Die Bundesregierung hat das Klimaschutzgesetz aufgeweicht

Gesetze ändern, statt sie einzuhalten

Anstatt zu versuchen, die Klimaziele zukünftig einzuhalten, hat sich die Regierungskoalition nun darauf geeinigt, das das Klimaschutzgesetz aufzuweichen.

Jedes Jahr stellt der Expertenrat für Klimafragen (ERK) aufs Neue fest, dass die Bundesregierung ihre selbstgesteckten Klimaziele nicht erreicht. Am Montag vergangener Woche war es wieder so weit. Zwar seien die Emissionen insgesamt deutlich zurückgegangen, das habe aber vor allem an der schwächelnden Wirtschaft und dem milden Wetter gelegen, so der Expertenrat. In einzelnen Sektoren lagen die Emissionen deutlich über den Grenzwerten, neben dem Gebäudesektor vor allem beim Verkehr. Dort war das Limit im Jahr 2023 um 12,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent überschritten worden.

Auf die Feststellung des Expertenrats reagierte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nicht etwa zerknirscht oder gelobte gar Besserung. Vielmehr kündigte er an, dass es am Wochenende bald Fahrverbote für Autos geben könnte, wenn er tatsächlich gezwungen würde, sich an das Gesetz zu halten.

Das sorgte für reichlich Schlagzeilen. Offensichtlich wollte Wissing damit Druck auf die Koalitionspartner ausüben, damit das 2019 beschlossene Klimaschutzgesetz (KSG) aufgeweicht wird, wie es die FDP seit langem fordert – das Gesetz gibt die jährlichen Klimaziele vor. Wissing hatte Erfolg: Einen Tag nach seiner Drohung verkündeten Sprecher der regierenden Parteien, dass sie sich auf eine Änderung des KSG geeinigt haben. Zukünftig wird es für einzelne Sektoren gar keine eigenen Klimaziele mehr geben.

Das Pariser Klimaabkommen von 2015 umsetzen

Das KSG war von der Großen Koalition erlassen worden. Sie beanspruchte, damit das Pariser Klimaabkommen von 2015 umzusetzen. Das Gesetz schrieb bis 2030 jährliche Höchstgrenzen vor, und zwar jeweils für die Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft, Abfall und Sonstiges. Wurde das Limit in einem Sektor überschritten, musste das zuständige Bundesministerium innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen, um die Vorgaben wieder einzuhalten. Dadurch sollten die Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent gesenkt werden.

Von Anfang an gab es Auseinandersetzungen um das KSG. 2021 urteilte das Bundesverfassungsgericht, es sei grundgesetzwidrig, dass es für die Zeit nach 2030 noch keine ausreichenden Regelungen gebe. Kurz darauf wurde eine Novelle verabschiedet. Seitdem gilt, dass die Bundesrepublik bereits 2045 und nicht erst 2050 klimaneutral sein müsste. Die Emissionen sollten bis 2040 um 88 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden.

In vier Jahren werde man überprüfen, »ob auch die übrigen Regelungen im Klimaschutzgesetz abgeschafft werden können«, kündigte Lukas Köhler, der stellvertretende FDP- Fraktionsvorsitzende, schon mal an.

Bereits 2021 verfehlten die Sektoren Verkehr und Gebäude die Vorgaben. Die Ministerien legten Sofortprogramme vor, der Expertenrat stufte das Programm des Verkehrsministeriums als wirkungslos ein und es wurde gar nicht erst implementiert. Im folgenden Jahr, nun unter der Regierungsverantwortung der Parteien der Ampelkoalition, wurden die Vorgaben in mehreren Sektoren erneut verfehlt.

Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) forderte die Regierung auf, ein wirksames Sofortprogramm vorzulegen, um die »Klimaschutzlücke« zu schließen. Als das ausblieb, klagten der BUND und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Anfang 2023 beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg und bekamen recht: Die Regierung habe gegen das Klimagesetz verstoßen, indem sie nicht effektiv handelte.

Wie die Ergebnisse des Expertenrats für das Jahr 2023 zeigen, hat sich seit diesem Urteil wenig geändert. Neben dem Verkehrssektor übertraf der Gebäudesektor das Ziel um rund eine Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Der milde Winter und die hohen Energiepreise dürften dazu beigetragen haben, dass der Überschuss nicht noch höher ausfiel.

Anstatt zu versuchen, die Klimaziele zukünftig einzuhalten, hat sich die Regierungskoalition nun also darauf geeinigt, das Gesetz aufzuweichen. Eigene Ziele für die einzelnen Sektoren soll es nicht mehr geben. Dementsprechend werden Ministerien auch nicht mehr verpflichtet, ein Sofortprogramm vorzulegen, wenn sie Ziele verfehlen. Die zu hohen Emissionen des Autoverkehrs und des Gebäudesektors werden künftig einfach mit anderen Sektoren verrechnet.

Nichts als heiße Luft

»Wir geben dem Klimaschutz in Deutschland ein starkes Update, das ihn fit macht für die nächsten 20 Jahre auf Deutschlands Weg zur Klimaneutralität«, kommentierte Julia Verlinden, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, im Bundestag. Als weiteren Vorzug pries sie, dass das geänderte Gesetz die Bundesregierung erstmals verpflichte, konkrete Klimaschutzmaßnahmen auch für die Jahre 2030 bis 2040 aufzustellen.

Das ist nichts als heiße Luft, wie der Umgang mit dem KSG zeigt: Im Zweifelsfall kann die Bundesregierung das Gesetz einfach wieder ändern. In vier Jahren werde man überprüfen, »ob auch die übrigen Regelungen im Klimaschutzgesetz abgeschafft werden können«, kündigte Lukas Köhler, der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, schon mal an.

Die Regierung der Ampelkoalition sichert sich mit dieser Aufweichung des KSG gegen weitere Klagen ab. Statt auch in den Bereichen zu handeln, wo es wehtun könnte, verschiebt sie die Pro­bleme einfach in die Zukunft. Das scheint frech, es ist aber für die Klimapolitik kennzeichnend, dass Regierungen längerfristige Versprechen abgeben, aber in der Zeit, für die sie unmittelbar politisch verantwortlich sind, zu wenig tun.

Dabei gäbe es mehrere naheliegende Schritte, die keineswegs eine Revolution darstellen würden. So könnte die Regierung Subventionen für Dienstwagen oder Dieselautos streichen – dadurch würde sogar noch Geld in die Staatskasse fließen. Eine andere Möglichkeit wäre ein Tempolimit. Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass allein durch die Einführung von Tempo 120 auf Autobahnen pro Jahr etwa 6,7 Millionen Tonnen Kohlendioxid weniger emittiert würden. Aber selbst diese bescheidenen Maßnahmen stehen derzeit nicht einmal zur Debatte.