Über zentrale Eckpfeiler und nachhaltige Leitplanken

Säulen im Sermon

Sprachkolumne. Die Wunder der Spracharchitektur.
Das letzte Wort Von

Wasser hat keine Balken, Luft erst recht nicht. Man sollte meinen, das sei jedem bekannt, der schon mal hingefallen ist. Doch wo die materielle Welt selber als bloßer Sprechakt angesehen wird, lässt sich offenbar auch das Gesetz der Schwerkraft ohne technischen Aufwand außer Kraft setzen. Frische Luft nämlich mag keinen Halt bieten, die sprichwörtliche heiße Luft hingegen schon.

Wo die materielle Welt selber als bloßer Sprechakt angesehen wird, lässt sich auch das Gesetz der Schwerkraft ohne technischen Aufwand außer Kraft setzen.

Jedenfalls fällt auf, dass, je mehr gesellschaftliche und auch ganz individuelle Missstände durch wertschätzendes Sprechen aus der Welt geschafft werden sollen, desto mehr Metaphern aus dem Baubereich im wohlmeinenden Sermon auftauchen. Welches Strategiepapier von der Sorte, die mehr verschweigt, als sie benennt, kommt heute noch ohne Säulen und Eckpfeiler aus?

Und wenn es ganz schlimm zugeht, brauchen Aussagen, deren Inhalt allzu deutlich gegen null geht, auch noch zentrale Eckpfeiler – ein Wunder der Spracharchitektur, das nicht nur der Schwerkraft ein Schnippchen schlägt, sondern schnell auch noch dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten, der auf diesen Fall angewendet besagen würde: Ein Pfeiler kann in der Ecke oder in der Mitte stehen, aber nicht beides zugleich.

Oder doch? Kurz gegoogelt, und man sieht, dass das unter anderem Germanwatch, Greenpeace und Oxfam behaupten, Organisationen also, die ihr moralisches Gewicht ja auch besonders stützen müssen.

Wem beim Hangeln von Pfeiler zu Pfeiler denn doch ein wenig schwindelig zu werden droht, dem bietet die Metaphorik des Soliden ebenfalls ein helfendes Wort: die Leitplanke. Dem Verkehrsteilnehmer wohlbekannt, verheißt sie auch dem Salbadernden Schutz davor, aus den luftigen Höhen des Nichtssagenden abzustürzen. So tönt die »Leitplanke Nachhaltigkeit« der Frankfurt University of Applied Sciences unter anderem: »Gelebte Nachhaltigkeit ist zentraler Fokus unseres Handelns.« Wer jetzt anfängt zu grübeln, ob es auch einen dezentralen Fokus geben kann, der hat sich nicht richtig an der Leitplanke festgehalten.