Pervers in Peking

Gibt es ihn noch - den verständnisvollen Schwulenfilm? Ja, Regisseur Zhang Yuan zeigt ihn uns mit "East Palace, West Palace"

Ohne Klischees geht es im Leben nicht, und im Film schon zweimal nicht. Klischees helfen verstehen. Warum macht wer was? Warum macht wer was so, und warum nicht anders?

Damit nicht viel erklärt werden muß, damit man sozusagen im Vorbeigehen kapiert, staffieren Filmemacher ihre Figuren mit Ticks und Verhaltensweisen aus, die Fragen beantworten, noch bevor man sie gestellt hat. Man sieht etwas, ordnet es ein und denkt nicht einmal: "Aha!", weil alles so selbstverständlich ist. Besonders selbstverständlich sind zum Beispiel Klischees über Schwule. Filme über Schwule können daher nicht ohne sie auskommen. Auf keinen Fall. Schließlich ist man immer aus Gründen schwul und niemals einfach so. Das würde nämlich niemand verstehen, das würden die Zuschauer nicht gutheißen, weil: Das ist ja nicht normal. Selbst wenn man das mit dem Schwulsein eigentlich toleriert. So wie Zhang Yuan.

Der wollte nämlich einen freundlichen Film über einen Schwulen machen und griff deshalb zu den freundlichen Klischees. Sein Held A-Lan ist daher intelligent, empfindsam und kreativ. Genauer: Er schreibt Prosa. Und wenn er mal keine Prosa schreibt, dann wird er von seinem Regisseur aufs öffentliche Klo in einem Pekinger Park geschickt, und das, obwohl er gar nicht muß. Dort trifft er sich dann mit anderen Männern, die auch nicht müssen. Gemeinsam lassen sie in unkeuscher Absicht die Hosen runter. Weil man das nicht tut und Gefahr im Verzug ist, läßt die Polizei nicht lange auf sich warten.

Denn das mit dem Schwulsein ist in China sowas von verboten, daß es nicht einmal Gesetze dagegen gibt. Undenkbar verboten. Und das ist eine komische Situation. Denn der Polizei bleibt nichts anderes übrig, als mit mobilen Eingreiftruppen der drohenden Unzucht Einhalt zu gebieten, durch den Park zu huschen und auf dem Klo störend Schmiere zu stehen. Da kommt man dann auf Gedanken. Wie das wohl so ist mit den Schwulen? Warum die das wohl tun? Weil, das ist ja voll eklig. Und total verboten. Sogar so verboten, daß nicht mal Gesetze dagegen existieren. Und wir deswegen hier Schmiere stehen müssen, als mobile Eingreiftruppe. Voll eklig. Aber irgendwie auch ... interessant.

Sowas denkt die Polizei. Und sowas denken auch die Zuschauer, und schon hat der Film sein Thema weg, eine Perspektive nämlich, denn die Fragen wollen beantwortet werden. Deshalb darf der Polizist stellvertretend für die Zuschauer den schwulen Prosa-Schriftsteller eines Tages mitnehmen, in Handschellen versteht sich, weil er ist ja Polizist, und ihn gründlich ausfragen.

"Ist ja voll eklig, was du da machst. Sag mal, warum machst'n sowas?" Was in Anbetracht des künstlerischen Anspruchs des Films nichts anderes meint als: "Wie wurdest du das, was du bist? Komm, erzähl es uns? Wir haben Zeit für dich mitgebracht. Wir interessieren uns für dich. Wir zeigen Verständnis. Wir haben vor lauter Verständnis sogar Eintritt bezahlt." Denn der rüde Tonfall eines Polizisten ist dem Zuschauer eines anspruchsvollen Films ganz fremd.

Und so muß der junge schwule Prosa-Schriftsteller erzählen. Von der Kindheit, von dem innigen Verhältnis zur Mutter, von dem Mädchen in der Schule, das man Bus nannte, weil alle auf es rauf durften - eine Außenseiterin, so wie er. Vom ersten Mal, den Malen danach, von Enttäuschungen, Sehnsüchten und unerfüllten Lieben. Ja, die Schwulen haben es nicht leicht, denken sich die Zuschauer, ein Leben ohne Würde und dann noch das öffentliche Klo, wo es stinkt und voll eklig ist.

Und das denkt auch der Polizist und entwickelt sachtes Mitgefühl. Und der schwule junge Prosa-Schriftsteller denkt: "Da zeigt einer Interesse. Da kümmert sich einer um mich. Der Polizist hält mich gefangen, also will er mich." Und während noch Genet-Motive durch die Kulisse hupen, flüstert er dem Polizisten ins Ohr: "Die Verurteilte liebt ihren Henker. Die Gefangene liebt ihren Wächter. Und wir ... lieben euch." Wir, die Schwulen Pekings, die Schwulen ganz Rot-Chinas gewissermaßen, weil sich nämlich sonst niemand um uns kümmert? Nicht mal die Gesetze nicht? Nur die Polizei als ewiger Störfaktor? Weil ihre Ausdauer als mobile Eingreiftruppe soviel attraktiver ist als irgendein ekliger Sex auf irgendeinem stinkenden Klo irgendwo in einem Park im Herzen Pekings? Weil das eine nämlich oberflächlich ist und vergänglich, die interessierte Abscheu aber tief empfunden und von Dauer?

Das ist jedenfalls der logische Schluß. Das mit dem Schwulsein ist also ein Ausdruck von Selbsthaß, der fehlgeleitete Wunsch nach Erniedrigung quasi. "Ich laß' dich gehen, aber du bist krank", sagt der Polizist. "Bin ich nicht", sagt der junge schwule Prosa-Schriftsteller. Und der Zuschauer denkt: "Irgendwie doch." Und weil Regisseur Zhang Yuan den jungen Prosa-Schriftsteller als exemplarischen Schwulen eingeführt hat und den Polizisten als Stellvertreter des Publikums, sagt der Film letztgültig: Das mit dem Schwulsein ist voll krank und total eklig irgendwie. Aber wir, die heterosexuelle Mehrheit, sollten Verständnis zeigen. Wir sollten uns in Toleranz üben. Das sagt der Film, und deshalb ist der Film Bockmist. Auch wenn der Film nicht langweilig und dabei hübsch inszeniert ist.

"East Palace, West Palace". China 1996, Regie: Zhang Yuan, Darsteller: Si Han, Hu Jun, Start: 9. Juli