während sie ihre Fingernägel lackiert. Die Pose sieht aus wie irgendwas zwischen Ballett und Yoga. Oder sie sitzt in ihrem Wohnzimmer an einem Keyboard, im Stringtanga und mit weißen Sneakers und legt lasziv den Kopf in den Nacken. Auf anderen Fotos trägt sie Dessous und Netzstrümpfe und räkelt sich im Sand oder steht im Badeanzug in sexy Selfie-Pose vor dem Badezimmerspiegel für das klassische Selfie.

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Real is the new sexy. Die Comedy-Künstlerin Celeste ­Barber stellt auf Instagram die Fotos der Stars nach

Bild:
Instagram

Würde sie das alles ernst meinen, wäre sie damit vermutlich kein Instagram-Star geworden. Aber die australische Comedy-Künstlerin stellt Fotos von Top-Models, Hollywood-Stars und Promis nach, die ihre glänzenden, makellosen Körper auf verschiedenen Social-Media-Kanälen kunstvoll in Szene setzen. Die nachgestellten Bilder, in denen sich Barber mit ihrem weder glänzenden noch makellosen Körper mit den prominenten Schönheiten vergleicht, könnten nicht authentischer wirken. #celestechallengeaccepted lautet der Hashtag dazu, aber um eine richtige Herausforderung geht es ihr nicht. Barber betreibt kein Model-Shaming: Sie lacht in erster Linie über sich selbst, beziehungsweise darüber, was diese Bilder stilisierter Perfektion in uns »Normalos« aus­lösen: eine Mischung aus Bewunderung und Belustigung wegen ihrer Unnatürlichkeit, und selbstverständlich auch ein bisschen Neid. Die australische Comedian ist keine feministische Aktivistin – dennoch: Was sie mit ironischer Leichtigkeit tut, entspricht ziemlich genau dem, was die Body-Positivity-Bewegung fordert. »Fuck your beauty standards!« lautet einer ihrer populärsten Slogans.

 

»Wir nehmen uns das Recht zurück, uns sexy zu fühlen!«

Den entsprechenden Hashtag, #effyourbeautystandards (»eff« steht stellvertretend für »fuck«), hat Tess Holliday auf Instagram und Facebook bekanntgemacht und so 2012 die mittlerweile bekannteste Body-Positivity-Plattform gegründet. »Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe es satt, mir ständig anhören zu müssen, was kurvige/dicke/Plus-Size-Frauen anziehen ›dürfen‹«, schrieb sie im ersten Post ihrer Kampagne. »Ich möchte, dass ihr euch frech anzieht und aufhört, eure Körper zu verstecken, weil die Gesellschaft euch dazu zwingt. Wir nehmen uns das Recht zurück, uns sexy zu fühlen, egal welche Größe wir tragen!«

Der Aufruf hatte sofort eine enorme Resonanz – innerhalb we­niger Tage nutzten Hunderttausende »dicke« Menschen den Hashtag, um ihre »unnormalen« Körper in allen möglichen Outfits zu zeigen – und brachte Holliday aufs Cover des US-amerikanischen Celebrity-Magazins People. Die 31jährige, die sich auf ­ihrer Website als »Plus Size Model & Body Positivity Ambassador« bezeichnet, steht als erstes professionelles Model weltweit, das Größe 52 trägt, seit 2015 bei der britischen ­Modelagentur Milk unter Vertrag.

Eine weitere Ikone der Body-Positivity-Bewegung ist Ashley Graham, die nicht nur als erstes Plus-Size-Model auf dem Titelbild der Bademodeausgabe der Zeitschrift Sports Illustrated zu sehen war. Am 15. November stellte der Spielwarenkonzern Mattel eine Barbie-Puppe vor, die Grahams Äußeren nachempfunden ist. »Ashley inspiriert uns alle, Grenzen zu überwinden und Schönheit neu zu definieren«, lautete der Post zum Verkaufsbeginn der Puppe auf der offiziellen Facebook-Seite von Barbie. Ausgerechnet der Konzern, dessen Puppe seit mehr als einem halben Jahrhundert das Schönheitsideal der westlichen Gesellschaft verkörpert, produziert seit Anfang des Jahres mit dem Claim »The Doll Evolves« eine Serie ganz unterschiedlicher Barbies, darunter auch das Modell »Curvy«.

Die Kritik an veralteten, unrealistischen Körperbildern beziehungsweise der Trend, alle Körper, trotz oder gerade wegen ihrer Unzulänglichkeiten zu feiern, ist im Fernsehen virulent (»Curvy Supermodel«) wie auch in der Popmusik: 2014 landete mit »All about that Bass« von Meghan Trainor ein Body-Positive-Song auf Platz eins der US-amerikanischen Charts. Dass sich Mode- und Kulturindus­trie mit dieser Thematik befassen und ihre Angebote entsprechend anpassen, ist wenig verwunderlich, denn die Zielgruppe ist groß: Allein auf Instagram wurden bisher mehr als eine Million Fotos und Videos mit dem Hashtag #bodypositive versehen, bei #effyourbodystandards sind es fast zwei Millionen.

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Model Ashley Graham

Bild:
Picture Alliance / AP / Bebeto Matthews

 

Die Modeindustrie produziert an der Realität vorbei

Die Fat-Rights-Bewegung ist kein neues Phänomen. In den USA wurde die National Association to Aid Fat Americans schon 1969 gegründet und auch Plus-Size-Models gibt es nicht erst seit gestern. Neu ist, dass immer mehr als dick geltende Menschen selbstbewusst auftreten und ihre wie auch immer gearteten Kurven nicht mehr in hässlichen wallenden Gewändern verstecken wollen. Mittlerweile bieten viele populäre Modemarken Größen jenseits der 42 an, auch wenn der Versuch, sich dem neuen Trend anzupassen, manchmal nach hinten losgeht.

Reicht das schon, um ein großes Tabu, die Angst vor dem weiblichen Fleisch, in der patriarchalen Darstellung weiblicher Körper zu brechen?

Das spanische Modelabel Mango lancierte 2014 mit »Violeta« eine sogenannte Übergrößenkollektion, die bereits bei der Konfektionsgröße 40 beginnt. Dies löste Empörung aus, über 85 000 Menschen forderten mit einer Online-Petition die Einstellung der Kollektion, bislang ohne Erfolg. In Deutschland liegt nach Aussage des Statistischen Bundesamts die durchschnittliche Konfektionsgröße für Frauen zwischen 40 und 42. Dass die Textilindustrie anhand überholter Maßtabellen an der Realität und damit am Markt vorbeiproduziert, ändert sich zwar langsam, dennoch werden in vielen Läden solche Größen nicht selten in die Ecke für sonderbare Kleidergrößen verbannt.

Der Ansatz der Body-Positivity-Bewegung ist weder denunziatorisch (»Size Zero ist ungesund!«) noch missionarisch (»Du sollst Fett schön finden!«), sondern inklusiv: Stellen wir uns vor, was passieren würde, wenn das Gegenteil der Fall wäre, also wenn die Size-Zero-Abteilung im Sonderbereich für »Untergrößen« zu finden wäre, oder, noch besser, wenn es gar keine gesonderten Bereiche gäbe.

Reicht das schon, um ein großes Tabu, die Angst vor dem weiblichen Fleisch, in der patriarchalen Darstellung weiblicher Körper zu brechen? Immerhin hat sich die Debatte über »zu dünne Models« und ungesunde Schönheitsstandards im Mainstream etabliert: Frankreich verbot vergangenes Jahr sogenannte Magermodels auf Laufstegen, in anderen Ländern, unter anderem Spa­nien, Italien und Israel, wurden die Standards in der Branche ebenfalls überarbeitet, während man in Deutschland den passenden Sündenbock gefunden hat: Heidi Klum fördere mit ihrer Model-Show ungesunde Körperbilder und damit Essstörungen bei jungen Frauen, hieß es in einer Studie. Die Empörung über die Show nahm daraufhin ihren üblichen Lauf: Fernseh- und Feuilletondebatten wurden geführt, ein paar kleine Demonstrationen gegen »Germany’s Next Top Model« wurden abgehalten: Heidi ist schuld, case closed.

Während ein neues Bewusstsein für Körper »abseits der Norm« entsteht, wächst durch immer neue Möglichkeiten der permanenten Selbstoptimierung auch der Druck, alles dafür zu tun, niemals den Bereich der Norm zu verlassen.

 

Fat is a feminist issue

Magersüchtige Körper zu hypen, ist zwar nicht mehr »in« wie in den achtziger und neunziger Jahren, und doch zeigt sich in der Kritik an solchen Standards ein Widerspruch beim vor allem weiblichen Körperbild: Während ein neues Bewusstsein für Körper »abseits der Norm« entsteht, wächst durch immer neue Möglichkeiten der permanenten Selbstoptimierung auch der Druck, alles dafür zu tun, niemals den Bereich der Norm zu verlassen.

Unsere Körper sollen bis ins hohe Alter gesund, schön und begehrenswert bleiben, niemand muss 42 tragen, wird damit suggeriert. Schaffst du es nicht? Selbst schuld, aber immerhin haben wir erkannt, dass du das Recht hast, dich nicht hässlich zu fühlen. Zugegeben, es ist nur ein kleiner Schritt.

Befreiend ist er trotzdem, nicht nur für Menschen, die in der Branche schlicht als übergewichtig gelten, sondern auch für alle »Normalos«, die schon als Heranwachsende in der Familie ständigen – selbstverständlich immer gutgemeinten – Kommentaren über ihr Essverhalten und ihre Körperformen ausgesetzt waren, sowie für jede Frau, deren Körbchengröße derart von der Norm abweicht, dass sie ihr Leben lang BHs in Fachläden für Übergewichtige erwerben muss. Body-Positivity ist keine Erziehungsmaßnahme.

Denn es geht nicht in erster Linie darum, positive Vorbilder für junge Menschen zu schaffen, die im Teenageralter der Gefahr ausgesetzt sind, ein verzerrtes Körperbild zu entwickeln. Ess­verhalten ist beispielsweise auf den einschlägigen Blogs und Plattformen selten ein Thema. Es geht erst einmal darum, dass diese Bilder überhaupt zu sehen sind. Die sozialen Medien haben nicht nur zu dieser Sichtbarkeit beigetragen, sie bieten die Möglichkeit, sich zu vernetzen, sich zu zeigen, also selbst sichtbar zu werden.

Dieses Empowerment ist zu begrüßen. Auch aus feministischer Sicht ­übrigens, denn seit 1979, als die bri­tische Feministin Susie Orbach ihr Buch herausbrachte, das ins Deutsche mit dem irreführenden Titel »Das Antidiätbuch« übersetzt wurde, hat sich an den gesellschaftlichen Mechanismen der Körpernormierung wenig geändert: Fat is still a feminist issue.