Rekonstruktion eines Fahrradunfalls und eine Erörterung der Schuldfrage

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: Fahrradunfall

So ist es immer. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit und … au! Au! Au! Au! Au! Au! Au! Fahrradunfall. Aber zurück zum Anfang. Zur Vorgeschichte. Am Samstagmorgen fahren Julia und ich gemütlich mit dem Fahrrad von Kreuzberg nach Stralau, einer Landzunge zwischen der Spree und dem Rummelsburger See. Die Sonne scheint, keine Wolke ist am Himmel.

Die Strecke nach Friedrichshain fahre ich regelmäßig, zum Beispiel dienstags auf dem Weg zum Tanzen im »Crack Belmer« auf dem RAW-Gelände. Wir bleiben auf den großen Straßen, anstatt den kürzeren Weg quer durch Kreuzberg zu nehmen, denn der Verkehr ist hier übersichtlich und wir können fast immer auf dem Fahrradweg fahren. Je weniger Fußgänger im Weg stehen, je weniger Ampeln zu überqueren sind und je weniger Straßen wir kreuzen, desto unkomplizierter.

Es geht an der Prinzenstraße links auf die Gitschiner und dann immer geradeaus auf die Skalitzer Straße am Kottbusser Tor vorbei. Bevor die Skalitzer die Wiener Straße kreuzt, taucht ein alter Mann vor uns auf, der im Schritt­tempo auf dem Fahrradweg fährt. Julia ist hinter ihm und macht keine Anstalten, ihn zu überholen. Sie fährt selbst gern sehr langsam. Ich fahre auch meist langsam, jedenfalls langsamer als alle anderen. In Kolonne fahrende Fahrradfahrer lasse ich immer überholen. Ich fahre nie in Gruppen, das ist viel zu stressig und gefährlich. Aber jetzt fahren wir so langsam, dass ich fast vom Fahrrad falle.

Der Mann merkt endlich, dass er uns behindert, und weicht auf den freien Bürgersteig aus. Wir überholen, da schaltet die Ampel, an der Manteuffelstraße auf Höhe der Moschee, auf rot. Wir quatschen und sind bester Laune. Als es grün wird, kommt der Opa plötzlich von rechts vor uns auf den Fahrradweg.

Unter meiner Socke zeichnet sich ein Blutfleck ab, das Fußgelenk ist kreisrund abgeschürft. Eine Frau fährt meckernd an mir vorbei.

»Oh, nein, nicht schon wieder«, denke ich. Weil ich die Strecke regelmäßig fahre, weiß ich, dass die Grünphase an dieser Ampel mit der an der 50 Meter weiter entfernten Wiener Straße gekoppelt ist. Wenn wir nur dreimal in die Pedale treten, können wir es locker schaffen, auch noch die sehr breite Kreuzung an der Wiener Straße zu überqueren. Aber nicht, wenn der Mann vor uns ist.

Ohne lange nachzudenken, versuche ich, ihn zu überholen, dabei springt meine Kette heraus, ich rutsche mit dem Fuß vom Pedal, stürze zwar nicht, knicke aber ein und bremse, in dieser gebückten Haltung mit dem umgeknickten Fuß auf dem Asphalt, unwillkürlich strauchelnd, bis ich am Rand des Fußgängerwegs langsam zum Halten komme.

Ein Schockmoment für Julia. Der Mann hat nichts bemerkt und ist ruhig weitergefahren. Unter meiner Socke zeichnet sich ein Blutfleck ab, das Fußgelenk ist kreisrund abgeschürft. Eine Frau fährt meckernd an mir vorbei. »Stell dein Fahrrad doch gleich quer!« ruft sie genervt, weil ich, auch noch etwas schockiert, halb den Fußgängerweg blockiere. Julia holt mir ein nasses Tuch aus einem Laden. Wir rappeln uns auf und schieben unsere Fahrräder ein paar Meter weiter bis hinter die Kreuzung.

Es ist zum Glück nicht viel passiert. Nachdem ich mein Fahrrad repariert habe, können wir weiterfahren. Wir verbringen noch einen sehr schönen Tag auf der Terrasse von Freunden auf der Halbinsel Stralau.

Aber der kleine Unfall ist mir auch eine Warnung. Erstens: Mein Fahrrad ist nicht verkehrstauglich. Ich muss es reparieren oder ­sogar reparieren lassen. Zweitens: Immer easy bleiben im Verkehr. Vergiss die Ampelphasen und das Tempo der ­anderen. Und drittens: Vorsicht vor Schleichfahrern!