Nach Hause

Es gibt eine Menge Dinge, die ich überhaupt nicht leiden, aber dummerweise nicht vermeiden kann, wie beispielsweise einen Besuch beim Zahnarzt. Mein Zahnarzt ist Anthroposoph und Eklektiker und glaubt mich mit ausführlichen Beschreibungen über das Wirken und Weben von Kristallen und Halbedelsteinen und deren Strahlungsenergien oder was weiß ich unterhalten zu müssen. Ich habe dann gerade eine scheußlich schmeckende rosa Masse im Mund und kann zum Glück nichts dazu sagen. Meistens gebe ich dann pantomimisch vor, daß ich mächtig interessiert sei an den neuesten Ausgaben der Frauenzeitschriften, die seine Hilfskraft mir in den Schoß legt. Da komme ich aber vom Regen in die Traufe, denn nach der Lektüre nur eines einzigen dieser Machwerke umwabert mich eine eigenartige Dumpf- und Blödheitswolke, und ich gewinne den Eindruck, mein Kopf sei eine Scheibe. Das Jahreshoroskop! Die neuen Herbstfarben! - Das soll dann alles gewesen sein? Nein. Es fehlen noch die aktuelle Diätformel, Szenetreff, Gardasee und 66 Haartricks. Ganz zu schweigen von den "Hosenanzügen für jede Figur". Dabei weiß doch jeder, daß die Evolution Figuren für Hosenanzüge gar nicht vorgesehen hat. Hat uns das Leben hienieden wirklich und wahrhaftig nichts anderes zu bieten? Offenbar nicht. Ich möchte tot sein! Oder wenigstens möchte ich nach Hause!

Da wäre ich auch besser geblieben, als zu einer Ausstellung von Heino Jaeger zu gehen (nichts gegen Heino Jaeger, von dem an einem anderen Tag noch die Rede sein soll). Da kreuzte nämlich neben einigen durchaus anständigen Leuten die Vernissage-Mafia auf. Yuppies mit genetisch programmiertem Erfolgsgrinsen, uralte Spiegel-Redakteure und jede Menge "Anlagebetrüger" (Susanne F.). Samt den dazugehörenden Schnepfen mit für den Zustand ihrer Knie zu kurzen Röcken. Heino Jaeger hätte denen vor die Füße gekackt. Mir natürlich auch.

Ich möchte auch immer nach Hause, wenn ich eigentlich Lesungen zu absolvieren habe. Kürzlich war ich wieder unterwegs in meiner alten Heimat und Tante Lotti hatte ihr Nichterscheinen fest zugesagt, weil Onkel Edgar vor einem halben Jahr "an Prostata" gestorben ist. Sie kam aber doch, und ich mußte ad hoc alle Stellen aus meinen Geschichten rausnehmen, wo von Krebs die Rede ist. Anstrengend! Bei solchen Gelegenheiten merkt man übrigens erst, daß man selbst auch gar nicht so geschmackvoll ist, wie man immer angenommen hat.