Staubtrockene Fiesta

Über den mexikanischen Autor Jorge Ibargüengoitia, seinen jüngst erschienenen Roman »Abendstunden in der Provinz« und andere Übersetzungen.

Ein unaussprechlicher Name, eine jäh unterbrochene Biografie und ein staubtrockener Humor, das sind drei Stichworte zu dem mexikanischen Schriftsteller Jorge Ibargüengoitia. In Mexiko gilt er längst als der wichtigste Autor der sarkastischen Literatur. Im deutschsprachigen Raum tut man sich noch schwer, das Îuvre des Autors zu überblicken. Kaum erscheinen Übersetzungen seiner wichtigsten Romane, verschwinden andere auch schon wieder aus dem Verzeichnis lieferbarer Bücher. Auch der vierte, jüngst auf Deutsch erschienene Roman schließt eine Lücke.

In dem Werk Ibargüengoitias stemmt sich immer wieder die Komik gegen die Tragik der Handlung. Ibargüengoitias Helden sind stolpernde Figuren, ihre Schwächen und Ausrutscher, ihre vereitelten Absichten lassen bei allen Vorbehalten Sympathien zu. Den magischen Realismus des lateinamerikanischen Romans sucht man bei Jorge Ibargüengoitia vergebens, Spott und Ironie richten sich gegen die Institutionen des öffentlichen Lebens, die Schnittstellen der Macht, die Bürokratie, die Alltagsbösartigkeiten der Menschen, ohne dass diese Angriffe vordergründig wirken würden.

Ibargüengoitia durchlief zunächst eine Ausbildung zum Ingenieur, die er schließlich zu Gunsten der Literatur abbrach. Weil man ihm aber ein sarkastisches Stück über eine lateinamerikanische Modell-Diktatur übel nahm, blieben ihm die Theater bald verschlossen, worauf Ibargüengoitia sich der Prosa zuwandte. So stellt es zumindest der Autor dar.

José Emilio Pacheco erzählt dagegen eine andere, weniger heldenhafte Geschichte, der zufolge sich Ibargüengoitia in der Zeitschrift Revista de la Universidad über ein Stück von Alfonso Reyes lustig gemacht habe. Der Schriftsteller und Chronist Carlos Monsiváis sei für Reyes in die Bresche gesprungen, und Ibargüengoitia soll sich daraufhin als Theaterkritiker aber auch als Bühnenautor beleidigt zurückgezogen haben. Immerhin, seinen Spott hat er als Prosaautor weitergetrieben.

Ibargüengoitia debütierte auf dem deutschsprachigen Buchmarkt mit dem Roman »Zwei Verbrechen»: Der Held Marcos befindet sich auf der Flucht. In Mexiko-Stadt im repressiven Klima der sechziger oder siebziger Jahre wird er zusammen mit seiner Freundin Chamuca von der Polizei verfolgt. Weder der Leser noch die Chamuca glauben auch nur eine Sekunde lang, dass man nichts zu fürchten habe, wenn man unschuldig ist. Damit ist der Boden bereitet, auf dem sich Missverständnisse, falsche Verdächtigungen und heikle Situationen entfalten können.

Im Roman »Die toten Frauen« versichert der Autor, dass seine Geschichte auf wahren Begebenheiten beruhe. Vom »feinen Humor«, den ihm das »Diccionario Porrœa de Historia, Biograf'a y Geograf'a de México« attestiert, ist hier nicht viel zu spüren. Es ist eine wüste Geschichte, die da ausgebreitet wird, irgendwo im staubtrockenen Norden der mexikanischen Provinz. Die beiden Bordellbesitzerinnen Serafina und Arcángela sind über die Jahre ihres wechselhaften wirtschaftlichen Erfolgs damit beschäftigt, Leichen aus ihrem Etablissement verschwinden zu lassen. »Die toten Frauen« ist aber auch eine Liebesgeschichte oder die Geschichte einer Rache, denn eine der beiden Schwestern, Serafina, rächt sich an ihrem ehemaligen Geliebten Sim-n Corona González, den sie nach langer Zeit in seiner kleinen Bäckerei über den Haufen schießen lässt, nachdem dieser einfach nicht mehr wiedergekommen war.

Ibargüengoitia fädelt eine in sich greifende Abfolge von Mord und Totschlag, Kuppelei und Prostitution, Geldgier und Bestechung ein. Kein Held steht im Mittelpunkt, abwechselnd werden die Vorgänge aus unterschiedlichen Perspektiven ausgeleuchtet. Und auch der Erzähler nimmt sich scheinbar zurück, grinst aber aus den lakonischen Beschreibungen immer wieder hervor: »Arcángela hatte die Frage 'Was ist denn hier los?' auf den Lippen, als sie zuerst einen satten Schlag (Gesäß gegen Geländer), dann ein Knirschen (Geländer löst sich), ein nachhallendes Scheppern (Geländer auf Boden) und einen trockenen Aufprall (Köpfe auf Zement) hörte. Und wieder waren die Umstehenden beim Problem angelangt: Wohin mit den zerschellten Körpern?«

In der Tradition des mexikanischen Revolutionsromans steht der 1992 auf Deutsch veröffentlichte Text »Augustblitze«. Die mexikanische Revolution, eines der wichtigsten politischen Ereignisse zu Beginn des 20. Jahrhunderts und längst zur hohlen Phrase einer ihre Macht immer wieder neu organisierenden Regierungspartei verkommen, steht im Mittelpunkt der »Memoiren« des Divisionsgenerals José Guadalupe Arroyo. Man muss hinzufügen, dass in Mexiko der literaturgeschichtliche Hintergrund, die Memoirenliteratur zur Revolution, hier mitgelesen wird. Bei Ibargüengoitia allerdings geht es nicht um eine genaue Beschreibung von Schlachten, Gewinnen und Verlusten.

Die Militärkaste der Revolution in der Phase zwischen 1915 und 1930 kannte, so erläutert es Ibargüengoitia in seinem Nachwort, kein wichtigeres Anliegen, als sich selbst zu beseitigen. General Arroyo legt Rechenschaft ab über die Missgeschicke, die Unbill seines Lebens. Ohne Skrupel berichtet er von Füsilierungen, doch Kraftausdrücke werden in seiner Darstellung der Dinge umgangen. Die Memoiren sind von der vorangestellten Widmung an ein ungehobelter Versuch, eine Haltung einzunehmen. Niemand weiß genau, auf welcher Seite er stehen soll. Im Nu haben sich die Machtverhältnisse wieder verändert. Freunde werden zu Feinden, Diebe zu Lebensrettern. Das Lächerliche ist auf Schritt und Tritt präsent.

Der Roman »Abendstunden in der Provinz« ist neben »Zwei Verbrechen« als ein Einstiegsroman zu betrachten, nach dessen Lektüre man sich von Ibargüengoitia aber durchaus mehr erwarten darf: Ein Literaturprofessor wird an die Universität seiner Geburtsstadt Cuévano berufen. In dieser dünkelhaften Provinzstadt interessiert ihn weniger die Literatur als die Studentin Gloria. Das Problem: Hinter vorgehaltener Hand teilt man dem Professor mit, Gloria leide an einem Arterien-Defekt und werde den Beischlaf nicht überleben. Ersatzweise verführt der Prof die Frau eines Kollegen und versucht gleichzeitig, Glorias Hochzeitsvorbereitungen mit ei-

nem Geschäftemacher zu verhindern. Natürlich kommt der Schluss des Buches nicht ohne Überraschungen aus.

Zugleich bietet der Roman unzählige Möglichkeiten, das von sich selbst eingenommene Leben einer mexikanischen Provinzstadt des Nordens zu verspotten, und Ibargüengoitia lässt keine Gelegenheit dazu ungenutzt. Vielleicht kennt der Autor diese eingesessenen, traditionsbewussten Vorzeigebürger auf doppeltem Boden deshalb so genau, weil er in der stolzen Stadt Guanajuato geboren wurde. Aber man wird auch an andere Städte denken können, und nicht nur an mexikanische.

Jorge Ibargüengoitia verbrachte die letzten Jahre seines Lebens gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, der britischen Malerin Joy Laville, in Paris. 1983, auf dem Weg zu einem Schriftstellertreffen in Kolumbien, kam er 55jährig bei einem Unfall auf dem Flughafen Barajas in Madrid ums Leben.

Jorge Ibargüengoitia: Abendstunden in der Provinz. Aus dem Spanischen von Peter Schwaar. Suhrkamp, Frankfurt/Main 1999, 146 S., DM 22,80