Algerrassic Park

Hocharabisch ist jetzt in Algerien vorgeschrieben - die Bürger aber sprechen eine andere Sprache

Der Sänger Lounès Matoub war eine Symbolfigur der Kabylei, der berberischen Region Algeriens. Sein neuestes Album, das in Algerien bereits auf dem Markt ist und diese Woche auch in Frankreich erscheinen wird, nimmt auf dem Cover vollbärtige Islamisten und schnauzbärtige Militärs gleichermaßen aufs Korn: Sie stehen nebeneinander vor einer blutigen algerischen Fahne und einem Schild mit der Aufschrift "Algerrassic Park".

Zur Ermordung Matoubs (Jungle World, Nr. 27/98) bekannte sich Mitte letzter Woche eine Fraktion der zersplitterten GIA (Bewaffnete Islamische Gruppen), die von dem in der Region bekannten Befehlshaber Emir Hassan Hattab geführt wird. Dies geht aus einem in London veröffentlichten Kommuniqué hervor. In der britischen Hauptstadt haben die meisten islamistischen Terrorgruppen einen Sitz und veröffentlichen - ganz legal - ihre Bulletins.

In der Kabylei mischten sich nach der Emordung des Sängers Spontandemonstrationen mit Protesten gegen das Gesetz über die "Arabisierung" von Verwaltung, Medien und Bildungswesen, das am letzten Sonntag in Kraft trat. Zu besonders heftigen Auseinandersetzungen kam es in der kabylischen Regionalmetropole Tizi-Ouzou, die etwa 150 000 Einwohner zählt. Das Gesetz war im Dezember 1996 vom algerischen Parlament verabschiedet worden, sein Inkrafttreten wurde auf den diesjährigen Nationalfeiertag festgelegt - den Jahrestag der Unabhängigkeit von Frankreich, die nach achtjährigem Kolonialkrieg am 5. Juli 1962 ausgerufen wurde.

Das Gesetz ist keineswegs der erste Anlauf zur Arabisierung der öffentlichen Sphäre im größten Land des Maghreb: Seit der Unabhängigkeit gab es bereits mehrere Kampagnen, das klassische Hocharabisch zur offiziellen Sprache zu machen. Die Ernennung des Arabischen zur alleinigen Amts- und Unterrichtssprache wurde schon 1990 vom Parlament beschlossen, das damals von der seit 1962 regierenden Einheitspartei FLN (Nationale Befreiungsfront) beherrscht wurde. Etwa eine halbe Million Menschen demonstrierten damals in Algier gegen das Gesetz.

Die Arabisierungspolitik sieht sich einerseits mit der kabylischen Minderheit konfrontiert, die etwa ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung Algeriens ausmacht. Ohnehin drücken sich die meisten Menschen in einer Sprache aus, die mit der Schriftsprache wenig zu tun hat. Diese hat sich seit dem 10. Jahrhundert nicht weiterentwickelt, während sich die in den verschiedenen arabischen Ländern gesprochenen Dialekte zum Teil weit davon entfernt haben - auf der arabischen Halbinsel weniger, in Algerien sehr deutlich. Dem klassischen Arabisch kommt aber eine große Bedeutung zu, weil es die Sprache des Koran und somit verbindendes Element aller Muslime ist.

Insofern waren die Experimente zur Einführung des Hocharabischen nach 1962 immer auch ein Versuch, eine "nationale Identität" und eine Legitimationsgrundlage für den unabhängigen algerischen Staat zu konstruieren, dessen neue militärische und staatsbürokratische Elite aus den Strukturen der bewaffneten nationalen Befreiungsbewegung FLN stammte.

Im Wirtschafts- und in großen Teilen des Arbeitslebens findet das Hocharabische allerdings kaum Verwendung, denn in der Ökonomie dominierte auch nach der Unabhängigkeit weitgehend die französische Sprache. Die Kontinuität ökonomischer Bindungen an die frühere Metropole spielt dabei eine wichtige Rolle, außerdem erleichtert die französische Sprache den internationalen Austausch - nicht nur mit dem Westen, sondern auch mit großen Teilen Afrikas.

Für das hochverschuldete Algerien wäre es zu teuer, dies zu ändern, für die Abfassung aller Telefonrechnungen in Arabisch müßten beispielsweise zahlreiche Computerprogramme geändert werden. Post und Telefondienste umgehen daher das Gesetz, indem sie nur den Briefkopf in Arabisch verfassen, den Rechnungsinhalt jedoch weiterhin französisch formulieren. Die Universitäten sind hingegen seit Mitte der siebziger Jahre komplett arabisiert. Hochschulabgänger, ob angehende Ingenieure oder Theologiestudenten, werden in Hocharabisch ausgebildet.

Schon 1979 instrumentalisierte der nationalistischen Flügel der Einheitspartei FLN einen mehrwöchigen Studentenstreik in Algier für eine allgemeine Arabisierungspropaganda, die die Sorgen der "arabisierten" Studenten um ihre Berufsperspektive mit einem Identitätsdiskurs verknüpfte. Aus dem studentischen Milieu rekrutierten sich auch die frühen Kader des islamischen Fundamentalismus. Dessen Grundlage war, die soziale Situation und das "Identitätsproblem" erfolgsträchtig miteinander zu vermengen und die Mischung als Waffe gegen die herrschenden Eliten zu wenden.

Teile der Eliten reagierten ihrerseits mit einem identitären, national-religiösen Kurs, um so in einen Wettlauf mit der neuen oppositionellen Bewegung zu treten. 1984 verabschiedete die FLN-Elite ein Familiengesetz, das Frauen entmündigte, und 1986 forderte bereits ein Drittel der Delegierten eines FLN-Kongresses die Einführung der Scharia, des islamischen Strafgesetzes.

Durch die seit 1992/94 zugespitzte innenpolitische Krise spaltete sich der "politische Islam" in mehrere unterschiedliche Ansätze auf. Auf der einen Seite das GIA-Umfeld, das einen bewaffneten Kampf gegen die - des Verrats an der "Identität" bezichtigten - Eliten und die sich ihrem ideologischen Diktat nicht beugende Bevölkerung führt. Auf der anderen Seite strebt der legale Islamismus, vertreten durch die frühere Hamas (die jetzt MSP, Bewegung für eine Gesellschaft des Friedens, heißt), die Integration in das bestehende Militärregime an.

Seine strategischen Ziele decken sich dabei weitgehend mit jener der arabo-islamischen Fraktion der Armee, und so ist Hamas/MSP derzeit mit mehreren Ministern in der Regierung vertreten. Die Bewegung Hamas/ MSP ist derzeit die treibende Kraft in Sachen Arabisierungspolitik.

In der letzten Woche versuchten zwei algerische Oppositionsparteien, die landesweit vertreten sind, ihren Schwerpunkt aber als kabylische Regionalparteien haben, die in der Kabylei ausgebrochenen Proteste in die Hauptstadt Algier zu tragen. Es handelt sich um zwei in ihrer Orientierung ausgesprochen gegensätzliche Parteien: den links-republikanischen, laizistischen und pro-französischen RCD (Sammlung für Kultur und Demokratie) und den mit der Sozialdemokratischen Internationale verbundenen FFS (Front der sozialistischen Kräfte), der für einen Kompromiß mit den illegalisierten islamischen Fundamentalisten eintritt.

Verhinderten am Dienstag vergangener Woche massive Polizeikräfte einen Demonstrationsversuch des FFS, folgten zwei Tage später über 10 000 Menschen einem Aufruf des RCD, während der FFS für den vergangenen Sonntag erneut mobilisierte. Sollte das Inkrafttreten des Arabisierungsgesetzes verschoben werden, wollen die Islamisten der Hamas / MSP auf die Straße gehen.