Die Zukunft Israels hängt von einer Allianz mit den fortschrittlichen iranischen und arabischen Kräften ab

Die Hoffnung kommt aus dem Iran

Die Zukunft Israels hängt von einer Allianz mit den progressiven ­iranischen und arabischen Kräften ab.
Disko Von

International machen Linke und Anti­rassisten die »German guilt« (deutsche Schuld) für eine vermeintliche Unterdrückung »propalästinensischer« Positionen in Deutschland verantwortlich. Doch auch außerhalb Deutschlands gibt es Linke, die für das Existenzrecht Israels einstehen und einen Schulterschluss mit Islamisten und Antisemiten ablehnen. Yves Coleman kritisierte, dass der Linken die Begriffe fehlen, um den politischen Islam zu analysieren (»Jungle World« 49/2023). Peshraw Mohammed analysiert diesen als faschistische Ideologie (51/2023). Susie Linfield beklagte eine Rückkehr linker Abscheulichkeiten (2/2024). Rafael Gumucio erklärte die Anziehungskraft des islamistischen Todeskults für postmoderne Linke (3/2024). Marcos Barreira beschrieb das Entstehen einer neostalinistischen Linken in Brasilien, die einem linken Antizionismus Aufschwung verleiht (9/2024).

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Am Tag nach den Massakern vom 7. Oktober, wenn nicht schon an dessen Abend, verkündete der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, der Gegenschlag werde »den Feind mit einer Gewalt treffen, wie er sie in diesem Ausmaß noch nie erlebt hat«. Fünf Monate später ist man versucht anzuerkennen, dass er in diesem Punkt die Wahrheit gesagt hat. Wobei niemand weiß, wie weit die israelische Regierung bei dieser Orgie der Zerstörung noch gehen will. Das Ergebnis ist schon heute entsetzlich: Jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, sind mehr als 30.000 Tote zu beklagen und Zehntausende Verletzte; die meisten Wohnhäuser im Gaza-Streifen sind völlig oder teilweise zerstört; schlimmer noch, die Hungersnot bedroht die physische Existenz von Hunderttausenden Menschen. Nach ­israelischen Angaben sind mehr als ein Drittel der Todesopfer, nämlich 12.000, Hamas-Kämpfer, während die Hamas der Nachrichtenagentur Reuters mitteilte, dass bislang 6.000 ihrer Kämpfer gefallen seien. Aber keine dieser Zahlen lässt sich überprüfen.

Und trotzdem: Netanyahu hat gelogen, denn nicht »den Feind« hat kurz nach dem 7. Oktober eine Gewalt getroffen, »wie er sie in diesem Ausmaß noch nie erlebt hat«, sondern die Bewohnerinnen und Bewohner des Gaza-Streifens. »Der Feind« hingegen zog sich, nachdem er seine Schandtaten auf israelischem Territorium vollbracht hatte, sogleich in seinen Bau zurück, in das Netz aus Tunneln und Bunkern, das er unter der Erde – bombensicher – errichtet hatte.

In weniger als 20 Jahren haben die Hamas-Architekten zufolge ein Tunnelnetz gebaut »ungefähr viermal so groß wie das U-Bahnnetz von Paris«, dessen Bau mehr als 100 Jahre dauerte.

War der Überfall vom 7. Oktober ein Akt des »bewaffneten Widerstands« gegen Besatzung, Kolonisation und Apartheid im Westjordanland und gegen die Blockade des Gaza-Streifens? Nein. Dieser Überfall war der klare und deutliche Ausdruck eines politischen Projekts nicht nur der Hamas, sondern auch der Hizbollah und der Ayatollahs im Iran: der Auslöschung der »zionistischen Entität«, also das unterschiedslose Niedermetzeln aller Menschen, die sich dort aufhielten: Juden, Araber, thailändische Landarbeiter und so weiter.

Anders gesagt, er war die Umsetzung der Charta der Hamas von 2017, die jene von 1988 abwandelte, indem sie deren insbesondere durch die »Protokolle der Weisen von Zion« inspirierte antisemitische Rhetorik durch eine ­andere ersetzte: Im Jahr 2017 erklärte die Hamas, »dass sie nicht die Juden bekämpft, weil sie Juden sind, sondern die Zionisten, weil sie Palästina unter ihrer Besatzung halten«. Und in ihren Augen hat jede Person, die in Palästina lebt, wer (oder was) auch immer sie sei, nur drei Wahlmöglichkeiten: sich dem Gesetz der Hamas unterwerfen, ins Exil gehen oder sterben.

»Hauptsache keine zionistische Entität«

Die Hamas ist keine Nazi-Partei, sondern eine antizionistische und fun­damentalistische Partei, deren Doktrin und Praxis ebenso kohärent sind, wie die Organisation aus ihnen keinen Hehl macht. Die der Hamas gewährte Unterstützung seitens der antizionis­tischen Internationale indessen ist keine Unterstützung für das Projekt einer islamischen Gesellschaft als solcher, sondern vielmehr ein Zusammenschluss, der auf der impliziten Parole »Hauptsache keine zionistische Entität« beruht. Und gewiss ist eine solche Parole für viele überaus anschlussfähig.

Ist der israelische Gegenschlag ein »Völkermord«? Der Vorwurf des »Völkermords« gegen Israel ist so alt wie der Staat Israel. Trotzdem muss als zweckdienlich angesehen werden, dass Südafrika mit diesem Vorwurf vor ein internationales Gericht gezogen ist. Denn ich denke, dass alles, was dazu beitragen könnte, das irrsinnige Blutvergießen zu beenden, gutzuheißen ist. Und sei es um den Preis, Juden des Ritualmords zu bezichtigen. Die Juden haben Jahrhunderte überlebt trotz solcher Anschuldigungen. Die Palästinenser im Gaza-Streifen werden den israelischen Feldzug nicht mehr lange überleben. So real die Gefahr des Hungertods ist, so real ist auch die des Völkermords.

Wie konnte es so weit kommen? Die Ursache des sich gerade ereignenden Desasters ist weder die Hamas noch die nationalistische israelische Rechte, sondern das seit drei Jahrzehnten währende Bündnis beider. Seit drei Jahrzehnten eilt die Hamas der nationalistischen israelischen Rechten zu Hilfe und hat großen Anteil an deren Radikalisierung, so wie die nationalistische ­israelische Rechte seit drei Jahrzehnten den Machtzuwachs der Hamas fördert.

Wie in Israel überall bekannt ist, hing im Wohnzimmer von Itamar Ben-Gvir, dem gegenwärtigen Minister für nationale Sicherheit, das Porträt von Baruch Goldstein, bis Netanyahu ihn im Jahr 2020 im Hinblick auf eine zukünftige Regierungskoalition aufforderte, es zu entfernen.

Insofern sich im jetzigen Krieg die Regierung des Gaza-Streifens und die israelische Regierung gegenüberstehen, handelt es sich im Wesentlichen um den Kampf zwischen zwei Faschismen: palästinensischer Faschismus gegen israelischen Faschismus. Was die Asymmetrie des Kräfteverhältnisses anbelangt, so hängt jegliche Einschätzung davon ab, für welche Brennweite man sich entscheidet: Lichtet man nur die bewaffneten Kräfte Israels und der Hamas ab oder auch die Hizbollah, Syrien, die bewaffneten Organisationen im Irak und Jemen sowie den Iran, dessen nukleare Dynamik, gepaart mit seinen Absichtsbekundungen, die »zionistische Entität« zu vernichten, die Brutalität des israelischen Feldzugs im Gaza-Streifen teilweise erklärt?

Doch kommen wir auf die ideologischen Strukturen zurück, die diese beiden Versionen eines rechtsextremen Nationalismus animieren: Sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Wie in Israel überall bekannt ist, hing im Wohnzimmer von Itamar Ben-Gvir, dem gegenwärtigen Minister für nationale Sicherheit, das Porträt von Baruch Goldstein, bis Netanyahu ihn im Jahr 2020 im Hinblick auf eine zukünftige Regierungskoalition aufforderte, es zu entfernen.

Goldsteins heroische Großtat war, in einer Moschee an der sogenannten Höhle der Patriarchen in Hebron betende Muslime mit einer Maschinenpistole niederzumähen (im Februar 1994: 29 Tote und 125 Verletzte). Ben-Gvir ist ein bekennender Pogromhetzer. Eine »jüdische Version« der ­Hamas, wie Élie Barnavi, der ehemalige israelische Botschafter in Frankreich, kurz nach dem 7. Oktober sagte (Le Monde, 9. Oktober 2023).

Unmittelbare Ursache des jetzigen Desasters ist der Abbruch des Oslo-Friedensprozesses

Auf den ersten Blick ist die unmittelbare Ursache des jetzigen Desasters der Abbruch des Oslo-Friedensprozesses. Seit dem Scheitern der Verhandlungen in Camp David (2000) halten politische Organisationen die Zügel in der Hand, die diesen Friedensprozess ablehnen. Ihre Machtergreifung erklärt sich in Teilen aus diesem Scheitern, und seither haben sie auf eine kontinuierliche Zuspitzung des Konflikts hingewirkt, auf dass der Krieg zum einzigen vernünftigen Horizont werde und die Vernichtung zu einer erfreulichen Aussicht.

Es scheint kaum vorstellbar, dass der Lauf der Dinge in ihren Augen ein Desaster ist. Ben-Gvir führt Freudentänze vor israelischen Fernsehkameras auf angesichts der Vorstellung, den Gaza-Streifen zurückzuerobern. Und wahrscheinlich feiern die militärischen Führer der Hamas die Popularität, die sie auf Kosten der Bewohnerinnen und Bewohner Gazas erlangt haben. Ein Ar­tikel aus Libération vom 26. Dezember 2023 geht dieser Frage der dem 7. Ok­tober geschuldeten Popularität der Hamas nach:

»Nicht so sehr die Hamas, sondern ihr militärischer Flügel (die Qassam-Brigaden), der den Überfall vom 7. Oktober verübte, hat breite Zustimmung in der arabischen öffentlichen Meinung erlangt. ›Abu Obaida, wir sind alle deine Männer!‹ skandierten die Demons­tranten in Amman. Obaida, der militärische Pressesprecher der Brigaden, berichtet täglich über die Lage in Gaza, wobei er zur Vermummung eine Kufiya trägt. Er ist für die jungen Leute zu einer Art neuem Helden geworden. Selbst die entschiedensten Gegner des Islamismus und der Hamas-Methoden unter den Palästinensern und Arabern, einschließlich der Intellektuellen, verteidigen den ›Widerstand‹ gegen Israel. Dass jeder Weg zu einer politischen Lösung der Palästina-Frage seit mehr als zehn Jahren blockiert ist, hat dazu geführt, dass sie seit dem 7. Oktober im Fokus der Weltöffentlichkeit steht, glauben die vom Friedensprozess Enttäuschten. ›Der Angriff der Hamas hat die Karten im Nahen Osten neu gemischt‹, lautet eine Wendung, die in den Fernsehdebatten der arabischen Sender immer wieder auftaucht, auch im Mund jener, die das an israelischen Zivilisten begangene Massaker bedauern.«

Bündnis zweier Faschismen

»Dass jeder Weg zu einer politischen Lösung der Palästina-Frage seit mehr als zehn Jahren blockiert ist«, legitimiere also den »Widerstand« der Hamas gegen die Besatzung des Westjordanlands und die Blockade des Gaza-Streifens. Dabei war es doch gerade die Hamas, die von ­Anfang an die Blockade jeglicher politischen Lösung orchestrierte, insbesondere – nach der Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin durch einen jüdischen Faschisten – mit ihrer Welle von Selbstmordanschlägen im Israel der neunziger Jahre, durch die Netanyahu, der Gegner des Oslo-Friedensprozesses, an die Macht getragen wurde. Es liegt auf der Hand, wie sehr das Bündnis dieser zwei Faschismen, des palästinensischen und des israe­lischen, auf morbidestem politischem Zynismus beruht.

Im Übrigen wächst die Popularität der Hamas vor allem unter jenen, die nicht an den Folgen ihres »Widerstands« zu leiden haben, das heißt weniger im Gaza-Streifen als andernorts. Wie sollten sich die Leute in Gaza auch erkenntlich zeigen? Denn während die Hamas-Strategen Gefahren für die Zivilbevölkerung bereitwillig in Kauf nehmen, haben sie für sich selbst vorgesorgt. In einem Artikel von Le Monde (9. Februar 2024) heißt es:

»Zunächst ging die israelische Armee davon aus, das unterirdische Tunnelnetz im Gaza-Streifen umfasse etwa 400 Kilometer. Doch nach ihrem ersten Vordringen erwies sich dies rasch als Fehleinschätzung: Das Tunnelnetz dürfte zweimal größer sein, ungefähr viermal so groß wie das U-Bahnnetz von Paris. ›Wenn das ganze Ausmaß der unterirdischen Bauten der Hamas ans Licht gekommen sein wird, dürfte sich zeigen, dass diese Bauten alles übertreffen, womit eine moderne Armee sich je konfrontiert gesehen hat‹, meint John Spencer, der über urbane Kriege am Modern War Institute forscht, in einem ­Artikel vom 8. Januar 2024. Ausgestattet mit Wasser, Strom und Belüftungsschächten ist das Bunkerlabyrinth Rückzugsort für die Hamas-Kämpfer, Kommandoposten, Munitionslager und Waffenfabrik.«

Der Bau des Pariser U-Bahnnetzes erstreckte sich über eine Zeitspanne von mehr als 100 Jahren. Die Hamas ist seit 2007 im Gaza-Streifen an der Macht. In weniger als 20 Jahren hätten die Hamas-Architekten demnach ein Tunnelnetz gebaut »ungefähr viermal so groß wie das U-Bahnnetzes von Paris«. Nur dass es sich eben nicht um den Bau ziviler Infrastrukturen handelte, sondern um die Errichtung eines allein den Hamas-Kämpfern vorbehaltenen Schutzraums.

Das gegenwärtige Desaster nimmt solche Ausmaße an, dass sich sogar die US-amerikanische Regierung entsetzt zeigt. Daher möchte sie die Konturen des »Tags danach« umreißen. Die ­palästinensischen und israelischen Faschisten scheren sich nicht um den »Tag danach«. Das entspricht der Definition schlechthin des Faschismus: Es gibt weder ein Warum noch einen »Tag danach«: »Viva la muerte!«

Es ist illusorisch, das gegenwärtige Desaster einzig im Rahmen einer lokalen Perspektive analysieren zu wollen.

Die Alternative zum israelisch-palästinensischen Faschismus wäre also der US-amerikanische Plan einer Zweistaatenlösung und infolgedessen die Normalisierung der israelisch-saudischen Beziehungen. Angesichts des gegenwärtigen Desasters wird man kaum umhinkönnen, darin das geringste Übel zu sehen. Doch dieser Plan setzt voraus, dass die Amerikaner und die Saudis den Gründen für das Scheitern des Oslo-Friedensprozesses auf den Grund gehen, da es Ehud Barak und Yassir Arafat ja in Camp David nicht gelungen ist, eine Einigung zu erzielen, der amerikanische Plan jedoch eben gerade darin besteht, die PLO wieder aufzurichten, um eine Verhandlungslösung mit einem zweiten Barak, zum Beispiel in Gestalt von Benny Gantz, zu erzielen.

Den Gründen für das Scheitern in Camp David auf den Grund zu gehen, ist nun aber alles andere als ein leichtes Unterfangen … Stolperte man über die ter­ritoriale Frage? Fehlte das Vertrauen? Oder lag es an der symbolischen Dimension?

Wie dem auch sei, es ist illusorisch, das gegenwärtige Desaster einzig im Rahmen einer lokalen Perspektive analysieren zu wollen. Denn der seit ­mindestens 30 Jahren zu beobachtende Machtzuwachs des israelisch-palästinensischen Faschismus ist nicht nur ein lokales Phänomen, sondern vielmehr der lokale Ausdruck eines regionalen und internationalen Phänomens.

Zusammenbruch der sozialdemokratischen Parteien Resultat einer neoliberalen Offensive

Nehmen wir den Fall der israelischen Arbeiterpartei Avoda: Ihr Zusammenbruch hängt unmittelbar mit dem Scheitern des Oslo-Friedensprozesses zusammen. Aber er ist auch die lokale Manifestation eines internationalen Phänomens, denn der Zusammenbruch der sozialdemokratischen Parteien, von Indien bis Europa, ist das Resultat einer neoliberalen Offensive, die bis in die achtziger Jahre zurückreicht. Und ein Merkmal dieses Neoliberalismus ist, sich bei Bedarf bereitwillig mit ideologischen Bewegungen zu verbinden, die mit dem Faschismus mindestens liebäugeln, da identitärer Narzissmus nur allzu gerne mit einem ganzen Arsenal repressiver Maßnahmen in ­sozialen Fragen daherkommt. In Frankreich bezeugen das die Zugeständnisse des »Macronismus« an die rechtsextreme Partei Rassemblement national, in Indien die sowohl neoliberale als auch identitäre Politik von Premierminister Narendra Modi.

Freilich ist die Entfesselung der Gewalt im israelisch-palästinensischen Fall nicht mit der wesentlich gedämpfteren Gewalt der liberal-faschistischen Offensive in Indien oder Frankreich vergleichbar. Doch die Ursache dieser Differenz ist nicht, wie es ein sich als »links« bezeichnender Antizionismus glauben will, der Staat Israel, der intrinsisch faschistisch sei, weil er einen Staatsapparat mit dem Signifikanten »jüdisch« in einer Welt verbindet, in der eine solche Verknüpfung nur für die Signifikanten »muslimisch« oder »christlich« legitim sei. Sondern die Ursache ist vor allem regional, insofern der Nahe Osten die Region auf der Welt ist, in der die politischen Organisationen, die die Macht, das Geld und die Waffen besitzen, auf die drastischste Weise faschistoid, identitär und feudal sind. »Saud« ist keineswegs der Name einer Ethnie, sondern der einer Familie. Und Katar, wo die politischen Anführer der Hamas im Exil leben, ist der krasseste aller Sklavenhalterstaaten auf der Welt.

Der Aufstieg der Hamas zur Macht erklärt sich also nicht nur mit dem Scheitern in Camp David, und noch weniger mit einem israelischen Machiavellismus. Es handelt sich um die lokale Manifestation eines regionalen Phänomens, denn seit Jahrzehnten lautet die politische Alternative im Nahen Osten: entweder laizistischer Faschismus der Marke Ba’ath (wie im Irak Saddam Husseins oder in Syrien ­unter der Assad-Dynastie, Anm. d. Red.) oder religiöser (und ebenso faschis­toider) Fundamentalismus der Marken Hamas, Hizbollah, Ayatollah oder Erdölmonarchie. Und so gesehen ist der israelische Faschismus zunächst der Effekt einer mimetischen Logik: Die Entwicklung der politischen Kräfte in Israel zeugt von einem wachsenden Konformismus, insofern diese Kräfte dazu tendieren, sich eben jenen Kräften anzugleichen, die ihnen historisch betrachtet antagonistisch (gewesen) sind.

Recep Tayyip Erdoğans Türkei ist in dieser ideologischen Landschaft um eine signifikante Synthese bemüht: rechtsstaatliche Modernität, formale Demokratie, faschistoider und islamistischer Fundamentalismus. Kurzum: Seine Liebeserklärung an die Hamas ist die logische Folge seiner Kriegserklärung an die progressiven Kräfte in Rojava.

Der politische Realismus, will er keinen Illusionen anheimfallen, wird sich also nicht an der saudisch-amerikanischen Vision der Zukunft des Nahen Ostens orientieren können. Ihm muss es im Gegenteil darum gehen, inmitten der falschen Widersprüche, die das ­Desaster organisieren, einen wahren Widerspruch freizulegen.

Die einzig angemessene Antwort kann nur eine radikale Alterität zum Faschismus sein, und für den Augenblick sind es die populären Aufstände im Iran, die für diese Alterität eine Losung gefunden haben: »Frauen, Leben, Freiheit!«

Ob israelischer, palästinensischer, türkischer, syrischer, saudischer, katarischer oder iranischer Faschismus: Sie beruhen mehr oder minder auf ein und derselben Sichtweise, auf ein und derselben Parole: »Männlichkeit, Tod, Knechtschaft«. Demgegenüber kann es nur einen politischen Realismus geben: den der populären Kräfte, die seit dem sogenannten Arabischen Frühling in der gesamten Region die Macht der faschistischen Regime herausgefordert haben. Selbstverständlich ließ die Antwort dieser Regime nie lange auf sich warten. Sie versuchten sofort, die progressiven populären Aufstände niederzuschlagen. Die Achse Iran–Syrien–Hizbollah und die Erdölmonarchien ­haben ihre Kräfte – und ihr Geld – gebündelt, um jeglichen Arabischen Frühling zu unterdrücken oder zu unterwandern.

Darum ist das Desaster, das sich gerade in der Region ereignet – angefangen mit dem Bürgerkrieg in Syrien über das Chaos im Irak, im Jemen, in Libyen, im Sudan und so weiter und dem faschistoiden Geldsegen der Erdölmonarchien bis zur gegenwärtigen Zerstörung im Gaza-Streifen –, in letzter Analyse nichts anderes als eine blindwütige Entfesselung nackter Gewalt, deren einziger rationaler Zweck es ist, alle politischen und sozialen Kräfte – von Kairo über Tel Aviv, Ramallah, Beirut, Damaskus, Bagdad, Istanbul und so weiter bis nach Teheran – zum Schweigen zu bringen, die sich in dieser Losung erkennen: »Frauen, Leben, Freiheit«.

Der Sieg der Hamas ist besiegelt im Schlachtruf: »Abu Obaida, wir sind alle deine Männer!« Der politische, strategische und moralische Fehler Israels ist, sich mit seiner Antwort zum Echo dieses Schlachtrufs zu machen, indem es sich der Macht der faschistischen Logik eines Ben-Gvir unterstellt und nach einem israelisch-saudischen Bündnis strebt, das den intimen Verbindungen zwischen Hamas und Katar nacheifert. Die einzig angemessene Antwort aber kann nur eine radikale Alterität zum Faschismus sein, und für den Augenblick sind es die populären Aufstände im Iran, die für diese Alterität eine Losung gefunden haben: »Frauen, Leben, Freiheit!« Angesichts des Stands der Dinge glaube ich, dass Anlass zur Hoffnung in Israel-Palästina und darüber ­hinaus aus dem Iran kommen wird.

Übersetzung aus dem Französischen: Tim Trzaskalik

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Ivan Segré ist Talmudist und Philosoph. Der französisch-israelische Autor lebt in Frankreich und in Israel.