Der Deutsche Mieterbund warnt vor einem Desaster auf dem Wohnungsmarkt

Extraschrille Alarmglocken

Der Deutsche Mieterbund warnte kürzlich: Auch in diesem Jahr werde sich die Situation für Mieter:innen weiter verschärfen. Weil es derart an bezahlbarem Wohnraum mangelt, wird mehr zu tun sein, als den großen Immobilienkonzernen nur ihren Wohnungsbestand wegnehmen zu wollen.

»So laut wie jetzt haben die Alarmglocken des Wohnungsmangels lange nicht mehr geschrillt«, sagte Lukas Siebenkotten, der Präsident des Deutschen Mieterbunds, kürzlich den Zeitungen der Funke-Mediengruppe und warnte vor einem »ungeahnten Desaster«. Der Begriff »ungeahnt« wirkt deplatziert – denn die weitere Zuspitzung der Misere am Wohnungsmarkt kündigt sich schon lange an.

Nach einer Auswertung des Statistischen Bundesamts, die sich noch auf Daten aus dem Jahr 2021 bezieht, war jede achte Person, die in einer deutschen Mietwohnung lebt, mit ihren Wohnkosten überlastet. Eine Überlastung liegt demzufolge vor, wenn 40 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens für Miete und Nebenkosten, inklusive Strom, verbraucht werden müssen. Und diese Zahlen beziehen sich auf 2021 – im darauffolgenden Jahr sind die Energiepreise bekanntlich regelrecht explodiert.

Bundesweit liegt zum Jahresende 2022 ein Wohnungsdefizit von ­rund 700 000 Einheiten vor, sagt eine Studie des Pestel-Instituts, ­das Kommunen bei Planungen unterstützt.

Der Mieterbund warnt vor einer Verschärfung des Wohnungsmangels, weil wegen der zuletzt stark gestiegenen Baukosten weniger gebaut werde. Auch der Zuzug ukrainischer Flüchtlinge spiele eine Rolle. Der Mangel an günstigem Wohnraum habe ein »dramatisches Ausmaß« erreicht, formulierten jüngst die Grünen in einem Papier zu ihrer Jahresauftaktklausur in Berlin, aus dem der Tagesspiegel exklusiv zitierte. Als Gegenmittel schlug die Partei »eine Deckelung von bestehenden und Beschränkung von neuen Indexmietverträgen« sowie eine Absenkung der Kappungsgrenzen bei Mietererhöhungen vor. Sie bekräftigte zudem, an der bereits im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien festgeschriebenen Verlängerung der sogenannten Mietpreisbremse bis 2029 unbedingt festhalten zu wollen; diese legt fest, dass in Gebieten mit »angespanntem Wohnungsmarkt« die Miete bei Neuvermietungen maximal zehn Prozent über der vorher erzielten liegen darf.

Die Vorschläge der Grünen, möglich­erweise auch mit Blick auf die anstehenden Wiederholungswahlen in Berlin gemacht, bleiben jedoch eher vage. »Es darf keine extremen Mieterhöhungen mehr geben«, sagte Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag – und verdeutlicht damit das zugrunde liegende Problem: Die geplanten Maßnahmen sollen dämpfend auf Preissteigerungen wirken. Aber das ohnehin extrem hohe Mietniveau, das insbesondere in Großstädten längst erreicht ist, tasten sie gar nicht erst an.

Dass eine Senkung dieser Mietpreise durchaus möglich wäre, soll eine jüngst veröffentlichte Studie im Auftrag der der Linkspartei nahestehenden Rosa-Luxemburg-Stiftung verdeutlichen. Sie hat geprüft, in welchem Umfang die Mieten gesenkt werden könnten, wenn Wohnungen aus dem Besitz großer Konzerne in die öffentliche Hand übertragen werden – so wie es die Bürgerinitiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« gefordert hatte, deren Vorschlag per Volksentscheid 2021 in Berlin mit einer Mehrheit der Stimmen angenommen worden war.

Bei einer Vergesellschaftung von 220 000 Wohnungen in Berlin, wie es den Forderungen des Volksentscheids entspräche, ist der Studie zufolge eine Mietsenkung von durchschnittlich 16 Prozent des jetzigen Niveaus machbar. Dabei orientiert sich die Berechnung an den Miethöhen der landeseigenen Wohnungsunternehmen, die im Schnitt über einen Euro pro Quadratmeter günstiger sind als die der privaten Anbieter. Ausgeklammert werden in der Kalkulation allerdings die im Fall einer Enteignung fällig werdenden Entschädigungen, weil deren Höhe noch nicht feststehe. Dieser Punkt ist nicht unwichtig, weil die Entschädigung zumindest zum Teil durch spätere Mieten finanziert werden müsste. Auch würde sich daran entscheiden, ob die Konzerne von der Vergesellschaftung profitieren würden oder nicht.

Derzeit prüft eine Expertenkommission, ob und wie eine Umsetzung des Volksentscheids rechtlich möglich wäre. Der Abschlussbericht wird nach der Wahl erscheinen. Die Regierende Bür­ger­meisterin Franziska Giffey (SPD) scheint nicht bereit zu sein, die demokratische Mehrheitsentscheidung zu verwirklichen. Bei einer Podiumsdiskussion sagte sie vor kurzem in diesem Zusammenhang: »Ich habe einen Eid geleistet, für diese Stadt das Beste zu bewegen und auch Schaden von dieser Stadt abzuwenden.« Daher könne sie es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, sich »für Enteignungen einzusetzen, wenn wir doch eigentlich dafür kämpfen, dass wir hier in der Stadt Menschen wollen, die Wohnraum schaffen, die Entwicklung voranbringen und die hier investieren«. Wirklich lösen lasse sich das Problem nur durch intensiven Neubau.

Dem Pestel-Institut, das Kommunen bei Planungen unterstützt, zufolge wuchs allein in der Hauptstadt in den vergangenen Jahren der Fehlbestand an Wohnungen rasant: Es hätten 80 000 neue Wohnungen pro Jahr mehr gebaut werden müssen, um den vorhandenen Bedarf zu decken. Bundesweit liege zum Jahresende 2022 ein Defizit von rund 700 000 Wohnungen vor. Dass da nur »Bauen, Bauen, Bauen« helfe, ist schon seit geraumer Zeit die Parole der Bauunternehmen und auch der IG Bauen-Agrar-Umwelt. »Rein rechnerisch gibt es bundesweit dennoch einen erheblichen Wohnungsüberschuss«, formuliert im Kontrast dazu das Bundesinstitut für Bau-, Stadt-, und Raumforschung in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2020. Während die Lage vor allem in Zentren enorm angespannt sei, gebe es in anderen Teilen der Republik hohe Leerstandsquoten: in Sachsen-Anhalt zum Beispiel 12,6 Prozent (Stand 2017). Insgesamt kommt das Institut auf die Zahl von 2,1 Millionen Wohnungen ohne Bewohner:innen.

Neubauten sind aber keineswegs ein Allheilmittel für die Mietmisere, wie es Politiker:innen wie Giffey oft suggerieren. Eine 2018 veröffentlichte Studie der Schweizer Empira AG hat über den Zeitraum von zehn Jahren verschiedene Einflussfaktoren auf die Mietpreisentwicklung in 80 deutschen Städten untersucht. Sie kommt zu dem Resultat, dass die »Situation auf dem jeweiligen Arbeitsmarkt der Faktor mit der stärksten Korrelation zur Entwicklung der Mietpreise ist«. Neubau habe jedoch keinen messbaren Effekt auf den Mietspiegel, denn: »Neu geschaffener Wohnraum wird in der Regel signifikant teurer vermietet als Altbestände in gleicher Größe und Lage.«

Auf diese Befunde bezogen sich 2020 gut 200 Wissenschaftler:innen aus dem Bereich Architektur und Stadtplanung in einem Appell für eine »wirklich soziale Wohnungspolitik«. Wie sie darin ausführen, würden zwar »durch den Umzug in einen Neubau immer Wohnungen frei, die etwas kleiner, etwas älter und etwas preiswerter sind«. Weil aber die freiwerdenden Wohnungen bei der Neuvermietung meist teurer angeboten würden, müsse »im Ergebnis festgestellt werden, dass eine verstärkte Neubautätigkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht zu einer Ausweitung von bezahlbaren Wohnungsangeboten führt«. Zudem sei »keine einzige empirische Studie zu angespannten Wohnungsmärkten bekannt, die Sickereffekte (der Neubautätigkeit, Anm. d. Red.) auf das Niveau bezahlbarer Wohnungsversorgung belegen kann«.

Wenn nun, wie es beispielsweise auch der Deutsche Mieterbund tut, auf eine gesteigerte Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt durch den Zuzug Geflüchteter und auf höhere Baukosten infolge der Inflation verwiesen wird, gerät ein weiterer maßgeblicher Preistreiber am Wohnungsmarkt aus dem Blick: der Bodenwert. Je teurer das Grundstück, desto teurer das Bauen, desto teurer die Miete. Ein paar bemerkenswerte Zahlen dazu präsentiert das Statistische Landesamt Baden-Württemberg. Während der Quadratmeter Bauland im deutschen Südwesten 1970 noch einen durchschnittlichen D-Mark-Betrag kostete, der heute etwa 16,59 Euro entspräche, waren es 50 Jahre später 215,95 Euro, also eine Steigerung um gut 1 200 Prozent. In den Ballungsgebieten ist die Lage noch weitaus drastischer. So wurde ein Quadratmeter Boden in der Königstraße des wirtschaftsstarken Stuttgart im Jahr 2017 für 29 000 Euro gehandelt. Entsprechend scheint es fast schon handzahm, den großen Immobilienkonzernen nur ihren Wohnungsbestand wegnehmen zu wollen. Radikal wäre es, das Privateigentum an der Naturressource Grund und Boden zugunsten einer kollektiven Verfügung aufzuheben.