Kriegsgewinnler und Embargoverlierer

Bulgarien wird zu einer Dienstleistungsaußenstelle Europas

Politiker und Geschäftsleute in Bulgarien haben einen wiederkehrenden Alptraum: Die Uno oder die EU verhängen mal wieder ein Embargo. Nicht gegen Bulgarien, das sich redlich Mühe gibt, den westlichen Ansprüchen zu genügen. Aber gegen einen Handelspartner des südosteuropäischen Landes. Denn die wirtschaftliche und politische Entwicklung Bulgariens in den letzten zehn Jahren ist stark geprägt von den unterschiedlichen Embargos und Kriegen der jüngsten Zeit, in Jugoslawien wie auch zuvor im Irak.

Der Irak war ein wichtiger Exportmarkt für die bulgarische Wirtschaft: Sowohl für landwirtschaftliche Produkte als auch für die Bauindustrie, die wesentlich an Infrastrukturprojekten in arabischen Ländern beteiligt war. Die direkten Verluste, die der bulgarischen Wirtschaft aus den drei Embargos gegen Serbien, den Irak und Libyen erwuchsen, belaufen sich nach Angaben des Außenministeriums auf über die Hälfte der gesamten Auslandsverschuldung Bulgariens (1996: zehn Milliarden US-Dollar).

Allein das Embargo gegen Jugoslawien wegen des Krieges in Bosnien, das die Uno von 1992 bis 1996 verhängte, hat die bulgarische Wirtschaft vollständig verändert, obgleich Jugoslawien als Handelspartner recht unbedeutend ist. Einerseits wurde der Verkehr über den wichtigsten Handelsweg Bulgariens in die EU, die immerhin etwa 45 Prozent der bulgarischen Exporte abnimmt, erschwert. Die Umleitung der Waren über Rumänien ist umständlich, da es an der nötigen Infrastruktur mangelt, und wegen hoher Zollgebühren und noch höherer Schmiergelder auch teuer. Andererseits ergaben sich neue Aussichten auf Profite: Jugoslawien war gezwungen, so gut wie jeden Preis für Waren zu bezahlen, die unter das Embargo fielen.

Dies nutzten im kleinen Stil BulgarInnen aus den Dörfern der Grenzregion, um mit vollem Tank mehrmals täglich über die Grenze zu fahren und in Serbien Benzin für bis zu 20 Mark pro Liter zu verkaufen. So richtig aber profitierten jene, die in den Embargo-Großhandel einstiegen. Kähne fuhren, vollgeladen mit Treibstoff oder anderen Waren, über die Donau nach Jugoslawien - steuerfrei und mit riesigen Profitmargen. Finanziert wurden die ersten Transporte meist von der neu aufkommenden bulgarischen Mafia.

Die Voraussetzungen zu dieser Entwicklung sind in politischen Vorgängen Ende der achtziger Jahre zu suchen. Damals sollte die Kommunistische Partei in einen marktwirtschaftlich orientierten Großkonzern umgebaut werden. Junge Parteikader wurden zur Ausbildung an westeuropäische und US-Hochschulen geschickt, um dort die Grundlagen kapitalistischer Ökonomie zu lernen.

Und die Jugend lernte schnell: Das Vermögen der Partei, Resultat von Jahren staatssozialistischer Kapitalakkumulation, floß in deren eigene Taschen, als die Partei ihr Machtmonopol aufgab und den Schritt zum Konzern hin versuchte. So entwickelte sich rasch eine Klasse von Neureichen mit hervorragenden Beziehungen innerhalb der Staatsstrukturen, die über das nötige Geld zur Anschubfinanzierung für den Embargo-Handel verfügte.

In dieser Zeit des Aufstiegs der bulgarischen Mafia waren viele Bars und Straßen erfüllt von einer in Bulgarien bisher nicht gekannten Brutalität. Nach zwei Monaten der Hyperinflation und von Bankenkonkursen leitete 1997 eine neue, westlich orientierte Regierung den nächsten Schritt ein. Sie ließ viele der mafiösen Unternehmen schließen, während sie gleichzeitig der Mafia die Möglichkeit bot, ihr Kapital zu legalisieren und zu reinvestieren. Seither ist die Mafia selbst auf "Recht und Ordnung", auf Stabilität und ein gutes Investitionsklima bedacht.

Somit hat Ministerpräsident Ivan Kostov neue informelle Bündnispartner für seinen Kurs gewonnen, möglichst schnell Anschluß an EU und Nato zu finden. Die Unterstützung kann die bulgarische Regierung allemal brauchen: Während des Nato-Krieges sah sich Kostov, als er seinen unpopulären Nato-freundlichen Kurs verteidigte, wiederholt so weit bedrängt, daß er zynisch auf seine Machtlosigkeit angesichts der Nato-Druckmittel verwies.

Auch das derzeitige Embargo gegen Jugoslawien zeitigt wirtschaftliche Folgen für Bulgarien, wenn auch dank seiner kurzen Dauer nicht in dem Ausmaß wie die früheren Blockaden. Bei potentiellen Investoren gilt die gesamte Region einschließlich Bulgariens als instabil - und damit sinken die Preise für Staatsbetriebe, die privatisiert werden sollen.

Gleichzeitig führen Strukturanpassungsmaßnahmen schon jetzt zu hoher Arbeitslosigkeit. Offizielle Statistiken gehen von einer Arbeitslosenquote von 13 Prozent aus. Diese Zahl wird aber der Abhängigkeit und dem Druck, auch unter schlechten Bedingungen einen Job zu behalten, nicht gerecht. Ein Teil der alternden Bevölkerung in bulgarischen Dörfern wurde bereits in die Subsistenz zurückgedrängt, konsumiert kaum noch, lebt von der Eigenproduktion und etwas Tauschhandel. Von dem, was hier angebaut und verarbeitet wird, hängen auch zahlreiche Verwandte in den Städten ab, da selbst für jene, die eine Stelle haben, der Lohn zum Leben nur selten ausreicht. Viele Menschen in Bulgarien haben längst die Hoffnung verloren, daß sich das Land zu mehr als einer Dienstleistungsaußenstelle für westliche Firmen entwickeln könnte. Hinzu kommt, daß viele Handelswege wohl noch eine Weile unterbrochen bleiben.

Abhilfe schaffen könnte hier, daß unter dem Druck der Ereignisse und westlicher Interessen künftig eine zweite Brücke über die Donau nach Rumänien entstehen soll - an einer für bulgarische Handelswege günstigen Stelle, also weiter im Westen des Landes. Zögerliche Hoffnung wecken auch die ständig wiederholten und nach dem Nato-Angriff auf Jugoslawien mit Nachdruck verbreiteten Versprechungen von der Eingliederung Bulgariens in die EU. Was auch immer dann westliche Firmen und Institutionen mit der bulgarischen Wirtschaft anstellen - wenigstens könnte man dann im Westen arbeiten und wäre nicht mehr, wie bisher, visumspflichtig.

Mit diesen Hoffnungen spielte erst jüngst wieder der britische Regierungschef Tony Blair. Bei seinem Besuch vor zwei Monaten in Sofia sprach er sich kategorisch dafür aus, Bulgarien zur nächsten Runde der Beitrittsverhandlungen einzuladen. Auch EU-Thinktanks wie das CEPS (Center for European Policy Studies) raten zu einer raschen EU-Ost-Erweiterung. Sie sei die einfachste Möglichkeit zur Befriedung des Balkans, erklärte das CEPS in seinem jüngsten Bericht.

In nächster Zeit sind deshalb Gespräche über eine EU-Teilmitgliedschaft für osteuropäische Beitrittskandidaten zu erwarten, denn aus EU-Sicht dürfte eine richtige Mitgliedschaft wohl bei keinem der neuen Anwärter ernsthaft in Frage kommen.