Flug übers Kuckucksnest

Vom Insolvenzrecht profitieren angeschlagene Fußballvereine im Osten - sehr zum Ärger der Konkurrenz, die erfolgreich wirtschaftet und Wettbewerbsverzerrungen befürchtet.

Das derzeitige fußballerische Modewort, zumindest in der Regionalliga Nordost, heißt »Insolvenzverfahren«. Die neue gesetzliche Regelung, die es überschuldeten Privatpersonen und Unternehmen ermöglichen soll, sich langfristig entschulden zu können, gilt auch für Sportclubs.

Bisher hatten zahlungsunfähige Fußballvereine z.B. nur die Möglichkeit, einen ganz normalen Konkurs anzumelden. Was gleichzeitig das sportliche Aus bedeutete, denn die Mannschaften mussten sofort vom Spielbetrieb abgemeldet werden. Danach bestand allenfalls die Möglichkeit, den Club neu zu gründen und in der untersten Liga von vorn anzufangen. Nun übernimmt das Arbeitsamt drei Monate lang die Gehaltszahlungen, und ein Insolvenzverwalter wird eingesetzt, der nach Möglichkeiten suchen soll, den Verein weiter in der jeweiligen Liga zu halten.

Solche Insolvenzverwalter haben in der Regionalliga Nordost derzeit viel zu tun. Kurz vor Weihnachten des letzten Jahres, als die Vorrunde gerade beendet war, drohte schon drei der 18 Vereine der Konkurs. Der VfB Leipzig und Sachsenring Zwickau z.B. waren bereits finanziell angeschlagen in die Saison gestartet, ebenso Altmark Stendal, wo man Anfang Dezember erkannte, dass die Situation mehr als schlecht ist. Alle Clubs hatten so über ihre Verhältnisse gewirtschaftet, als stünde die Abschaffung des Geldes unmittelbar bevor.

Der VfB, 1987 noch im Finale des Europacups mit einem 0:1 knapp an Ajax Amsterdam gescheitert, zum Beispiel steht finanziell mehr als schlecht da. Schatzmeister Walter Bullinger hat im Oktober 1999, wohl auch, weil er mit dem Konkurs seines Vereins nicht fertig wurde, Selbstmord verübt, der gefeuerte Trainer Dragoslav Stepanovic prozessiert weiter um ausstehende Gehälter, er soll 35 000 Mark im Monat beim VfB verdient haben. Der Insolvenzverwalter signalisierte ihm jedoch bereits: »Bei uns ist nichts mehr zu holen.«

Eric Meißner, ein Berliner Torwart, der seine Arbeitskraft dem VfB Leipzig sogar kostenlos zur Verfügung stellte, hilft da auch nur begrenzt weiter. Trainer Achim Steffens nahm das Angebot zwar an, erklärte aber gleichzeitig: »Ideal wäre es, wenn neue Spieler noch Geld mitbringen würden.«

In Zwickau ist die Situation ähnlich. Der erste DDR-Landesmeister ist ebenfalls pleite, man brauchte beim Verein allerdings ziemlich lange, bis man die Situation tatsächlich erfasst hatte. Erst als sich die mit vollmundigen Versprechungen angetretene Präsidentin Ingeborg Neumann monatelang einfach nicht mehr blicken ließ, erkannte man den Ernst der Lage. Nun versucht ein Not-Präsident, der zuvor vom BFC Dynamo wegen Faulheit gefeuerte Manager Horst Göhler, zu retten, was vielleicht schon gar nicht mehr zu retten ist. »Wir stellen um auf Feierabend-Kicker«, sagt er, echte Arbeitsplätze für Vollzeit-Fußballer soll es in Zwickau nicht mehr geben.

In Stendal bereiten sich Spieler und Trainer ebenfalls auf einen Vereinswechsel vor, falls sich die Lage ihres Vereins nicht entscheidend verbessern sollte. In der Vereinsführung ist ein Machtkampf ausgebrochen, der die Handlungsfähigkeit des Clubs kaum verbessert. Präsident Hans-Joachim Bogner und sein Stellvertreter Joseph Hollarth bekriegen sich regelrecht, wodurch ein unzumutbares Arbeitsklima entsteht - der neue Manager Thomas Kotre wurde nach nur zwei Tagen im Amt schon wieder entlassen. Des ganzen Chaos wohl mehr als überdrüssig, gab Aufsichtsrat Klaus Schmotz daraufhin seinen Posten auf.

Jetzt erhalten diese vom wirtschaftlichen Ruin bedrohten Mannschaften ihre Gelder vom Arbeitsamt, worüber sich die wenigen seriös haushaltenden Vereine der Liga sehr ärgern. »Es geht doch wohl nicht, dass sich einige Clubs auf diese Weise sanieren«, erklärte etwa schon Harry Rath, Manager in Eisenhüttenstadt. Es geht doch, zumindest für drei Monate, dann stellt die Behörde die Zahlung des Konkursgeldes ein.

Aber es drohen weitere Insolvenzen in der Regionalliga. »Unsere Lage ist nicht dramatisch«, meinte beispielsweise Volkmar Wanski, Präsident des Berliner FC Dynamo, gelassen, als im Herbst letzten Jahres eine Lücke von 800 000 Mark im 2,3-Millionen-Etat der Hohenschönhausener entdeckt worden war. Seine Begründung: »Uns geht es nicht anders als 80 Prozent der Liga.«

Wo mit traditionellen Mitteln gegen finanziellen und sportlichen Misserfolg angekämpft wird: Jeder zweite Verein entließ bereits, bundesweit beispiellos, den Trainer. Spieler verlassen die Vereine und ziehen zum nächsten Club - in der vagen Hoffnung, dort zu besseren Konditionen arbeiten zu können. Das Risiko, am neuen Arbeitsplatz von der nächsten Pleite erwischt zu werden, ist jedoch groß - zumal Experten weitere Konkurse in der Liga befürchten.

Zum Fußballproblem Ost kam es hauptsächlich durch den Druck, sich in der Saison 1999/2000 für die neue, zweigleisige Regionalliga qualifizieren zu müssen. Die Etats für diese Saison wurden in der Hoffnung auf das Erreichen des neunten Platzes in der Abschluss-Tabelle und die damit verbundene automatische Qualifikation künstlich aufgebläht, während die Einnahmen gleich blieben. Dabei waren die Regionalligen vor Jahren extra als Puffer zwischen Profi- und Amateurklasse gegründet worden, man erhoffte sich durch spannende Lokalderbys auch für Fans attraktive Begegnungen. Umsonst. Die Zuschauerzahlen konnten nicht gesteigert werden, Sponsoren zu finden ist selbst für die Traditionsvereine äußerst schwierig.

Dabei hatte schon vor dem Saisonbeginn der Präsident des Nordostdeutschen Fußballverbandes, Hans-Georg Moldenhauer, seine Klientel, die fast nur aus ehemaligen DDR-Spitzenclubs besteht, ausdrücklich vor Finanzexperimenten gewarnt: »Es beunruhigt einen schon, was da passiert!« sagt er inzwischen.

Nun, in der Winterpause, reagiert auch der Verband: Die Funktionäre studieren derzeit die Spielordnung, um sich auf den drohenden Super-Gau in der Liga vorzubereiten. Falls mehrere Vereine mitten in der Rückrunde den Spielbetrieb einstellen müssen, will man vorbereitet sein - schließlich könnte zum ersten Mal die Vergabe der Meisterschaft im Osten von Insolvenzverwaltern entschieden werden.

Pfiffige Konzepte sind nun gefragt. Ausgerechnet die Amateure von Tennis Borussia Berlin, einem der wenigen Regionalliga-Clubs, die nicht in finanziellen Schwierigkeiten stecken, machten bei der Hinrunden-Premiere den anderen Vereinen vor, wie man Kosten sparen kann. Als beim Heimspiel gegen Dresden in gleich sieben Spielerpässen die Passbilder fehlten, klebte man kurzerhand aus dem Stadionprogramm ausgeschnittene Portraits in die Ausweise. Die zunächst gegen die Charlottenburger vom Verband ausgesprochene Geldstrafe über 2 000 Mark wurde später zurückgezogen, denn in einem Grundsatzurteil wurde entschieden, dass Lichtbilder nicht unbedingt Passbilder sein müssen.