Frank Witzel legt eine Literatur­geschichte übersehener und vergessener ­Autoren vor

Von wegen Ruhm

Verkannt statt bekannt. Der Schriftsteller Frank Witzel legt mit »Meine Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts« ein Buch vor, das vor allem durch seine eigenwillige Per­spektive auf das Schreiben überzeugt.
Buchkritik Von

Auch die Literatur ist Teil der Aufmerksamkeitsökonomie, Autoren suchen das Scheinwerferlicht der Preisverleihungen, Lese-Events, Buchmessen; wollen beachtet, gelesen und erinnert werden. Dabei, so wendet der Schriftsteller Frank Witzel in seinem Buch »Meine Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts« ein, ist das Vergessen-, Verkannt- und Übersehenwerden eigentlich die Normalität in der Literatur.

Das Buch basiert auf einem in der Zeitschrift Schreibheft erschienenen, vielbeachteten Aufsatz. Witzels Hommage an das Scheitern traf einen Nerv in einer Zeit, in der Erfolg sowie »Sichtbarkeit« literarische Maßgaben ersetzen.

Von der Resonanz ermutigt, setzte Witzel seine Wühlarbeit in Archiven, Antiquariaten und Bücherkisten fort, um aus dem Aufsatz ein ganzes Buch zu machen – wohl auch, weil ihm selbst das das Schicksal des Vergessenwerdens drohte. Sein gefeierter Roman »Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969« liegt schließlich neun Jahre zurück.

Eine Autorin widmet sich ausschließlich dem gewaltsamen Sterben von Schriftstellern durch Autounfälle.

In die Buchfassung wurden neben Einträgen zu verschollenen und vergessenen Autoren auch literarische Parodien und Harlekinaden sowie Personen aufgenommen, deren Schreibtätigkeit als reines Hobby oder private Obsession ins Leere gelaufen ist. Da sind zum Beispiel die posthum entdeckten Aufzeichnungen eines Architekten, der sämtliche Bücher von Arthur Conan ­Doyles »Sherlock Holmes« nach architektonischen Motiven durchkämmt hat. Eine Autorin widmet sich ausschließlich dem gewaltsamen Sterben von Schriftstellern durch Autounfälle, ein anderer Autor schreibt nur über Eisenbahnen.

Das Sammelsurium aus namhaft Vergessenen und völlig Unbekannten, fiktionaler und Sachliteratur macht das Buch unübersichtlich, aber auf methodische Strenge ist das tastende, spekulative Schreiben Witzels ohnehin nicht an­gelegt. Seine eigenwillige Literatur­geschichte überzeugt vor allem durch die grundsympathische Per­spektive.

Frank Witzel: Meine Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Matthes und Seitz, Berlin 2024, 229 Seiten, 24 Euro