In Italien protestieren migrantische Landarbeiter gegen ihre katastrophalen Arbeitsbedingungen

Tödliche Landarbeit

In Italien haben migrantische Landarbeiter gegen ihre katastrophalen Arbeitsbedingungen protestiert. Die Agrarproduktion Italiens beruht vielerorts auf der brachialen Ausbeutung prekär Beschäftigter.

Gesund sind Tomaten nicht für alle. Sie gehören zu den unzähligen Produkten im Supermarkt, die oft unter schlimmsten Arbeitsbedingungen hergestellt wurden. Ein großer Teil der europäischen Agrarindustrie basiert auf der Ausbeutung rechtloser Arbeitsmigrantinnen und -migranten. Daran erinnerten am Mittwoch vergangener Woche Streiks und Demonstrationen Hunderter Landarbeiter in der italienischen Provinz Foggia, zu denen die Basisgewerkschaft USB aufgerufen hatte. Sie forderten »Arbeit, Rechte und Würde« und ein Ende der »tödlichen Arbeitsunfälle«. Anlass waren zwei Verkehrsunfälle in der apulischen Provinz, in der Zehntausende Arbeitsmigranten vor allem bei der Tomatenernte prekär beschäftigt sind. Am 4. und 6. August waren zwei Lastwagen verunglückt, die Landarbeiter von der Arbeit nach Hause brachten, der Großteil der ungesicherten Passagiere starb, insgesamt gab es 16 Tote und zahlreiche Schwerverletzte.

Italien produziert fünf Millionen Tonnen Tomaten im Jahr und ist damit größter Produzent in Europa. Ein Drittel der Tomatenernte stammt aus der Region um die Stadt Foggia. Die meisten der dort beschäftigten Landarbeiter kommen aus dem subsaharischen Afrika, so auch die 16 Todesopfer der vergangenen Woche.

»Ein sicherer Transport von und zum Arbeitsplatz ist neben würdigen Unterkünften und höheren Löhnen schon länger eine Forderung der Landarbeiter gewesen«, sagte Irene Peano der Jungle World. Sie forscht zur Lage migrantischer Arbeiter in Italien und Westafrika und unterstützt im Netzwerk »Campagne in lotta« den selbstorganisierten Arbeitskampf von Migranten. Die Unfälle müsse man im Kontext der ausbeuterischen Bedingungen verstehen, unter denen vor allem migrantische Arbeiterinnen und Arbeiter in der italienischen Agrarindustrie litten.

Dem staatlichen italienischen Rat für Landwirtschaftsforschung (CREA) zufolge arbeiten mehr als 400 000 Ausländer und Migranten in der italienischen Landwirtschaft. Sie ernten Orangen, Tomaten, Oliven und Weintrauben oder arbeiten auf Erdbeer-, Pfirsich- und Aprikosenfeldern. Die meisten von ihnen kommen aus dem europäischen Ausland, die größte Gruppe sind Rumäninnen und Rumänen.

Doch insbesondere in den vergangenen Jahren kamen immer mehr Flüchtlinge aus Afrika hinzu, die keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten haben und versuchen, sich in der Landwirtschaft durchzuschlagen. Viele der Aufnahmezentren, in denen Flüchtlinge oft jahrelang auf eine Aufenthaltsgenehmigung warten, liegen auf dem Land. Sie seien »Zentren für die Rekrutierung billiger Arbeitskräfte für die Landwirtschaft« geworden, so Peano. Die europäische Migrationspolitik produziere »eine große Gruppe illegalisierter Arbeitskräfte«, die »keine Rechte haben und deshalb sehr geringe Löhne akzeptieren«. Diese rechtlosen Tagelöhner leben oft in ir­regulären, selbsterrichteten Slums auf dem Land; sie ziehen der Saisonarbeit hinterher und haben keinen Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem.

Viele der Aufnahmezentren für Flüchtlinge seien »Zentren für die Rekrutierung billiger Arbeitskräfte für die Landwirtschaft« geworden, so Irene Peano.

Italiens Landwirtschaft ist von kleinen Betrieben geprägt, die mit niedriger Produktivität und stetig sinkenden Preisen konfrontiert sind. »Diese kleinen Landwirte werden von den mächtigen Instanzen in der Lieferkette, den großen Vertrieben und Supermärkten, stark unter Druck gesetzt. Diese großen Unternehmen müssten mehr Verantwortung für das Wohlergehen der Arbeiter übernehmen«, sagt Peano.

Um die Lohnkosten zu senken, wenden sich die Landwirte oft an Mittelsmänner, die ihnen billig und flexibel Tagelöhner vermitteln. Diese Mittelsmänner, genannt caporali (Unteroffiziere), überwachen die Arbeiter und zahlen ihnen die Löhne aus. Manche caporali sind selbst Migranten, die früher auf dem Feld arbeiteten; die meisten sind jedoch Italiener, nicht wenige von ihnen sind Mitglieder krimineller Netzwerke. Ein im Juli erschienener Bericht des gewerkschaftsnahen Think-Tanks Osservatorio Placido Rizzotto spricht von »mafiaartigen Strukturen«. Bis zu 30 000 Agrarunternehmen rekrutierten ihre Tagelöhner mit Hilfe der »kriminellen Netzwerke«. In der italienischen Landwirtschaft seien über 400 000 Menschen »irregulär«, also inoffiziell, beschäftigt. Ihr Durchschnittslohn rangiere zwischen 20 und 30 Euro am Tag, bei einem Stundenlohn von drei bis vier Euro. Viele arbeiteten acht bis 14 Stunden täglich, sieben Tage die Woche. Mehr als 132 000 Beschäftigte seien Opfer extremer Ausbeutung. Der Bericht spricht von »moderner Sklaverei«.

Die kriminellen Gruppen, die an der Ausbeutung der migrantischen Land­arbeiter verdienen, kamen zuletzt nach dem Mord an dem Landarbeiter Soumaila Sacko Anfang Juni in die Schlagzeilen. Der 29jährige Malier war gewerkschaftlich aktiv. Im Juni wurde er in Kalabrien in der Nähe der Kleinstadt San Ferdinando erschossen. Die Mörder wurden nie gefasst. Bereits im Januar hatten Landarbeiter in San Ferdinando protestiert, nachdem in einer Zeltstadt ein Feuer ausgebrochen war, bei dem eine 26jährige Nigerianerin gestorben war.

Seit die neue rechte Regierung an der Macht ist, häufen sich in Italien rassis­tische Gewalttaten. Doch Angriffe auf Migranten sind auch in Italien kein neues Phänomen. Bereits 1989 hatte der Mord an dem südafrikanischen Flüchtling und Tomatenernte­helfer Jerry Essan Masslo nahe Caserta große Proteste ausgelöst. 2010 kam es in Kalabrien zu Ausschreitungen, nachdem afrikanische Migranten, die dort in der Orangenernte arbeiteten, immer wieder von der lokalen Bevölkerung angegriffen worden waren.

Innenminister Matteo Salvini (Lega) besuchte Foggia kurz nach den Unfällen der vergangenen Woche. Auf einer Pressekonferenz sagte er, er werde die »Mafia-Kriminalität«, die hinter den tödlichen Unfällen steckte, »ausmerzen, und zwar Straße für Straße, Stadt für Stadt, mit allen Mitteln, die uns legal zur Verfügung stehen«. Aus dem Mund eines rechten Innenministers, der Flüchtlinge schon einmal als »Menschenfleisch« bezeichnet, klingt das eher wie eine Drohung gegen die Flüchtlinge. Bereits 2016 hatte die damalige Mitte-links-Regierung ein Gesetz eingeführt, das die strafrechtliche Verfolgung der Vorarbeiter oder caporali vereinfachen sollte. Es stellt die Rekrutierung von Arbeitskräften für Dritte unter Strafe, wenn dabei gegen das Arbeitsrecht verstoßen und die Notsituation der Arbeitskräfte ausgenutzt wurde. An der Lage der Landarbeiter hat das Gesetz wenig geändert, auch, weil es nicht an das rührt, was mehr als alles andere zur extremen Ausbeutung der migrantischen Landarbeiter beiträgt – ihrem Status als »Illegale« ohne staatsbürgerliche Rechte.