Shira Abbo über die Lage Asylsuchender in Israel

»Anerkennungsquote von 0,48 Prozent«

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Interview Von

Die Asylsuchenden müssen also sehr lange warten?
In der Tat. Dazu kommt die permanente Unsicherheit. So mussten eritreische Asylsuchende bis vor kurzem alle zwei Monate ihr Visum erneuern lassen, sudanesische alle sechs Monate, sofern Darfur, die Nuba-Berge oder Blauer Nil als ihre Herkunftsregionen anerkannt wurden. Nun wurde immerhin beschlossen, diese Frist auf sechs Monate respektive ein Jahr auszuweiten. Zudem existiert eine spezielle Einkommensteuer für arbeitsberechtigte Asylsuchende, die als Pfand einbehalten und im Falle einer Ausreise aus Israel zurückbezahlt wird. Sie umfasst 20 Prozent des Nettogehalts und in Ausnahmefällen – für Frauen, ältere Menschen und Opfer von Menschenhandel – sechs Prozent. Dazu kommen noch spezielle Arbeitgeberanteile.

Kommt die »freiwillige Ausreise« denn für Asylsuchende in  Frage?
Sehr, sehr selten. Und die von der Regierung geplanten Rücknahmeabkommen mit Drittstaaten wie Ruanda und Uganda sind vergangenes Jahr zum Glück vor dem Obersten Gericht gescheitert, auch dank der großen öffentlichen Proteste von NGOs und der Zivilgesellschaft. Dass alle Israelis etwas gegen Geflüchtete hätten, ist ein Klischee, das im Ausland gerne kolportiert wird. Damals gingen in Tel Aviv über 20 000 Menschen auf die Straße, um gegen die Abschiebepläne der Regierung zu demonstrieren. Das hat uns sehr beeindruckt.

In welchen Bereichen arbeiten die Asylsuchenden?
Auch wenn es hier Ausnahmen gibt, ist deren Arbeit in der Regel schmutzig, erniedrigend und gefährlich. Die Asylsuchenden arbeiten vor allem im Rei­nigungssektor, auf den in Israel sehr gefährlichen Baustellen oder in der Gastronomie.

Wie steht es um den Zugang zur Gesundheitsversorgung?
Ebenfalls problematisch, weil sich der rechtliche Anspruch auf Leistungen nur auf das Allernötigste beschränkt. Da sehr viele Asylsuchende traumatische Erfahrungen im Herkunftsland oder auf dem Weg nach Israel machen mussten, wäre psychologische Hilfe eigentlich ein enorm wichtiges Thema. Es gibt Organisationen wie Assaf (Hilfsorganisation für Asylsuchende und Geflüchtete in Israel, Anm. d. Red.) oder die Gesher-Klinik in Yafo nahe Tel Aviv, die psychologische Hilfe für Asylsuchende und undokumentierte Migranten anbietet. Die Klinik ist allerdings chronisch unterfinanziert und verfügt nicht über ausreichend Personal. Insgesamt wird die sehr schwierige psychische Situation der Geflüchteten viel zu wenig beachtet.

Welche Perspektiven haben die ­Kinder der Geflüchteten, die ja teils auch in Israel geboren und aufgewachsen sind?
Es ist großartig, dass in Israel unabhängig vom Aufenthaltsstatus ein Recht auf Bildung besteht. Das umfasst die Grundschule und die weiterführende Schule. Dadurch haben viele Kinder Asylsuchender gute Bildungsperspektiven. Einige Kinder Asylsuchender können auch studieren. Das ist wegen der Studiengebühren allerdings in der Regel nur über private Stipendien möglich, die von wohlhabenden Spendern finanziert werden. Den für Män­ner und Frauen obligatorischen Militärdienst in der Armee dürfen die Kinder von Asylsuchenden nicht leisten, auch wenn viele, und gerade die, die als unbegleitete Minderjährige gekommen sind, es eigentlich kaum erwarten können, endlich den »israelischen Traum« zu leben, also ein normales ­Leben wie die Israelis zu führen, in dem der Militärdienst eine wichtige Rolle spielt.