Eine Ausstellung in Berlin Über Beate und Serge Klarsfeld

Keine Sonntagsreden

Jahrzehntelang spürten Beate und Serge Klarsfeld ehemalige Nazis auf und setzten sich für Israel ein. Eine Ausstellung in Berlin widmet sich nun diesem Engagement – und zeigt, wie wichtig zivilgesellschaftlicher Antifaschismus war und ist.

Nicht erst seit dem Beginn von Pflegenotstand, Coronakrise und russischem Angriffskrieg ist es in Deutschland überaus beliebt, »Zeichen« zu setzen. Der symbolische Akt simuliert aktivistische Betriebsamkeit, wo ­tatsächlich politischer Stillstand herrscht. In der Erinnerungspolitik unterstützen diese Akte die Verdinglichung von Geschichte. An Gesten und isolierte Taten Einzelner wird erinnert, um über gesellschaftliche und historische Zusammenhänge nicht sprechen zu müssen.

Als die deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld 1968 den ­damaligen Bundeskanzler und früheren leitenden Beamten in der NS-Auslandspropaganda, Kurt Georg Kiesinger, auf dem CDU-Parteitag ohrfeigte, war dies zwar ein symbolischer Akt, aber einer, der sich nicht selbst genügte. Klarsfeld wollte mit der Ohrfeige eine breite Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Bundesrepublik auslösen. Kurz vor der Ohrfeige schrieb sie in einem Artikel, dass die Sicherheit Europas und die Liberalisierung Osteuropas vom Umgang Deutschlands mit seiner historischen Schuld abhingen. Ohne Bekämpfung des Nationalsozialismus an seinen gesellschaftlichen Wurzeln könne es keinen dauerhaften Frieden auf dem europäischen Kontinent geben.

Das Engagement des Ehepaars Klarsfeld führte es immer wieder auch in mehrheitlich muslimische Staaten, wo sie für das Existenzrecht Israels eintraten.

Die Ausstellung »Beate und Serge Klarsfeld – Der Kampf gegen das Vergessen« des Mémorial de la Shoah in Paris, die dort 2017 zum ersten Mal zu sehen war und derzeit in einer überarbeiteten Version im Berliner Roten Rathaus zu sehen ist, ordnet die Kanzlerohrfeige in ein politisches Leben ein, das dem Kampf gegen ­Faschismus und Antisemitismus gewidmet ist. Sie zeigt das gesamte ­gesellschaftliche Wirken des antifaschistischen Ehepaares Klarsfeld von den sechziger Jahren bis in die Gegenwart.

Der Titel mag zunächst irreführen, zeigen doch gerade die ausgestellten Dokumente, dass der Kampf der Klarsfelds weit mehr als eine einfache erinnerungspolitische Intervention war. Es wird schnell deutlich, dass ihre Nazijagd und der Kampf gegen die Kontinuität des Nationalsozialismus nicht zuletzt auch in langwierigen Archivrecherchen, penetranter Öffentlichkeitsarbeit und dem hartnäckigen Ringen um Gesetzentwürfe und Strafrechtsreformen bestand. Es war ein Kampf durch und gegen die staatlichen Institutionen, in denen die Täter von damals wieder in Amt und Würden gekommen waren.

»Die Welt, in der ich aufwuchs, wurde mir nicht erklärt«, schrieb die 1939 als Beate Künzel Geborene über ihre Kindheit und Jugend in der Trümmerstadt Berlin in den 2015 erschienen gemeinsamen Erinnerungen des Ehepaars. Dies änderte sich erst, als sie 1960 in Paris Serge Klarsfeld kennenlernte. Er hatte als Kind einer jüdischen Familie die deutsche Besatzung Frankreichs überlebt, sein Vater war 1943 vor seinen Augen von den Deutschen verhaftet und wenige Wochen später in Auschwitz ermordet worden. Seine jüdische Identität mache nicht die Religion, sondern die Shoah und die unerschütterliche Verbundenheit mit dem jüdischen Staat aus. Diese führte dazu, dass er 1967 nach Tel Aviv reiste, um als Freiwilliger im Sechstagekrieg Israel zu verteidigen. Allein die raschen Erfolge der israelischen Streitkräfte machten seinen Kriegseinsatz überflüssig. Auch an diesen Aspekt des antifaschistischen Kampfs erinnert die Ausstellung.

Mit spektakulären Aktionen wie der versuchten Entführung des früheren SS-Obersturmbannführers Kurt Lischka aus Deutschland nach Frankreich, um ihn dort an die Justiz aus­zuliefern, machten die Klarsfelds die Öffentlichkeit auf die mangelnde Zusammenarbeit Deutschlands mit Frankreich bei der Strafverfolgung der Nazi-Täter aufmerksam. Lischka war für die Deportation von mindestens 73 000 Juden aus Frankreich und eine Reihe von Vergeltungsmaßnahmen der SS gegen die dortige Zivilbevölkerung mitverantwortlich. In Frankreich war er dafür 1950 zu lebenslanger Zwangsarbeit ver­urteilt worden. Doch die Bundesrepublik weigerte sich, den in Abwesenheit Verurteilten an Frankreich auzuliefern, und aufgrund des Überleitungsvertrags zwischen den Westmächten und der BRD konnte kein weiteres Verfahren für dasselbe ­Verbrechen vor einem deutschen Gericht geführt werden. Erst ein 1975 ratifiziertes Zusatzabkommen ermöglichte eine erneute Anklage und Verurteilung Lischkas in Deutschland. Dieses Zusatzabkommen wurde in den Medien auch als »Lex Klarsfeld« bezeichnet. Kurt Lischka, Ernst Achenbach, Klaus Barbie, Alois Brunner – die Liste der Nazi-Verbrecher, denen die Klarsfelds den Kampf angesagt hatten und die sich in ihren bürgerlichen Nachkriegsexistenzen nicht mehr sicher vor Strafverfolgung fühlen sollten, ist lang.

Das Engagement des Ehepaars führte es immer wieder auch in mehrheitlich muslimische Staaten, wo sie für das Existenzrecht Israels eintraten. 1974 reiste Beate Klarsfeld nach Rabat zum Gipfeltreffen der Arabischen Liga, um gegen die auf die Vernichtung Israels abzielende Politik der teilnehmenden Staaten zu demonstrieren. Im selben Jahr reiste sie nach Syrien und setzte sich für die seit dem Yom-Kippur-Krieg (1973) inhaftierten israelischen Kriegsgefangenen ein.

Als nach der Islamischen Revolu­tion im Iran 1979 eines der prominentesten Mitglieder der jüdischen Gemeinde des Landes, der Geschäftsmann Habib Elghanian, als einer der ersten Zivilisten vom Islamischen Revolutionsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, flog Serge Klarsfeld in das Land und konnte dort schließlich die Anklageschrift einsehen. Während das Regime gegenüber dem Westen beteuerte, El­ghanian sei wegen seiner Unter­stützung des Geheimdiensts des Schahs und des Paktierens mit Zionisten und anderen »Feinden Gottes« hingerichtet worden, belegte die Gerichtsakte, dass allein der Antisemitismus der neuen Machthaber der treibende Faktor in diesem Fall war. Klarsfeld konnte eine Kopie der Akte anfertigen und sie schließlich an die internationale Presse weiterreichen.

Dem rastlosen Engagement gegen das Fortleben des Nationalsozia­lismus und den globalen antisemitischen Terror, das auf insgesamt 26 Ausstellungsschautafeln mit vielen Zeitungsartikeln und Fotografien ­illustriert wird, kann die Ausstellung dann doch kaum in Gänze gerecht werden. Dennoch lässt sich sich hier erahnen, was es unter den Bedingungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bedeutete, die Maxime »Nie wieder!« praktisch zu ­befolgen. Es ging den Klarsfelds dabei nie um Sonntagsreden. Sie konfrontierten in ihrem Aktivismus die Deutschen nicht nur mit deren na­tionalsozialistischen Vergangenheit, sondern auch und vor allem mit der postnationalsozialistischen Gegenwart. Das Erinnern war dadurch immer parteiisch und konkret und drang auf politische Konsequenzen und gesellschaftliche Veränderungen. Schließlich gemahnt die Ausstellung auch eindrucksvoll daran, dass die Aufarbeitung des Nationalsozialismus nicht primär eine wissenschaftliche, sondern eine zivilgesellschaft­liche Aufgabe war – und bis heute ist.

Die Ausstellung »Beate und Serge Klarsfeld – Der Kampf gegen das Vergessen« läuft noch bis zum 23. November im Berliner ­Roten Rathaus und wird ab dem 30. November in der Berliner Topographie des Terrors zu sehen sein.