Kein Pali-Tuch, stattdessen Waffen für Israel

Der analoge Mann

Die Parteinahme vieler Linker für die palästinensische Sache habe ich noch nie verstanden. Schon als Kind waren für mich die Bilder mordender Palästinenser in München und Mogadischu verstörend. Das waren die Bösen. Das Pali-Tuch, das meinen Mitschüler:innen keimig um den Hals hing, kapierte ich erst recht nicht. Ich hatte nie eines. Mitte der siebziger Jahre besuchte ich mit meinen Eltern Israel. Mein Vater war Kapitän auf einem Containerschiff, das, wie mir meine Mutter erst viele Jahre später erzählte, nicht Waschmaschinen, sondern Waffen geladen hatte. Die Verteidigung des Rechts der Israelis, sich gegen Angriffe zu wehren, liegt bei uns also sozusagen in der Familie.

Ich weiß, dass es anmaßend ist und nicht vergleichbar, aber dennoch musste ich nach dem Massaker des 7. Oktober und der tiefen Trauer der Menschen in Israel über den Verlust ihrer Angehörigen an meine eigenen Verluste denken. In meiner Familie wurde schon immer viel gestorben. Mein biologischer Vater starb an Leukämie, als ich ein Jahr alt war. Ich habe ihn nie kennengelernt. Meine Mutter lernte wenig später einen neuen Mann kennen, der mein Vater wurde, obwohl sie nie heirateten. Beide starben 1994 bei ­einem Autounfall. Tiefe Trauer legte sich wie ein pelziges, schweres Gewicht auf mein Herz und blieb dort viele Jahre.

Meine Mutter hat mich sehr geliebt, fast zu sehr. Mein Vater fuhr zur See, da war es verständlich, dass sich ihre Sehnsucht und ihr Liebes­bedürfnis auf mich und meinen Bruder verlagerten. Ihre Zuneigung und Aufmerksamkeit empfand ich als Jugendlicher zunehmend als bedrückend. Rück­blickend waren sie ein großes Glück. Ich bin liebesfähig geworden. In unserer Welt keine geringe Fähigkeit. Ich will nicht hassen. Auch nicht die Palästinenser. Und Religionen sind irgendwie alle dumm. Aber so viel habe ich verstanden. Jetzt ist gerade Schluss mit ja aber.