Guerillas in der Bischofsstadt

Zwischen der kolumbianischen Guerilla ELN und Vertretern aus der Gesellschaft sollen Gespräche stattfinden - bei Mainz

Die Nachricht schlug in der kolumbianischen Öffentlichkeit ein wie eine Bombe: In der vergangenen Woche verständigten sich die Guerillaorganisation ELN und Vertreter des Nationalen Friedensrates CNP auf ein Vier-Punkte-Abkommen zu Friedensgesprächen.

Schon im März war in Spanien ein Vorabkommen zwischen ELN und Regierung unterzeichnet worden, das jedoch wenig später ausgesetzt wurde, weil die Samper-Administration versucht hatte, es für ihren Wahlkampf zu instrumentalisieren. Die Friedensverhandlungen blieben dennoch das bestimmende Thema des Präsidentenwahlkampfs. So setzte sich der Konservative Andrés Pastrana im Juni vor allem deswegen durch, weil er unkonventionelle Wege in der Verhandlungsfrage ankündigte. Zur allgemeinen Überraschung bat Pastrana die FARC-Guerilla um ein Treffen im Dschungel. Kurz vor den Wahlen empfing Kommmandant Marulanda den Pastrana-Berater Victor Ricardo und erklärte, daß mit den Konservativen Verhandlungen leichter seien als mit dem liberalen Kandidaten Ernesto Serpa - offensichtlich eine späte Rache am Ex-Innenminister, der 1992 die Verhandlungen in Mexiko hatte platzen lassen.

Sicher nicht ohne Billigung von Präsident Pastrana, dennoch formal unabhängig von dessen Regierung, vereinbarte die Vermittlungskommission CNP ein Treffen zwischen 30 bis 35 Personen des öffentlichen Lebens mit vier Repräsentanten des ELN-Zentralkommandos in der Nähe von Mainz. Der genaue Ort wird aus Sicherheitsgründen noch geheimgehalten - zumindest in Deutschland. Der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Rudolf Hammerschmidt, erklärte auf Anfrage, seine Stelle werde "keine Öffentlichkeits-, sondern Öffentlichkeitsverhinderungsarbeit leisten".

So blieb es dem Vertreter der ELN, Pablo Beltr‡n, überlassen, die kolumbianische Presse zu informieren. Er erklärte, daß es bei den für den 12. Juli geplanten Gesprächen vor allem um konkrete Aktionen zur Humanisierung des Konflikts gehen werde. Desweiteren wolle man - wie es im knapp gehaltenen Vier-Punkte-Dokument heißt - "auf eine Führung mit starken sozialen, auf Ethik, Respekt und friedlichen Dialog zwischen den Kolumbianern aufbauenden Inhalt" hinarbeiten.

In der kryptischen Formulierung steckt einiger Sprengstoff. Mit keinem Wort wird nämlich - wie bisher bei Friedensprozessen - die Demobilisierung der Guerilla oder auch nur ein Waffenstillstand angesprochen. Statt dessen stehen gesellschaftliche Fragen auf der Tagesordnung. Damit wird zum ersten Mal öffentlich anerkannt, daß der bewaffnete Kampf nicht Ursache, sondern Folge des sozialen Konflikts in Kolumbien ist.

Alejo Vargas, Vize-Direktor der Nationaluniversität von Bogot‡, unterstrich, daß sich der geplante Dialog von anderen Verhandlungprozessen deutlich unterscheide. Erstens repräsentiere der Nationale Friedensrat CNP nicht die Regierung. Zweitens garantiere die internationale Vermittlung eine Kontrolle der Gespräche, wobei die Teilnahme von EU und deutscher Regierung ein Gegengewicht zum unvermeidlichen Einfluß der USA darstelle. Der größte Unterschied zu bisherigen Verhandlungen in Kolumbien oder Zentralamerika bestehe jedoch darin, daß es sich nicht um bilaterale Verhandlungen, sondern um eine Art "nationalen Dialog" handele, der alle gesellschaftlichen Sektoren einschließe. Dies stimme, so Vargas weiter, mit der Forderung der ELN nach einer "Nationalkonvention" überein.

Tatsächlich fordern die Guerillas schon seit Jahren die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung, in der auch die Grundlagen der Sozial- und Wirtschaftspolitik neu bestimmt werden müßten. 1996 hatte die ELN angesichts des Prestigeverlustes der Samper-Regierung den Vorschlag modifiziert und zu einer "Nationalkonvention" aufgerufen, in der sich alle Sektoren jenseits der politischen Elite zusammensetzen sollten. Das Treffen am 12. Juli ist offensichtlich von beiden Seiten als erster Schritt zu einer solchen Konvention gedacht, an der die Regierung Pastrana zwar beteiligt wäre, aber keine zentrale Rolle spielen würde.

Bisher sind die verschiedenen Verhandlungsmodelle von FARC und ELN also eindeutige Erfolge für die Guerillaorganisationen, die seit Ende der achtziger Jahre stark unter der politischen Isolation gelitten haben. Beide Gruppierungen sind zwar seit 1990 quantitativ gewachsen, aber der schmutzige Krieg gegen die soziale Opposition im Land hat den Konflikt auf eine militärische Konfrontation reduziert. Eine politische Öffentlichkeit existiert in Kolumbien wegen des paramilitärischen Terrors kaum noch. Ein gesellschaftlicher Dialog, in dem soziale Veränderungen debattiert werden können, wäre daher das Beste, was der Opposition im Moment passieren könnte.

Insofern ist es erstaunlich, daß die politische Elite die Verhandlungen in der jetzt vorgeschlagenen Form gutheißt. Zwar erklärte Präsident Pastrana in einem Interview mit der Tageszeitung El Espectador, daß er "der Guerilla weder Territorium noch Staatsmacht zugestehen" werde und eine eventuelle Demilitarisierung von einigen Munizipien nur dazu da sei, "die Sicherheit der Guerilleros zu garantieren". Aber allein die Tatsache, daß Pastrana sich derart um Gespräche bemüht, wertet die Guerilla politisch auf.

Hinter dieser Neubestimmung stehen internationale Interessen. Unmittelbar nach der Wahl Pastranas bekundeten US-Präsident William Clinton, der französische Präsident Jacques Chirac und Großbritanniens Regierungschef Tony Blair unabhängig voneinander ihre Unterstützung für einen Friedensprozeß, und das US-Außenministerium drängte offen auf Verhandlungen.

In den letzten Monaten wurde wiederholt darauf hingewiesen, daß das strategisch wichtige und an Bodenschätzen reiche Kolumbien trotz Bürgerkrieg das stabilste Wirtschaftswachstum in Lateinamerika aufweise und deswegen für Anleger interessant sei. Nach Schätzungen unabhängiger Wirtschaftsinstitute könnte das Wachstum nach Beendigung des Konflikts noch zwei Prozent höher liegen. Außerdem betonen die selbsternannten Anti-Drogen-Kämpfer des US-Senats, daß die Koka-Produktion solange nicht unter Kontrolle zu bekommen ist, wie das Land in Einflußzonen aufgeteilt ist.

Bei den Briten ist das Interesse noch deutlicher. Im Osten Kolumbiens befindet sich eine der größten Erdölregionen des amerikanischen Kontinents, die vor allem von der BP ausgebeutet wird. Durch die Anschläge der ELN wird der Export oft wochenlang unterbrochen, und genau solche Investitionsrisiken wollen die Großanleger jetzt beseitigen.

Ob die beiden parallel anvisierten Verhandlungsrunden mit FARC und ELN den Bürgerkrieg beenden können, ist dennoch mehr als zweifelhaft. Die kolumbianische Oligarchie hat sich immer als kompromißfeindlich erwiesen. Landkonflikte münden in Massaker, Gewerkschafter werden ermordet, Tausende Oppositionelle sind jährlich Opfer des schmutzigen Kriegs.

Die Guerilla weiß, was sie zu erwarten hat. Alle drei großen Demobilisierungswellen seit den fünfziger Jahren endeten damit, daß der soziale Status Quo unangetastet blieb und viele der in die Legalität zurückgekehrten Rebellen ermordet wurden. Beide Organisationen weigern sich daher, über Demobilisierungen auch nur zu diskutieren, solange sich die sozialen und politischen Bedingungen nicht grundlegend verändert haben.

Wirkliche Transformationen wiederum wird die herrschende Klasse kaum zulassen. Die geforderte Säuberung der Armee gilt als unmöglich. Wenn dazu nun auch noch eine grundlegende Landreform ins Gespräch gebracht wird, die die Macht der Großgrundbesitzer und Paramilitärs in Frage stellen würde, ist ein offener Konflikt unvermeidlich. Der Universitäts-Rektor Vargas vermutet, daß "wir wahrscheinlich mit vier Jahren verschärften Krieges zu rechnen haben, wenn in den ersten sechs Monaten der Pastrana-Regierung nichts Konkretes herauskommt".So ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis der Dialogprozeß von rechts sabotiert werden wird.