Visionen ohne Keynes

Das DIW hat einen neuen Präsidenten: Klaus Zimmermann soll das einzige nachfrageorientierte Wirtschaftsinstitut den Anforderungen im Bündnis für Arbeit anpassen

Für das nächste Jahr hat sich Klaus F. Zimmermann viel vorgenommen: Er will die Präsidentschaft des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin übernehmen, seinen Lehrstuhl in Bonn behalten und möglicherweise sogar noch einen zweiten in Berlin besetzen. Nebenher hält der Ökonom noch den Posten an seinem Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA), das ihm die Deutsche Post finanziert. Überlastung fürchtet Prof. Zimmermann nicht: "Ein Präsident muß Visionen entwickeln, sie im Institut durchsetzen und sich draußen für das Haus schlagen."

Kaum war vergangene Woche bekanntgeworden, daß Zimmermann im Januar 2000 die Nachfolge von Lutz Hoffmann als Chef des DIW antreten wird, ließ der Wirtschaftswissenschaftler auch schon wissen, was er unter moderner Ökonomie versteht: "Arbeitslose müssen viel stärker als bisher unter Druck gesetzt werden, sich eine Arbeit zu suchen. Wir brauchen eine Kombination aus Zwang und Förderung." Auch für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf mindestens 18 Prozent machte sich Zimmermann stark.

Nun scheint der Ärger programmiert. Denn zumindest die Basis des DIW will an der grundlegenden Ausrichtung des Instituts nichts ändern. Bisher galten die Berliner als letzte Bastion einer arbeitnehmerfreundlichen und nachfrageorientierten Politik unter den führenden deutschen Forschungsinstituten. Daß Zimmermann nach eigenen Worten an diesem "keynesianischen Profil" nichts ändern will, dürfte ihm nach seinen Einstandssätzen kaum mehr jemand abnehmen. Die Wirtschaftswoche schreibt denn auch: "Der neue Chef soll das DIW aus dem Abseits altbackener keynesianischer Ideologie herausführen." Für den Arbeitsmarktforscher ist dieser "Zwist längst überholt". Zimmermann: "Oft geht es doch nur um Schlagworte für die Öffentlichkeit."

Der Wissenschaftler hat tatsächlich Visionen: Mit seiner Hilfe soll das DIW künftig eine "Schlüsselrolle in Forschung und Politikberatung" erhalten. Und alle wollen dem 46jährigen Ökonomen helfen, der mit viel Renommee und noch mehr internationalen Beziehungen daherkommt. Sowohl im IZA als auch im DIW sollen ihm ein Vizepräsident und ein Verwaltungsdirektor zur Hand gehen. Am Geld soll's nicht scheitern. Bonn und Berlin wollen, das hat sich der Wirtschaftsforscher versprechen lassen, bei den Etats nicht knausern.

Zimmermanns Berufung gingen heftige Auseinandersetzungen voraus, weil man sich nicht zwischen zwei anderen Bewerbern hatte entscheiden können. Kandidat Prof. Axel Börsch-Supran stand für die Kapitalisierung des Rentenwesens und hatte dafür ausgeklügelte Übergangsformen entwickelt. Mit dem Instrumentarium des DIW wollte der Mannheimer Professor die Klassenstruktur dieses Landes zu einer abgestuften Gesellschaft von Vermögensbesitzern umdeuten. Gegenkandidat Prof. Gerd Wagner dagegen hätte am Umlageverfahren der Alterssicherung festgehalten. Wagner arbeitet im DIW und steht dort für die fortlaufende Betrachtung von Einkommen und Vermögen ausgewählter Haushalte. Gegen die Kapitalisierungsabsichten Börsch-Suprans führt Wagner ein schlichtes Argument an: "Heute angespartes Geldvermögen kann sich nur angemessen verzinsen, wenn dieses Kapital in Produktivkapital gewandelt werden kann." Zinsen setzen Profite voraus, und diese wiederum die Ausbeutung lebendiger Arbeit - hätte Marx übersetzt. Während sich Berlin für Börsch-Supran ausgesprochen hatte, waren die noch unter dem Einfluß Oskar Lafontaines stehenden Vertreter Bonns gegen ihn gewesen.

So kam Zimmermann genau richtig, zumal sich die deutschen Forschungsinstitute derzeit in einem Umbruch befinden. Bislang gibt das neoliberal orientierte Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) den Ton an. Dort, im Hort der Angebotsökonomie, verfügt IfW-Patriarch Herbert Glersch über die entsprechenden Beziehungen bei den Banken, den Universitäten, dem Verbandswesen und dem Währungssystem. Die Kieler orientieren sich an der Chicago-Schule, und im Beirat sitzt Martin Feldstein vom renommierten National Bureau of Economic Research in New York. Der Erfolg spricht für sich: Derzeit baut sich das IfW vom in Petersburg, Riga und Warschau verdienten Geld ein neues Gebäude an der Förde.

Nicht so gut sieht es für das konservative HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung in Hamburg aus. Dem ehemaligen Kolonialinstitut - ebenso wie dem liberal orientierten Münchner Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) - wäre die durch den Wissenschaftsrat angestrengte Evaluation fast zum Verhängnis geworden. Außer fleißig gesammelten Presseartikeln konnte die Prüfer nichts im Hause wirklich überzeugen. Erst mit der Kürzung von Etat und Personal um ein Drittel und dem Versprechen, sich einen ordentlichen Präsidenten zu suchen, ist das HWWA auf der "Blauen Liste" geblieben und damit dessen staatliche Finanzierung gesichert. Weitgehend unbeanstandet sind die Prüfungen für Essen (RWI) und Halle (IfW-Halle) ausgefallen. Ihre Funktion für industriepolitische Flurbereinigungen wurde anerkannt.

Der beiden unter Druck stehenden Institute wegen hatten sich schon Konkurrenten einen Aufstieg in die Bundesliga erhofft. So zum Beispiel das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Mit gewerkschaftlicher Hilfe war dessen wissenschaftlicher Direktor Wolfgang Franz in den Sachverständigenrat gehievt worden. Von dort versuchte er nach Kräften, die Bestrebungen des ZEW zu fördern. Dabei jedoch hat er eine doppelte Niederlage erlitten: Zunächst sind das HWWA und das ifo über die Runden gekommen und auf der Liste der staatlich geförderten Institute geblieben. Zu allem Überfluß verlor Franz auch noch seinen Sitz im Sachverständigenrat, wo er durch Jürgen Kromphardt ersetzt wurde. So ist Mannheim in Mannheim geblieben, während Finanzwissenschaftler Hans-Werner Sinn beim ifo vorgemacht hat, wie Ökonomie-Forschung zu funktionieren hat: Die wirklich spannenden Entscheidungen sind für den neu berufenen ifo-Chef beim Arbeitsmarkt und beim Sozialstaat zu erwarten. Unter Sinns Führung wurde das Münchner Institut kräftig durchgelüftet und verschlankt. Stellen gibt es nur noch mit zeitlicher Befristung. "Das sorgt für einen gewissen Blutaustausch", erklärt Geschäftsführer Meinhard Knoche.

Die Vorgaben für Zimmermann sind also eindeutig. Denn auch beim DIW wird man den Wandel unter den Forschungsinstituten zu spüren bekommen. Zudem stuft die institutionelle Gestaltung des Bündnisses für Arbeit die Bedeutung des DIW herab. Schließlich soll sich die Politik, und damit auch die von ihr beauftragte Forschung, aufs Moderieren beschränken. Die Spitze beherbergt Arbeitgeberpräsidenten, Kanzler und Minister sowie die Vorsitzenden der größten Einzelgewerkschaften inklusive der Dachverbände. Darunter befindet sich ein "steering committee", das acht Arbeitsgruppen anleitet.

In einem dieser Gremien, der sogenannte "Benchmarking"-Gruppe, wird unter Leitung des Kanzleramtsministers Bodo Hombach und der Professoren Streeck vom Kölner Max Planck Institut und Heinze von der Universität Bochum eine Systematik der Anpassung von Interessen und Vorschlägen entwickelt. Im Zentrum steht dann nicht mehr die politische Auseinandersetzung über Wachstum und Verteilung, sondern der Handel mit Interessenspaketen.

Entsprechend haben Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein neuer Minister Hans Eichel inzwischen auch das Finanzministerium von den Resten Lafontaineschen Ungeistes gereinigt. Opfer der wirtschaftspolitischen Säuberung wurden die Staatssekretäre Claus Noé und Heiner Flassbeck. Beide gerieten unter den naheliegenden Verdacht der keynesianischen Abweichung, zumal Flassbeck zuvor Abteilungsleiter beim DIW war. Nachgerückt sind Heribert Zitzelsberger von der Bayer AG und Caio Koch-Weser von der Weltbank.

Nun wird es wohl an dem Arbeitsökonomen Zimmermann liegen, das DIW diesen neuen Bedingungen anzupassen. Vorbei sind die Zeiten für Konjunkturtheorie und Makroökonomie, mit denen sich das Institut in der Nachkriegszeit einen Namen gemacht hat. Was heute für Ökonomen zählt, ist die Frage, wie man die Gesellschaft mit Anreizsystemen überziehen kann. Politik soll so organisiert werden, daß alle Kräfte eingebunden werden. Die Konsequenz? "Ein Bündnis, das nach den Regeln des korporativen Tausches konstruiert ist", schreibt IG Metall-Vorständler Otto König, "klammert Aufklärung über die Gegensätzlichkeit von Shareholder-Interessen und Emanzipation von Lohnarbeit notwendigerweise aus."