Der neue SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler könnte der Partei ein wenig Profil verleihen

Hemdsärmeliger Marxist

Nach einer Panne bei der Stimmenauszählung und der Verkündung eines falschen Wahlsiegers stellte sich heraus, dass der dem linken Flügel der österreichischen Sozialdemokratie zugerechnete Andreas Babler zum Parteivorsitzenden gewählt worden ist.

Klagenfurt. Ein paar Tage lang gelang der SPÖ, was den österreichischen Sozialdemokraten sonst nicht mehr so oft vergönnt ist: Sie dominierte die Medien, wenn auch nicht freiwillig. Zwei Tage nachdem man verkündet hatte, der burgenländische Landeshauptmann (entspricht in Deutschland einem Ministerpräsidenten) Hans Peter Doskozil sei von den Delegierten zum neuen Vorsitzenden gewählt worden, trat die Leiterin der Wahlkommission, Michaela Grubesa, vor die Kameras und musste zerknirscht zugeben, dass man die Tabelleneinträge verwechselt habe, der wahre Sieger Andreas Babler heiße und sie übrigens mit sofortiger Wirkung zurücktrete.

Der Spott über die Unfähigkeit der SPÖ, bei ihrem außerordentlichen Parteitag in Linz am 3. Juni eine Wahl mit 602 abgegebenen Stimmen wenigstens auf dem Niveau einer zahlenmäßig vergleichbaren Mittelstufenschulsprecherwahl abzuhalten, war laut, und die Flut von Excel-Memes wollte kein Ende mehr nehmen. Hans Peter Doskozil trollte sich und rauschte beleidigt ins Burgenland ab, von wo er ausrichten ließ, die Bundespolitik interessiere ihn ab sofort nicht mehr, und ­etliche politische Kommentator:innen mussten anhand ihrer zuvor veröffentlichten Analysen über die »Doskozil-SPÖ« erfahren, wie schnell Neuigkeiten altern, wenn nur entsprechend unfähige Menschen mit Microsoft-Programmen arbeiten.

Für die österreichische Sozialde­mokratie bedeutet die Wahl Bablers zunächst einmal, dass die Partei nicht nach rechts rückt. Doskozil, der 2017 in seiner damaligen Funktion als Verteidigungsminister vorgeschlagen hatte, an der Grenze zu Italien Soldaten samt Panzern zu postieren, um Flüchtlinge aufzuhalten, hatte keinen Hehl aus seiner Vorliebe für das »dänische Modell« gemacht, wo die Sozialdemokratie mit einer stramm rechten Ausländerpolitik und einer linken Sozialpolitik reüssieren konnte. Ob die Taktik von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, der Vorsitzenden der dänischen Socialdemokraterne, auch in Österreich aufgehen würde, wo es mit FPÖ und ÖVP bereits zwei große und etablierte rechte Parteien gibt, die einander in Sachen xenophober Rhetorik zu überbieten trachten, wäre freilich alles andere als sicher.

»Einen bekennenden Kommunisten an der Spitze unserer Bewegung kann und werde ich nicht akzeptieren.« SPÖ-Politiker Alfredo Rosenmaier zu seinem Parteiaustritt

Andreas Babler ist in vielen Belangen das Gegenteil von Doskozil. Er war bislang der Bürgermeister von Traiskirchen, einem niederösterreichischem Städtchen mit 18 000 ­Ein­wohner:innen im Umland Wiens und einer traditionellen SPÖ-Hochburg, wo auch Österreichs ältestes (seit 1955 bestehendes) und größtes Flüchtlingslager steht. Nicht selten ist die Ausländerfeindlichkeit dort am größten, wo es am wenigsten Ausländer gibt; dennoch ist es beachtlich, wie Babler sich in einer ­Gemeinde, die der österreichische Hotspot in Sachen Flucht und Migration schlechthin ist, mit einer humanen Haltung zu Geflüchteten nicht nur behaupten konnte, sondern mit mehr als 70 Prozent der Wählerstimmen dafür belohnt wurde.

Der gerne hemdsärmelig auftretende und im Dialekt sprechende neue SPÖ-Vorsitzende gilt schon seit Jugendtagen als Vertreter des linken Flügels in der Sozialdemokratie. Wenige Tage vor seiner Wahl sagte er im Privatsender Puls 24, er sei Marxist – eine mutige Aussage in einem Land, in dem selbst vermeintliche Intellektuelle sich damit schwertun, Marxismus, Marxismus-Leninismus, Sozialismus, Kommunismus und alles dazwischen auseinanderzuhalten.

Dass Marxist zu sein für den Vor­sitzenden einer Partei, deren Gründer sämtlich Marxisten waren, nicht so ungewöhnlich ist, wie es konservative Kommentator:innen und Politi­ker:innen nun darstellen, ändert wenig an der bereits auf Hochtouren laufenden Dämonisierung Bablers als eine Art Austro-Guevara, der noch die letzte Kuh im Stall armer Bäuerlein verstaatlichen und demnächst vorschreiben werde, alle Österreicher hätten sich Hammer und Sichel auf die Stirn tä­towieren zu lassen. Wie sehr sich antimarxistische Begriffsverwirrungen auch in der SPÖ breitgemacht haben, zeigt die Begründung des bekannten niederösterreichischen SPÖ-Politikers Alfredo Rosenmaier für seinen Parteiaustritt nach Bablers Triumph über Doskozil: »Einen bekennenden Kommunisten an der Spitze unserer Bewegung kann und werde ich nicht akzeptieren.«

Einen Vorgeschmack auf die entsprechende Propaganda lieferte bereits ÖVP-Generalsekretär Christian ­Stocker. Nachdem Babler in einem Fernsehinterview gesagt hatte, er persönlich sei für die Legalisierung von Cannabis, tweetete Stocker: »Wir werden es nicht zulassen, dass die österreichische ­Bevölkerung durch die SPÖ in ihrer ­Gesundheit gefährdet wird. Ziel muss es sein, Kinder und Jugendliche in ­Bezug auf Drogen zu sensibilisieren und nicht zu Drogenabhängigen zu machen.«

Derlei lächerliche Zuspitzungen könnten Babler allerdings eher nützen als schaden: Denn die SPÖ litt in den vergangenen Jahren trotz zahlreicher Skandale im Umfeld von ÖVP und FPÖ und trotz der Unzufriedenheit weiter Bevölkerungsteile mit der Wirtschaftspolitik der Regierung von ÖVP und Grünen darunter, dass ein klares politisches Profil nicht zu erkennen war.

Außenpolitisch vertrat Babler allerdings auch Ansichten, die man mit gewissem Recht als absonderlich bezeichnen kann. Kurz vor der Wahl wurde ein Video aus dem Jahr 2020 ­bekannt, in dem er die bizarre Einschätzung vertrat, die EU sei das »aggressivste außenpolitische militärische Bündnis, das es je gegeben hat«. Der ­Tageszeitung Standard teilte er mit, er sei jedoch »keinesfalls für einen EU-Austritt«, sondern für eine »umfassende Änderung der europäischen Verträge« und eine Abkehr von neoliberaler Sparpolitik.